Militärbischof Bernhard Felmberg sieht fundamentale Veränderungen seiner Arbeit bei der Truppe nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Vor allem ist zuletzt deutlich geworden: Die Geistlichen beim Militär plagen Nachwuchssorgen.
Militärbischof Felmberg„Wir reden nicht dem Krieg das Wort“

Militärbischof Bernhard Felmberg
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Bernhard Felmberg ist zur „bischöflichen Visitation“ nach Hamburg gekommen, wie er sagt. In der Führungsakademie der Bundeswehr hat der evangelische Militärbischof vor Soldaten über die Seelsorge im Bündnis- und Verteidigungsfall berichtet. Seit Beginn des russischen Einfalls in der Ukraine und mit dem daraus resultierenden Ziel der „Kriegstüchtigkeit“ Deutschlands hat sich auch für die etwa 100 evangelischen Pfarrer in der Truppe vieles verändert, wie Felmberg im Gespräch mit Markus Lorenz sagt.
Bischof Felmberg, mit dem Ukraine-Krieg und der Zeitenwende ist die Bundeswehr schlagartig in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Was bedeutet das für die Militärseelsorge?
Seit der Vollinvasion Russlands in die Ukraine hat sich die Bedrohungslage in Europa insgesamt verändert. Das hat auch Auswirkungen auf die Qualität und Quantität unserer Arbeit. Die Vorstellung, dass man in der Seelsorge auf einmal an der Nato-Ostflanke bei vielen tausend Soldatinnen und Soldaten ist, die im Notfall das Bündnisgebiet verteidigen, stellt uns vor die Frage: Wo ist unser Platz? Wie bereiten wir uns darauf vor, als evangelische Militärseelsorge im Verteidigungsfall bei Verletzten und Verwundeten zu sein. Unseren Platz sehe ich in der Nähe der Sanitäter, eine Art Zweitversorgung seelsorgerlicher Art. Wir begleiten Soldatinnen und Soldaten, die auch schwer psychisch daran tragen, was sie erlebt haben.
Mit welchen Themen wenden sich Soldaten jetzt schon an Militärgeistliche?
Das sind oft ganz normale Lebensfragen: Wie halte ich die Trennung von meiner Frau oder meinem Mann aus? Wie belastet mein Dienst, oftmals mehrere hundert Kilometer entfernt, unsere Beziehung? Es gibt natürlich auch mal Konflikte mit Kameraden oder dem Dienstvorgesetzten. Soldaten spüren schon einen ganz anderen Leistungsdruck. Es wird viel mehr geübt, die Soldaten sind viel öfter von zu Hause weg. In manchen Einheiten gehen sie bereits an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Das macht etwas mit Menschen, physisch, aber auch psychisch.
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Sprechen die Soldaten von Zweifeln an ihrer Tätigkeit angesichts der akuten Bedrohungslage?
Das kommt sehr darauf an, wann jemand in die Bundeswehr gekommen ist. Viele kamen, als es eine ganz andere politische Großwetterlage gab: Frieden und Entspannung in Europa haben jahrzehntelang das politische Klima bestimmt. Das hat sich verändert. Die Soldatinnen und Soldaten sind aber enorm professionell und nehmen ihre Situation an. Zugleich herrscht jetzt eine andere Intensität, eine andere Ernsthaftigkeit. Und natürlich wird jedem das scharfe Ende seines eigenen Berufes deutlich. Bundeswehrangehörige gucken in die Ukraine und sehen, dass dort jeden Tag viele Soldaten sterben. Das geht an keinem Menschen spurlos vorbei.
Wie groß ist das Vertrauen der Soldaten in die Militärpfarrer?
Sehr groß. Die jungen Leute kommen gern zu ihrem Militärpfarrer oder ihrer Militärpfarrerin. Was auch daran liegt, dass wir als Seelsorger nicht Teil der militärischen Hierarchie sind. Alles, was die Soldaten uns sagen, auch über Vorgesetzte oder traumatische Belastungssituationen, bleibt bei uns. Das Seelsorgegeheimnis gilt in der Militärseelsorge uneingeschränkt. Laut einer aktuellen Studie sagen 91 Prozent der Soldaten, es sei wichtig, dass es eine Militärseelsorge gibt. Bei denjenigen, die im Auslandseinsatz waren, sind es sogar 96 Prozent. Das sind Zustimmungsraten, die man sonst in Deutschland mit der Lupe suchen muss.
Jesus war Friedensbotschafter, der den Menschen riet, dem Feind lieber die andere Wange hinzuhalten als zurückzuschlagen. Die Bundeswehr wendet im Verteidigungsfall Gewalt an. Wie gehen Sie persönlich mit diesem Widerspruch um?
Für mich sind Militär und Kirche überhaupt kein Widerspruch. Ja, das Friedensgebot von Jesus Christus gehört zur Genetik unseres Glaubens. Die Frage ist aber: Wie erhalte ich oder wie komme ich zum Frieden? Fundamentale Pazifisten wollen auf alles verzichten, was mit Waffen zusammenhängt. Ich aber sage: Wenn Putin einfach ein Land überfällt, müssen wir aus christlicher Verantwortung der Ukraine in der Not beistehen. Und wir haben durch Abschreckung dafür zu sorgen, dass es bei uns nicht auch zum Krieg kommt. Das biblische Gebot „Du sollst nicht morden!“ heißt für mich auch: „Du sollst nicht morden lassen!“.
Evangelische Christen waren stets Treiber der deutschen Friedensbewegung. Muss Ihre Kirche das Verhältnis zur Bundeswehr neu buchstabieren?
