Der Wirkstoff Lecanemab ist seit Montag in Deutschland erhältlich. Dr. Özgür Onur nennt ihn „bahnbrechend“ und erklärt, was beachtet werden muss.
Experte aus Köln klärt aufNeues Medikament verlangsamt Alzheimer – Uniklinik und KH Merheim behandeln

Per Infusion wird das Medikament Leqembi verabreicht. Dr. Özgür Onur von der Uniklinik schätzt, dass sich in Deutschland zwischen 10.000 und 20.000 Menschen für die Behandlung eignen
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In der Gedächtnisambulanz der Uniklinik soll in der kommenden Woche die Behandlung mit dem Wirkstoff Lecanemab beginnen, der seit dem gestrigen Montag in Deutschland erhältlich ist. Univ.-Prof. Dr. Özgür Onur, der die Spezialsprechstunde der Ambulanz leitet, klärt die wichtigsten Fragen.
Welche biologische Wirkung hat Leqembi?
Das Medikament stellt einen Antikörper dar. Dieser bindet an die Ablagerungen im Gehirn, die Plaques genannt werden und Alzheimer verursachen. Daraufhin erkennt das Immunsystem die Plaques und baut sie ab.
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Und das lindert sofort die Symptome?
Leider nicht, die Patienten bemerken dadurch keine akute Verbesserung. Aber das Voranschreiten der Defizite durch die Erkrankung wird verlangsamt – und zwar um circa 30 Prozent.
Wie bahnbrechend ist das?
Der biologische Effekt ist sehr bahnbrechend. Bahnbrechend ist auch, dass wir einen Ansatzpunkt haben, den Krankheitsverlauf zu beeinflussen. Allerdings ist der klinische Effekt, also das, was die Menschen in Bezug auf ihre Defizite verspüren werden, im Verhältnis dazu begrenzt. Auch wenn der Anfang gemacht ist, hoffen wir auf weitere Entwicklungen.

Univ.-Prof. Dr. Özgür Onur von der Uniklinik
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Für wen eignet sich das Medikament?
Dafür sind vier Komponenten wichtig, die vor der Behandlung durch mehrere Untersuchungen geklärt sein müssen. Erstens muss die Person auch wirklich Alzheimer haben. Zweitens muss die Krankheit in einem frühen Stadium sein, die Person darf also höchstens in das Stadium der „leichten kognitiven Störung“ oder „leichten Demenz“ fallen. Drittens gibt es Risikogruppen, die von der Behandlung ausgeschlossen sind. Dazu gehören Menschen, die eine bestimmte Genkonstellation haben und solche, de starke Blutverdünner wie Dabigatran nehmen. Und als letzte Komponente müssen durch ein MRT ältere, vorbestehende Hirnblutungen oder sonstige Hirnschäden ausgeschlossen werden.
Was wäre ein exemplarischer Weg zur Behandlung?
Angehörige oder die Person selbst merken, dass Gedächtnisschwierigkeiten vorliegen. Die Betroffenen kommen im Alltag noch gut klar, vergessen aber immer mal wieder Dinge. Dann geht die Person zu einem Facharzt – Neurologe oder Psychiater – und lässt klären, wie stark die Defizite sind und ob sie über das Maß hinausgehen, wie man es für das entsprechende Alter erwarten würde. Zudem müssen die bereits erwähnten Aspekte für die Eignung untersucht werden. Dafür braucht es qualitativ hochwertige MRT-Aufnahmen und die genetische Untersuchung mittels Bluttest. Wenn all das geklärt ist, gibt es nochmal ein umfangreiches Beratungsgespräch. Ich würde empfehlen, dass man die Infusion mit dem Medikament auch dort beginnt, wo diese Untersuchungen erfolgt sind.

