Interview mit Gabriele Ewenz„Es geht um Kölner Literatur im weitesten Sinne“

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Mit Literatur, Musik und Malerei kennt sie sich aus: Gabriele Ewenz veröffentlichte etliche Publikationen, seit 2009 leitet sie das LiK-Archiv (Literatur in Köln).

Mit Literatur, Musik und Malerei kennt sie sich aus: Gabriele Ewenz veröffentlichte etliche Publikationen, seit 2009 leitet sie das LiK-Archiv (Literatur in Köln).

Gabriele Ewenz leitet das Heinrich Böll- und das LiK-Archiv in der Zentralbibliothek am Neumarkt.

Auf der 2. Etage der Stadtbücherei findet man Heinrich Bölls letztes Arbeitszimmer. Hinein darf man zwar nicht, aber sich davor setzen und ein Interview führen.

„LiK“ steht für „Literatur in Köln“. Was meint das „in“?

Es geht um Kölner Literatur im weitesten Sinne. Die Autoren müssen nicht hier geboren worden sein, aber hier gewirkt haben.

Der Lyriker Rolf Dieter Brinkmann zum Beispiel stammte aus Vechta.

Stimmt, aber ein paar gebürtige Kölner gibt es durchaus, denken wir an Heinrich Böll, Dieter Wellershoff, Jürgen Becker oder Hilde Domin.

Wie kölsch war Brinkmann?

Da müsste man erstmal „kölsch“ definieren.

Ich stelle hier nur die Fragen.

(lacht) Das ist nicht fair. Brinkmann hat Köln gehasst, das ist bekannt. Aber er hat sich in seinen Gedichten auf wunderbare Art und Weise mit dieser Stadt auseinandergesetzt. Provokation kann ja sehr fruchtbar sein.

Die Hassliebe zu Köln kennen wir auch von Heinrich Böll.

Sein Verhältnis zur Heimatstadt war gebrochen. Aber für die Literatur muss das nicht schlecht sein, Böll hat sehr schöne Portraits über Köln geschrieben. Vielleicht muss man sich ein Stück weit distanzieren, um eben auch das Hässliche, Unbequeme, Kontroverse zu sehen.

„Flanieren Sie gern durch Köln?“

Ich mag Köln sehr gern, die Grünanlagen, aber auch das Brüchige.

Die Drogenszene am Neumarkt haben Sie direkt vor der Nase.

Ja, tagtäglich. Hier am Neumarkt lebt man damit. Wenn ich das nicht haben möchte, darf ich in einer Stadt wie Köln nicht wohnen. Dann zieht man besser nach Tübingen.

Sind die Toiletten der Stadtbücherei noch immer mit jenem Blaulicht versehen, in dem die Junkies ihre Venen nicht finden?

Das ist so, ja.

Wo positionieren Sie sich in der Debatte um Abriss oder Sanierung der Stadtbibliothek?

Als Angestellte der Stadt gehe ich davon aus, dass gemäß der aktuellen Beschlusslage die Generalsanierung der Zentralbibliothek realisiert wird.

Archivare sind graue, weltfremde Bücherwürmer: Was ist an diesem Satz falsch?

Alles! (lacht) Was mich selbst betrifft: Ich bin Literaturwissenschaftlerin, keine klassische Archivarin. Das Klischee wird kolportiert, weil man Archive mit verstaubtem Altpapier in tiefen Kellergeschossen verbindet.

Sind das Böll- und das LiK-Archiv nicht verstaubt, sondern lebendig?

Seit der Gründung 1972 geht es dem LiK-Archiv darum, Kölner Autoren eine Stimme zu geben. Deshalb wurde hier von Beginn an publiziert, es wurden Veranstaltungen organisiert, und der Austausch mit den Autoren ist bis heute sehr eng.

Was hat Ihnen zuletzt besonderen Spaß gemacht?

Ein Highlight war im vergangenen November die 50-Jahr-Feier zur Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Heinrich Böll. Böll hat dieses Haus hier, die Kölner Zentralbibliothek, 1979 eröffnet. Bei diesem Anlass sagte er auch, er würde sich sehr freuen, wenn sein Archiv einst hier landen würde.

Das LiK-Archiv sammelt vor allem Literatur der Nachkriegszeit.