Als Evangelische Kirche haben wir tatsächlich häufig von oben herab über den Soldatenberuf gesprochen. Inzwischen erkennen aber viele bei uns an, dass es die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind, die sich für Frieden und Freiheit einsetzen. Die unsere Freiheit und Demokratie auch mit dem eigenen Leben verteidigen. Das ist ein klares Friedenszeugnis und unterscheidet sich von Aussagen, die wir schon gehört haben in der Evangelischen Kirche.
Kritiker wenden ein, Militärpfarrer schafften eine geistlich-religiöse Rechtfertigung für Krieg ...
Wir reden nicht dem Krieg das Wort, sondern versuchen, die Soldaten ethisch zu begleiten. Die Kirche stand und steht immer für Menschen auch in sehr schwierigen Situationen bereit, etwa in Gefängnissen und in Krankenhäusern oder in der Notfallseelsorge. Jesus hat gesagt: „Du musst zu denen gehen, die dich brauchen.“ Bei der Bundeswehr spüren wir, dass diese enge Begleitung wichtig ist und angenommen wird. Wenn etwa ein Militärgeistlicher eine Übung über mehrere Tage begleitet, auch mit den Soldaten drei Nächte im Wald schläft und am vierten Tag eine halbe Stunde zum Feldgottesdienst einlädt, dann kommen 400 Soldaten. Wenn der Pfarrer nur zum Feldgottesdienst reinschneit, dann stehen da 20 Soldaten.Die Rolle Ihrer Kirche im Dritten Reich war unrühmlich. Große Teile haben Hitlers Krieg befürwortet und aktiv unterstützt. Das bereitet Ihnen kein Unbehagen?Die Evangelische Kirche hat sehr aus der Geschichte gelernt. Unser jetziges Vorgehen unterscheidet sich vollkommen von dem im letzten Jahrhundert, als die Evangelische Kirche Angriffskriege mit schmissigen Predigten unterstützt hat. Wir haben jetzt eine demokratisch legitimierte Armee, die allein dem Zweck der Verteidigung dient. Dazu gehört auch, dass Menschen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst nicht leisten wollen, ihn verweigern können.
Was ist Ihre Rolle als evangelischer Militärbischof?
Der Bischof wird von der Evangelischen Kirche bezahlt, nicht vom Bund. Das ist wichtig, denn damit bin ich ein klares Gegenüber, auch zum Verteidigungsminister sowie zur Generalität und Admiralität – wenn es denn sein muss. Diese meine Freiheit und Unabhängigkeit nehme ich jederzeit wahr, wenn ich den Eindruck habe, dass es nicht fair, nicht gerecht, nicht demokratisch angemessen in der Bundeswehr zugeht.
Ist die Militärseelsorge für die Zeitenwende personell ausreichend ausgestattet?Nein. Die Militärseelsorge besteht personell nur als homöopathische Dosis. Wir haben 100 evangelische Militärgeistliche in Deutschland, dazu vier im Ausland. Das reicht hinten und vorn nicht, um unseren neuen Aufgaben in der aufwachsenden Bundeswehr gerecht zu werden. Wenn wir die von den Soldatinnen und Soldaten gewünschte Begleitung auch bei einer größeren Truppe leisten sollen, brauchen wir in einer größeren Bundeswehr natürlich auch mehr Stellen für Militärgeistliche.
Finden Sie genügend Theologen, die Militärpfarrer werden wollen?
Ja, es gibt viele Interessenten. Seit dem Vollangriff Russlands auf die Ukraine ist die Zahl sogar noch gestiegen. Inzwischen haben wir übrigens 23 Prozent weibliche Militärgeistliche. Das ist wertvoll, denn Frauen sind für Soldatinnen, aber auch für Soldaten nochmal ganz andere Ansprechpartner als Männer.
Gibt es an Militärstandorten eigentlich ein normales Gemeindeleben, einschließlich Trauungen, Taufen und Begräbnissen?
Das machen wir alles. Pfarrer oder Pfarrerinnen möchten ja in der Regel auch das fröhliche, gelingende Leben mit anderen Menschen teilen. Dazu gehören schöne Dinge wie Feiern zu Taufen, Trauungen, Beförderungen. Aber natürlich sind wir auch an den schweren Tagen an der Seite unserer Soldatinnen und Soldaten.
Begleiten Sie bei Todesfällen?
Selbstverständlich begleiten wir Soldatinnen und Soldaten, ihre Familien und Kameraden auch bei Belastungen, bis hin zum Tod. Bei der Bundeswehr kommen junge Leute ums Leben, bei Übungsunfällen, im Auslandseinsatz und hin und wieder auch durch Suizid. Den zurückbleibenden Kameraden kann ein Militärseelsorger Struktur, Hoffnung und Zuversicht vermitteln. Und ihnen ermöglichen, von ihren Gefühlen zu erzählen. Diese auf Härte getrimmten Menschen können in solchen Gesprächen weinen und sich emotional entlasten.
Beten Sie abends im Bett eigentlich für den Frieden?
Ja, ich bete gern für den Frieden. Ich finde, Frieden ist die schönste Sache, die einer Generation passieren kann. Und ich bin meinem lieben Gott so dankbar, dass ich 1965 geboren bin und nichts anderes als Frieden kenne. Aber wir müssen auch wissen, was wir mit dem Wort Frieden meinen. Ein sogenannter Diktatfrieden, in dem Landesteile besetzt bleiben, in dem Kinder verschleppt und Frauen vergewaltigt werden und Menschen ihrer kulturellen Identität beraubt werden, verdient das Wort Frieden nicht. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat gerade eine neue Friedensdenkschrift vorgestellt. Darin ist das Wort von einem gerechten Frieden zentral. Gerechter Friede heißt: Schutz vor Gewalt, Förderung von Freiheit, Abbau von Not und Anerkennung kultureller Vielfalt. Für einen solchen Frieden bete ich jeden Tag!

