KriminalitätDas Messer als treuer Begleiter - viele Angriffe in Köln

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Bei Auseinandersetzungen kommen immer häufiger Messer zum Einsatz. Diesen Umstand beklagte die Kölner Polizei schon vor einigen Jahren. Doch der Trend hält an.

Bei Auseinandersetzungen kommen immer häufiger Messer zum Einsatz. Diesen Umstand beklagte die Kölner Polizei schon vor einigen Jahren. Doch der Trend hält an.

In Köln sind im vergangenen Jahr 470 Messerangriffe zur Anzeige gebracht worden. Zuletzt gab es vor allem bei jungen Menschen mehrere Attacken, ein junger Mann starb in Stammheim. Auf Spurensuche mit Streetworkern und Sozialpädagogen.

Verabredet war eine Auseinandersetzung alter Schule. Eins gegen eins. Marvin (15), der eigentlich anders heißt, hatte etwas mit einem Konkurrenten zu klären. Doch der brachte Verstärkung mit, insgesamt acht Jugendlichen sah sich Marvin damals gegenüber. Vor lauter Angst, richtig vermöbelt zu werden, holt Marvin ein Messer aus seiner Tasche und rammt es seinem Gegenüber in den Oberkörper. Rückblickend hätte er sich lieber ein blaues Auge geholt. Denn für Marvin endete die Geschichte im Jugendarrest.

Angst ist ein sehr häufiges Motiv, wenn Jugendliche oder junge Erwachsene zum Messer greifen. „Wer Täter wird, hat in 90 Prozent der Fälle selbst schon Opfererfahrungen gemacht“, weiß Jonas Bücker, Sozialpädagoge und Anti-Gewalttrainer bei der Caritas Köln. Er kennt Marvin und beschreibt ihn als „angenehm, clever und sprachfähig“. Sein Widersacher hat den Messerstich damals überlebt. „Er hat die Gefahr der Dynamik erkannt und geht heute sehr früh dazwischen“, erzählt Bücker. „Denn ein Messer zu ziehen, ist eine sehr endgültige Reaktion“, sagt der Anti-Gewalttrainer.

"Arbeitsgruppe Messerkultur" in Chorweiler

Zuletzt haben sich die Fälle schwerer Auseinandersetzungen zwischen jungen Menschen gehäuft, obwohl die Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahr rückläufig sind. In Stammheim starb voriges Wochenende ein 23-Jähriger nach einer Auseinandersetzung mit mehreren Männern. Tatwaffe war ein Messer. Die Bundespolizei hat zwei Jugendliche gefasst, die einem 15-Jährigen am Hauptbahnhof ein Messer präsentiert und ihn zur Herausgabe seines Geldes genötigt hatten. Für Entsetzen sorgte der Tod einer Zwölfjährigen in Freudenberg, die von strafunmündigen Klassenkameradinnen erstochen worden war.

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Im Stadtbezirk Chorweiler gibt es seit einigen Jahren schon die „Arbeitsgruppe Messerkultur“. Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen tauschen sich hier aus, Sozialarbeiter und Streetworker. „Die Bereitschaft, verbotene Waffen zu tragen, ist gestiegen. Selbst Zwölfjährige sind teilweise schon bewaffnet“, stellt Streetworker Roman Friedrich fest. Er arbeitet schon seit 2007 im sozialen Brennpunkt der Chorweiler Hochhäuser. Doch die Konsequenzen, ein Messer bei sich zu tragen, seien vielen Jugendlichen nicht bewusst, ist er überzeugt.

Angst und fehlende Selbstwirksamkeit als Ursachen

Der Senat in Berlin hat nach den Silvesterausschreitungen in der Hauptstadt 90 Millionen Euro freigegeben, um Maßnahmen gegen Jugendgewalt zu finanzieren. Im ganzen Land zeigten sich während der Corona-Pandemie Mediziner und Psychologen besorgt, weil psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen deutlich zugenommen haben. „Die Pandemie spielt eine große Rolle. Teilweise wurden Jugendliche als Pandemietreiber wahrgenommen. Die Erfahrungen von Selbstwirksamkeit sind in dieser Zeit viel zu kurz gekommen“, erklärt Sozialpädagoge Jonas Bücker die Entwicklung.

Die problematischen Auswirkungen der Pandemie auf die Jugend hatte unlängst auch der Deutsche Ethikrat erkannt. „Während der Covid-19-Pandemie wurde nicht hinreichend gewürdigt, welchen psychischen Belastungen sie durch die Pandemie selbst sowie durch die zu ihrer Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen ausgesetzt waren. Der jungen Generation wurde große Solidarität abverlangt“, betont Alena Buyx, Vorsitzende des Ethikrates. Nun sei es wichtig, unterstützende Angebote auszubauen und „Versorgungslücken zu schließen“.

Der Aufenthalt im Arrest ist eine dramatische Erfahrung und extreme psychische Herausforderung.
Jonas Bücker

Viele Hilfsangebote waren in der Pandemie weggefallen, das Elternhaus wurde oft unfreiwillig zum Lebenszentrum Heranwachsender. „Es war wichtig, alle Angebote wieder ans Laufen zu bringen und Jugendliche wieder in eine Struktur zu bringen“, sagt Ralf Heinen (SPD), Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses und selbst Lehrer. Kinder Jugendliche erleben seiner Beobachtung nach „eine extrem schwierige Zeit“. Das Frustpotenzial sei hoch, angefacht werde dies durch Probleme in der Schule, durch Krieg und Inflation, die das Leben teurer gemacht haben. Vor allem für Familien, für die das Geld schon vorher knapp war.

Nicht überall ist die familiäre Atmosphäre liebevoll und fürsorglich. „Gewalt ist oft ein Symptom, wenn Dinge in Schieflage geraten sind“, weiß Jonas Bücker, Teamleitung im Caritas Jugendzentrum GOT (Ganz Offene Tür) in der Elsaßstraße . Häusliche Gewalt sei als Ursache nicht zu unterschätzen.

In den Gerichtssälen an der Luxemburger Straße geht es nach Auseinandersetzungen zwischen jungen Menschen nicht mehr nur um Körperverletzung, sondern teilweise um Totschlag. Eine Verurteilung bleibt dann kaum aus. „Der Aufenthalt im Arrest ist eine dramatische Erfahrung und extreme psychische Herausforderung“, sagt Jonas Bücker. So sei es auch für Marvin gewesen. Sofort nach seiner Messerattacke hatte der Jugendliche einen Nervenzusammenbruch erlitten.

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