Das hängt zum einen mit den Interessen der Gründer zusammen, dem damaligen Leiter der Zentralbibliothek Horst-Johannes Tümmers und der Bibliothekarin Uta Biedermann. Zum anderen waren das 18. und 19. Jahrhundert in Sachen Kölner Schriftsteller doch recht mager.

Von Marx und Engels, die hier in den 1840ern lebten, haben Sie nichts?

Einen Auszug aus dem „Kapital“ hätte ich natürlich gern, das wäre schön. Man könnte auch an Franziska Anneke, Ferdinand Freiligrath oder Wolfgang Müller von Königswinter denken. Aber unser Schwerpunkt beginnt eben im 20. Jahrhundert.

Wer außer Ihnen kennt Ilse Langner?

(lacht) Den Namen habe ich selbst schon ewig nicht mehr gehört. „Die emanzipatorischen Entwürfe in den frühen Dramen Ilse Langners“, das war meine Magisterarbeit.

Warum sollte man die Frau kennen?

Weil sie neben Marieluise Fleißer eine der wichtigen Dramatikerinnen der Weimarer Republik war. Ilse Langner hat sich schon 1928 in ihrem Stück „Frau Emma kämpft im Hinterland“ mit der Situation der Frauen in der Gesellschaft auseinandergesetzt.

Erfüllt sie heutige Feminismus-Standards?

Man muss das im historischen Kontext sehen. Aber das ist zugleich ein Anti-Kriegs-Drama und als solches sicher heute noch lesens- beziehungsweise sehenswert. Wie Fleißer wird auch sie leider kaum noch aufgeführt.

Sie haben einiges in und zu Düsseldorf publiziert.

Deswegen habe ich aber kein spezielles Verhältnis zu Düsseldorf. Als gebürtige Bonnerin ist mir dieser Teil des Rheins nicht so vertraut. (lacht) Jenseits dessen ist diese Köln-Düsseldorf-Sache doch eher albern. Auch in Düsseldorf stößt man auf eine spannende Literatur- und Kunstgeschichte, man denke nur an Heine, an die Kunstakademie oder an Musiker wie Schumann.

Oder Fehlfarben.

Genau, oder die Toten Hosen. (lacht)

Bis 2009 haben Sie das Adorno-Archiv in Frankfurt geleitet. Warum der Wechsel von Adorno zu Böll?

Das hatte zunächst mal private Gründe. Aber zwischen Böll und Adorno gab es durchaus Beziehungen, denken wir an die Frankfurter Poetik-Vorlesung von Böll.

Wer ist für Sie spannender?

Hängt von der Perspektive ab, man sollte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Als Literaturwissenschaftlerin ist mir Böll näher, aber Adornos theoretische Schriften haben demgegenüber einen weiteren philosophischen Horizont.

Wir sitzen direkt vor dem Böll-Zimmer, wie er es an seinem letzten Wohnort in Bornheim-Merten hinterlassen hat. Welches Detail seines Schreibbüros gefällt Ihnen am besten?

Das ist die berühmte Remington-Schreibmaschine, Modell Travel-Riter DeLuxe. Böll hat sie in seiner Dankesrede zum Nobelpreis portraitiert, und später hat Günter Grass sie lithografiert, um Geld für eine gemeinsame Zeitschrift zu akquirieren. Hat allerdings nicht lange hingereicht.

Schreibmaschinen sind heutzutage auch Objekte der Nostalgie.

Beim Tippen beobachtet man ganz direkt den Schreibprozess. Hinzu kommt das Geräusch des Anschlags und des nach rechts wandernden Schlittens: Da entsteht eine andere Nähe als am Computer.

Haben Sie Heinrich Böll mal kennengelernt?

Live gesehen habe ich ihn auf der Friedensdemonstration in Bonn 1981 gegen den NATO-Doppelbeschluss.

Da war ich auch.

(lacht) Wer war da nicht damals! Für mich und meine Generation war das ein wichtiges Ereignis.

Böll hat auch bei Sitzblockaden mitgemacht, zum Beispiel 1983 im schwäbischen Mutlangen gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen. Würde er sich heute auf der Straße festkleben?

Zu 40 Jahre Mutlangen machen wir vielleicht sogar eine kleine Veranstaltung dieses Jahr. Böll hat sich immer engagiert für seine Überzeugungen. Aber ob er sich körperlich so eingebracht hätte? Ich vermag das nicht zu beurteilen.

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