Störungen des Kurzzeitgedächtnisses können erste Anzeichen für eine Demenz-Erkrankung wie Alzheimer sein.
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Wie viele Personen kommen in Deutschland für die Behandlung in Frage?
Da gibt es aus meiner Sicht keine überzeugenden Berechnungen. Die Schätzungen gehen von 1000 bis 200.000. Ich persönlich schätze zwischen 10.000 und 20.000 Menschen.
Welche Nebenwirkungen kann es geben – auch bei guter Patientenauswahl?
Zu den speziellen Nebenwirkungen gehören kleine Einblutungen, Schwellungen oder Wassereinlagerungen im Gehirn. Das läuft aber häufig ohne Symptome ab. Wenn es doch zu welchen kommt, sind sie verhältnismäßig harmlos, also Kopfschmerzen oder Schwindel. Es gibt aber leider auch tragische Einzelfälle, in denen es durch Blutungen zu größeren Komplikationen gekommen ist.
Finden Sie den Nutzen größer als das Risiko?
Darüber gab es viele Diskussionen. Meines Erachtens kann man das aber nicht über einen Kamm scheren. Es braucht eine qualifizierte Prüfung des Einzelfalls, in der die einzelnen Aspekte abgewogen werden.
Findet die Behandlung nur in Krankenhäusern oder auch in Praxen statt?
Die Zulassungsbehörde hat festgelegt, dass die behandelnden Ärzte Erfahrung in der Betreuung du Behandlung von Alzheimer-Patienten haben müssen. Das ist bei uns in der Uniklinik sicherlich der Fall. Aber es gibt auch Praxen, die sich spezialisiert haben. Es ist also davon auszugehen, dass auch dort zukünftig Behandlungen stattfinden können.
Wie lange dauert die Behandlung?
Die Infusionen werden erstmal alle zwei Wochen für 18 Monate gegeben. Für eine längere Behandlung gibt es in der EU aktuell noch keine Zulassung.
Wie sehen die Kosten aus und werden sie von den Kassen übernommen?
Man kommt auf Jahreskosten von ungefähr 30.000 bis 40.000 Euro. Dazu gehören auch MRT-Aufnahmen, die mehrfach im ersten Jahr zur Kontrolle stattfinden. Sofern man für die Behandlung zugelassen ist, werden die Kosten für das Medikament von den Kassen übernommen. Die Kosten für die Infusionen und Kontrollen werden allerdings nicht ausreichend abgedeckt. Das stellt für die Behandlungen eine große Herausforderung dar.

Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) liegt der Verkaufspreis für die kleine Packung zunächst bei 403,27 Euro und bei 788,86 Euro für die große Packung. (dpa)
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Wie hat sich die Uniklinik auf das Medikament vorbereitet?
Bei unseren Patienten, die für eine Behandlung in Frage kommen könnten, haben wir in den vergangenen zwei Jahren schon alle nötigen Untersuchungen gemacht. Auch unsere Infusionsplätze haben wir so vorbereitet, dass wir zeitnah starten können. Wir planen Anfang nächster Woche mit der ersten Behandlung zu beginnen.
Wie viele Patientinnen und Patienten will die Uniklinik künftig behandeln?
Wir wollen mit einem Patienten pro Tag beginnen, bis ungefähr 50 Personen die Behandlung erhalten. Dadurch wollen wir erstmal einschätzen können, wie die Behandlung gut umsetzbar ist. Wenn Bedarf und Kapazitäten bestehen, wollen wir die Zahl dann in einem zweiten Schritt steigern.
Gibt es aktuell noch Plätze für die erste Behandlungsphase?
Es gibt zwar eine Warteliste, aber die lässt sich schlecht beziffern. Denn es gibt auch Patienten, deren Zustand sich während der Wartezeit auf die Zulassung verschlechtert hat und diese Personen dadurch nicht mehr für die Behandlung geeignet sind. Man kann also nicht sagen, dass aktuell alle Plätze vergeben sind. Es kann sein, dass immer wieder Behandlungsplätze bei uns frei werden.