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Zilpzalp bis Mönchsgrasmücke59 Vogelarten brüten auf städtischen Friedhöfen

5 min
Das Rotkehlchen.

Das Rotkehlchen.

NABU Köln erfasst 59 brütende Vogelarten auf städtischen Friedhöfen — Vom Zilpzalp bis zur Mönchsgrasmücke.

Zuerst hört man nur das Wohlbekannte. Taubengurren, ein krächzender Alexandersittich, irgendwo tschilpt es leise, das war's. Zumindest für ungeübte Ohren. Die anderen im Kreis am Eingang des Melaten-Friedhofs indes schauen freudig hoch zu dem ein oder anderen Vogel in den Baumwipfeln, den sie am Gesang erkannt haben. Zugleich hören sie Franz Lindinger und Claus Walter, den beiden Projektleitern des NABU-Arbeitskreises Ornithologie, zu.

Es ist 9 Uhr, die Morgensonne wärmt schon ein bisschen. Neun Ehrenamtliche werden in den kommenden Stunden versuchen, möglichst viele Vogelarten mit„brutrelevantem Verhalten wie Reviergesang oder Nestbau“ auf dem 40 Hektar großen Areal zu entdecken und jede ihrer Beobachtungen in standardisierten Codes dokumentieren. Ihre Begeisterung und Vorfreude sind spürbar.

Vögel auf Melaten: Pfeifen, kollern, Tsirrrrr und Miemiemie

„In diesem Jahr haben wir auf Melaten noch kein Wintergoldhähnchen als Brutvogel nachweisen können, also bitte darauf achten“, sagt Walter. „Und auf Fitis und   Grauschnäpper.“ Ein Rätsel gibt der Mäusebussard auf. Gesehen wurde er auf Melaten schon, allein sein Nest noch nicht. „Wenn ihr ihn irgendwo brüten seht, sagt Bescheid! Es wäre toll, wenn wir sein Brutvorkommen bestätigen könnten“, gibt Walter der Gruppe mit auf den Weg. Die Ergebnisse der aufwendigen Untersuchung (siehe Kasten) wurden Mitte Juli der Stadt vorgelegt, um die große Bedeutung der städtischen Friedhöfe für die Artenvielfalt und den Schutz bedrohter Arten wissenschaftlich fundiert zu belegen.

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Der Weg, das ist auch Innehalten. Hören. Im Licht- und Schattenspiel der alten Linden, über hoch aufragenden Grabkreuzen ist die Luft erfüllt von Lauten. Töne bekommen Kontur, die das Ohr zuvor nicht wahrgenommen hat. Zwitschern, pfeifen, kollern, ein sachtes Tsirrrr, übertönt von schrillem Miemiemie.

Der Dompfaff.

Der Dompfaff.

Schon nach den ersten Schritten macht Laura Zimmerman ein Häkchen auf ihrer Liste. Sie hat ein Rotkehlchen gehört. „Die lernt man als erstes, die sind oft am lautesten“, erzählt sie. Die 33-Jährige ist erst seit Anfang des Jahres im Arbeitskreis Ornithologie und auch auf dem Südfriedhof aktiv. Sie hatte sich viele Gedanken gemacht über die hiesige Vogelwelt, wollte Gleichgesinnte finden, mit denen sie das Erlebnis teilen und zum Artenschutz beitragen kann. „Es erschließt sich eine neue Welt“, sagt sie. „Erst sieht man die Vögel, lernt so die Arten kennen. Plötzlich erkennt man eine an ihrer Tonfolge. Und dann immer mehr.“

Der Zaunkönig gehört zu den kleinsten Singvögeln. Der Zaunkönig ist ein kleiner Vogel. Er kann aber sehr laut singen. (zu dpa: «Experte: «Vögel sind in Frühlingsstimmung»»)

