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Interview

Gesundheitsexperte
Brauchen wir Nachhilfe in Sachen Gesundheit?

4 min
Das Apotheken-A ist am Morgen an einer Apotheke zu sehen.

Das Apotheken-A ist am Morgen an einer Apotheke zu sehen. (Archivbild)

Viele Beschwerden lassen sich selbst behandeln – doch dieses Wissen scheint verloren zu gehen. Der ABDA-Präsident kennt die Folgen für das System.

Gehen die Menschen heute schneller zum Arzt als früher? Und warum werden immer mehr Medikamente verschrieben? Der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Thomas Preis, hat Antworten auf diese Fragen – und betont im Gespräch mit Finja Jaquet einmal mehr die Bedeutung der Apotheke vor Ort, wenn es um die Entlastung des kriselnden Gesundheitssystems geht.

Herr Preis, fast täglich hört man von Arztpraxen am Limit und überfüllten Notaufnahmen – auch, weil viele Menschen bereits mit leichten Beschwerden den Arzt aufsuchen. Haben wir ein Problem mit dem mangelhaften Gesundheitswissen?

Das fehlt heutzutage immer öfter in unserer Bevölkerung: eine ausreichende Gesundheitskompetenz. Viele Menschen suchen schon mit leichten Erkrankungen die Arztpraxis auf, was oft nicht notwendig ist. Viele leichte Erkrankungen kann man sehr gut selbst behandeln. Gerade mit Blick auf eine alternde Bevölkerung und weniger Ärztinnen und Ärzte ist es wichtig, dass das Gesundheitssystem möglichst nur in Anspruch genommen wird, wenn es Erkrankungen sind, die man nicht selbst behandeln kann.

Woran liegt es, dass die Menschen sich heute nicht mehr selbst zu helfen wissen?

Das hat sicherlich etwas damit zu tun, dass wir heute in anderen familiären Banden leben. Früher lebte man oft mit Großeltern in einem Haus. Die konnten jungen Eltern aus der Erfahrung helfen, wie man mit Erkältung oder leichtem Fieber bei Kindern umgeht – zum Beispiel mit Hausmitteln oder einem Zäpfchen. Heute sind junge Eltern oft allein und suchen dann die Kinderarztpraxis auf.

Thomas Preis, Kölner Apotheker und ABDA-Chef

Thomas Preis, Kölner Apotheker und ABDA-Chef

Ein weiteres Problem ist das Überangebot an Gesundheitsinformationen, vor allem im Internet. Nicht jede Information ist eine gute Basis für eine sichere Therapie, und zu viel davon führt zu Verunsicherung. Die WHO hat festgestellt, dass eines der großen Probleme der Zukunft in unserem Gesundheitswesen die Fehl- und Desinformation durch das Internet sind.

Wie können wir dieses Problem lösen?

Wir müssen das System entlasten: Am Wochenende sehen wir zum Beispiel überfüllte Notfallambulanzen, obwohl es oft um leichte Beschwerden geht. Der Weg in die Apotheke ist schneller – und entlastet das System erheblich.

Außerdem sollte man sich nicht durch Wundermittel oder Wundertipps im Internet ablenken lassen. Das kann gefährlich enden. Der klare Rat ist: Glauben Sie nicht einfach, was im Internet steht. Seien Sie kritisch und lassen Sie sich fachkundig beraten. Der wahre Experte ist derjenige, dem man ins Auge schauen kann.

Immer mehr Ältere: Rezepte werden häufiger

Braucht es denn überhaupt immer gleich eine Pille oder ein Präparat?

Viele Kundinnen und Kunden kommen mit einem klaren Wunsch nach einem bestimmten Arzneimittel in die Apotheke. Im Beratungsgespräch wird dann geklärt, wofür das Medikament gebraucht wird und ob es überhaupt notwendig ist. Wenn sich herausstellt, dass gar kein Medikament notwendig ist, dann empfehlen wir andere Maßnahmen. Dazu zählen auch Hausmittel.

Einige dieser Hausmittel sind sogar in medizinischen Leitlinien verankert, etwa Wadenwickel als ergänzende Maßnahme bei leichtem Fieber. Aber auch Hausmittel bedürfen einer guten Erklärung: Wadenwickel dürfen nicht eiskalt, sondern eher lauwarm sein. Und nicht jedes Hausmittel ist für jede Erkrankung geeignet.

Stimmt es, dass Medikamente heutzutage öfter und schneller verschrieben werden?

Wir geben heute mehr Medikamente auf Rezept ab – unter anderem, weil die Bevölkerung wächst. Es leben immer mehr ältere Menschen in Deutschland, und Ältere brauchen mehr Medikamente, zum Beispiel gegen Bluthochdruck. Es ist gut, dass diese Medikamente verschrieben werden, denn Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache. Dazu kommt: Es gibt heute Medikamente, mit denen man Krankheiten behandeln kann, die früher gar nicht behandelbar waren.

Mit welchen Beschwerden kommen die Menschen am häufigsten zur Selbstbehandlung zu Ihnen?

Der größte Teil der selbstbehandelten Erkrankungen sind virale Infekte – mit Beschwerden wie Husten, Schnupfen, Fieber – oder Schmerzen. Häufig nachgefragt werden auch Medikamente gegen Magen- oder Verdauungsprobleme, Allergien, Lippenherpes, Augenentzündungen, Hautpilzerkrankungen oder die „Pille Danach“.

Apothekenbetrieb oft „nicht mehr wirtschaftlich darstellbar“

Wieso ist auch bei diesen gängigen Beschwerden eine Beratung so wichtig?

Arzneimittel sind Produkte besonderer Art, die einer Beratung bedürfen – schon bei der Verordnung, insbesondere aber bei der Abgabe. Diese Beratung muss persönlich erfolgen. Man muss herausfinden: Ist es ein ängstlicher Patient, der eher zu wenig einnimmt? Oder jemand, der denkt: Viel hilft viel? Beides ist schlecht – eine Unter- wie Überdosierung.

Es wird geklärt, ob es Risiken gibt, etwa in Kombination mit anderen Medikamenten oder Lebensmitteln. Ganz wichtig ist auch der Hinweis, dass Medikamente regelmäßig eingenommen werden müssen, damit die Beschwerden nachhaltig und sicher behandelt werden.

Nachdem die Reformpläne vom ehemaligen Bundesgesundheitsminister Lauterbach vom Tisch sind: Was plant die jetzige Regierung für die Apotheken?

Die neue Koalition will die Apotheken wirtschaftlich stärken. Apothekerinnen und Apotheker haben seit fast zwei Jahrzehnten keine spürbare Honorarverbesserung bekommen. Für viele Apotheken ist der Apothekenbetrieb gar nicht mehr wirtschaftlich darstellbar: Die steigenden Kosten durch Personal, Mieten und Energie können durch eine Honorierung, die schon zwei Jahrzehnte alt ist, nicht mehr getragen werden. Da braucht es dringend eine Anpassung, zu der sich die Bundesregierung verpflichtet hat. Ein entsprechendes Gesetz soll im Herbst ins Parlament gehen.