Letzte GenerationAktivistin verteidigt Klebe-Aktionen bei Diskussion im Urania-Theater

Lesezeit 4 Minuten
Vor einem roten Samtvorhang sitzen drei Frauen und ein Mann im Halbkreis, auf einem sehr großen alten Koffer stehen Wasserflaschen und Gläser für die vier Diskussionsteilnehmer.

Melahat Simsek, Aimée van Baalen, Merit Willemer und Karsten Schwanke (v.l.) diskutierten imUrania-Theater.

Im Urania-Theater in Ehrenfeld trafen Aktivistinnen von „Letzte Generation“ und „Fridays for Future“ auf den TV-Meteorologen Karsten Schwanke. Das Thema ihrer Diskussion war die UN-Klimakonferenz: „Macht oder Ohnmacht nach Scharm El-Sheikh?"

Die Elefantenrunde des Klimaschutzes versammelt sich an diesem Abend im Urania-Theater in Köln-Ehrenfeld. In der Reihe Streitkultur diskutieren an diesem Abend Aimée van Baalen, Aktivistin der provokanten Klimaschutz-Organisation „Letzte Generation“, Merit Willemer, Kampagnen-Koordinatorin von „Fridays for Future“ und der Meteorologe und ARD-Wetterexperte Karsten Schwanke. WDR-Journalistin Melahat Simsek moderiert den lebhaften Austausch, der sich im Laufe des Abends immer mehr um die kontroversen Klebe- und Kartoffelbrei-Aktionen der „Letzten Generation“ dreht.

Einig sind sich die Diskutanten darin, dass die 27. UN-Klimakonferenz (COP27) im November 2022 in Scharm El-Sheikh enttäuschend verlaufen ist. Zwar wurde das 1,5 Grad-Ziel bestätigt, auf ein verbindliches Programm, um den Ausstoß fossiler Energieträger schnell zu reduzieren und den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, konnte sich aber nicht geeinigt werden. „Wir brauchen nicht jedes Jahr eine COP, um in einer Abschlusserklärung festzuhalten, dass das 1,5 Grad Ziel noch Bestand hat“, bringt Karsten Schwanke es auf den Punkt.

Klimagerechtigkeit wird nicht auf den COPs erkämpft, sondern dazwischen
Merit Willemer, Fridays for Future

Auch Merit Willemer von „Fridays for Future“ kritisiert, dass mehr Lobbyverbände als Staaten bei der COP waren, 636 an der Zahl. „Interessen von Großkonzernen stehen über denen der Menschen“, ergänzt van Baalen von der „Letzten Generation“ und fährt damit Applaus vom Publikum ein.  „Klimagerechtigkeit wird nicht auf den COPs erkämpft, sondern dazwischen“, findet Willemer und spielt damit auf die vergangenen Klebe-Aktionen von Letzte Generation an.

Alles zum Thema Fridays for Future

Aimée van Baalen etwa hat sich auch schon selbst auf die Straße geklebt, nahm dafür sechs Tage Präventivhaft in Kauf. Ihren Job als Tätowiererin hat sie aufgegeben, um sich voll als Aktivistin zu engagieren. Sie pendelt nun zwischen ihrer Heimat Dresden und Berlin. Momentan lebt sie von Spenden. „Bei 1000 Euro habe ich für mich die Grenze gesetzt, der Rest geht an die 'Letzte Generation'“, erzählt die 22-Jährige am Rande der Veranstaltung.  Ihren Eltern bereitet ihr Aktivistinnen-Leben Sorge, van Baalen sieht es positiv: „Sie haben zum ersten Mal über das Thema Klima nachgedacht, und ich glaube, so geht es vielen Familien am Abendbrottisch.“

Das war total surreal, auf einmal sitze ich zwischen dem bayrischen Wissenschaftsminister Markus Blume und Sandra Maischberger
Aimée van Baalen, Letzte Generation

Mitte November hatte van Baalen bereits ihren ersten Fernsehauftritt bei Sandra Maischberger. „Das war total surreal, auf einmal sitze ich zwischen dem bayrischen Wissenschaftsminister Markus Blume und Sandra Maischberger, muss unsere Ziele erklären und unsere Protestform verteidigen.“ Sie habe versucht, einfach zu funktionieren, wenn die Kamera auf sie gerichtet war. Nach der Sendung wurde mit Sekt angestoßen, und es wurden Selfies gemacht. „Ich war total irritiert, ich war doch da, um für den Klimaschutz zu kämpfen und nicht um nach der Aftershowparty in eine Fünf-Sterne-Suite mit Whirlpool gefahren zu werden, die vom Sender bezahlt wurde“, erzählt die 22-Jährige.

In der Diskussion wird van Baalen nicht nur von Moderatorin Simsek für die Protestform kritisiert, die „zu intellektuell durchdacht“ sei. „Wenn ihr Kartoffelbrei auf einen Monet werft, ist die Kurve zum Klimaschutz einfach zu lang“, kritisiert auch Schwanke. Van Baalen rechtfertigt diese Aktionen mit der Aufmerksamkeit, die dadurch generiert würde.  Google-Anfragen zum Thema Klimawandel hätten parallel zu diesen Aktionen signifikant zugenommen.

Wir stoßen mit unseren Protesten die Tür auf, damit 'Fridays for Future' sich mit der Politik an den Verhandlungstisch setzen kann
Aimée van Baalen, Letzte Generation

Den Kritikern der Klebe-Proteste aus dem Publikum hält sie entgegen, dass es nicht primär das Ziel sei, die breite Bevölkerung hinter sich zu versammeln, sondern den Protest in die Mitte der Gesellschaft zu bringen und die Politik zum Handeln zu bewegen. „Wir stoßen mit unseren Protesten die Tür auf, damit 'Fridays for Future' sich mit der Politik an den Verhandlungstisch setzen kann“, ergänzt van Baalen.

Und was, wenn ein Autofahrer bei einer der nächsten Klebeaktionen auf einer Hauptverkehrsstraße die Fassung verliert und mutwillig auf Protestierende losfährt? „Dieses Risikos sind wir uns bewusst, ob Präventivhaft oder Schlimmeres. Wir machen das alle freiwillig und wissen, wofür wir das tun“, entgegnet van Baalen überzeugt.

Zur Präventivhaft hat auch Karsten Schwanke eine klare Haltung: „Nicht die 'Letzte Generation' sollte in Präventivhaft, sondern die Politiker, die mit ihrem Nicht-Handeln das Grundgesetz, Artikel 20a, also den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen und Tiere, und das Pariser Klimaabkommen brechen“. Tosender Applaus setzt den Schlusspunkt eines kontroversen Abends mit einem versöhnlichen Ende.

Rundschau abonnieren