Vögel

Wie aufs Stichwort singt ein unsichtbarer Vogel, als wolle er seine Zuhörer narren, so virtuos kollert, pfeift, schnarrt und tiriliert er in immer neuen Wendungen, bevor er seinen Gesang in Höhen hinauftrudeln lässt. Die heimische Amsel klingt, wie man es von einem Paradiesvogel erwarten würde. Ein Trugschluss, erklärt Claus Walter schmunzelnd. „Je schlichter das Gefieder, desto schöner ist oft der Gesang.“ Deshalb verzaubern der erdbraune Zaunkönig und die Amsel mit ihren Tonfolgen, während der sattrote Dompfaff nur leise piept. Er setzt bei der Werbung aufs Gefieder. Unvermittelt schauen alle zum Himmel. Christina Wohlfahrt hat ein Mauersegler-Pärchen entdeckt, das zum Niederknien elegant rasante Wendungen am Himmel fliegt. Die Vögel haben sich gerade gepaart. Sie tun das im Flug, wie alles in ihrem Leben, wie schlafen, dösen, fressen. „Ich habe erst als Rentnerin beim NABU angefangen“, erzählt die Mittsiebzigerin, die Erwachsenenpädagogin in der Melanchthon-Akademie war. Sie ermittelt im vierten Jahr die Brutvögel auf dem Neuen Mülheimer Friedhof , zusammen mit einer Freundin. Gelernt hat sie, wie alle Neulinge, von erfahrenen Vogelkundlern.

Vogelstimmen-App zur Hilfestellung

Eine große Hilfe ist auch die Vogelstimmen-App. Hier kann man sich die Tonfolgen immer wieder anhören. „Mein Gehör kann immer besser differenzieren, aber ganz leicht ist es immer noch nicht“, sagt Tamara Meinhardt (29) und lacht. Langsam geht die Gruppe durch von Hecken begrenzte Grabfelder. Eine Rabenkrähe hüpft übers Gras, in der Baumkrone tiriliert es. „Ein Stieglitz“, sagt Nina Stücke (47). Dann durchdringt ein volltönendes, sich fast überschlagendes Zwitschern die Morgenluft. Man glaubt es erst beim zweiten Hinsehen, der Gesang kommt aus dem spitzen Schnäbelchen der kleinen Federkugel, die auf dem höchsten Punkt eines Steinkreuzes sitzt. Ein Zaunkönig. Er singt selbstbewusst und unbeeindruckt von den vorübergehenden Menschen in seinem Revier, die winzigen Schwanzfedern gen Himmel aufgestellt. „Kreuze und Grabdenkmäler nutzen die Vögel gerne als Singwarten“, erklärt Lindinger.

Ein Buntspecht keckert, während Roberto Fragapane, Sachbearbeiter bei Carglass, erzählt. Seine Liebe zu Vögeln wurde auf ungewöhnliche Weise entfacht. „Meine Frau hatte einen Dekoartikel gekauft, so ein Vogelhäuschen zum Auf-den-Tisch-stellen.“ Das gefiel auch einem Kohlmeisen-Pärchen. Es brütete darin. „Wir haben den ganzen Frühling beobachtet, wie die Meisen ihren Nachwuchs großzogen“, sagt der 51-Jährige. Da war's um ihn geschehen, seit fünf Jahren gehört er zum Team. Wie Thomas Mahr, der schon als Kind dabei geholfen hat, Nistkästen auf dem Friedhof Lehmbacher Weg aufzuhängen. Der 58-Jährige war 30 Jahre Maschinenbauer bei Ford, er kartiert die Vögel auf dem Ostfriedhof.

Mittlerweile steht die Sonne hoch am Himmel, in der Platanen-Allee suchen alle mit dem Fernglas nach Bruthöhlen. Die gibt es in den uralten Bäumen oft. Tamara Meinhardt hat eine winzige entdeckt, mit Lehm so zugeklebt, dass nur der Kleiber durchschlüpfen kann. „Daher hat er seinen Namen“, sagt Lindinger. Er bekommt ein „C“ für sicheres Brüten.   Die Gruppe freut sich. Ein guter Abschluss. Der Kleiber hat einen sicheren Lebensraum in der Stadt gefunden, und mit ihm Trauerschnäpper, Waldkauz, Zilpzalp, Mönchsgrasmücke und Misteldrossel. Und vielleicht sogar der Mäusebussard.