Ukrainerin in Köln erzählt„Der Krieg ist ein Wendepunkt in meinem Leben“

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Lisa, geflüchtete Ukrainerin

Lisa, geflüchtete Ukrainerin

Sie war 22, machte Online-PR für Mode und lebte in einer Wohnung in Charkiw mit Freund und Hund. Dann kam der 24. Februar 2022. Und alles änderte sich.

Als das Gespräch auf die Toten kommt, schießen Übersetzerin Olena die Tränen in die Augen. Lisa drückt den Rücken durch, sitzt kerzengerade. Sie weint nicht. Ja, von den jungen Männern, mit denen sie studiert hat, sind einige tot. „Die Jungen, die starben, wissen, wofür“, sagt Lisa ernst. Laut Pass wird sie im Mai 24. „Ich fühle mich viel älter. Ich bin im vergangenen Jahr gealtert. Keiner von uns ist mehr so wie vorher. Wir haben uns alle verändert“, sagt Lisa, „Der Krieg ist ein Wendepunkt in meinem Leben.“ Vieles, was ihr wichtig war, zähle jetzt nicht mehr. „Dinge wie Erfolg, Status, Klamotten, Aussehen.“ Stattdessen zählen Familie und Freunde und „Menschenleben zu retten“.

Eine junge Frau in Aufbruchstimmung

Im Februar 2022 noch war sie eine andere. „Ich habe Wert auf mein Aussehen gelegt, mich für Mode interessiert, mich geschminkt und die Nägel manikürt.“ Eine junge Frau in Aufbruchstimmung. Lisa lebt mit ihrem Freund und ihrem fünfjährigen Bulldoggen-Rüden Dizy in der ersten gemeinsamen Wohnung in Charkiw. Das Paar ist seit vier Jahren zusammen. Ein Studium der Kommunikationswissenschaft liegt hinter Lisa, sie macht Online-PR für Markenkleidung, stellt das schöne Leben in Wort und Bild dar. Voller Tatendrang hat sie mit einer Freundin gerade ein kleines Unternehmen gegründet.

„Am 24. Februar rief meine Mutter weinend an. Ich sollte was einpacken, warme Sachen, Dokumente und das Handy.“ Charkiw, nur 40 Kilometer von der russischen Grenze in der Ostukraine, ist eines der ersten Ziele der Russen. „Niemand wusste, was wir tun sollten. Alle Kinder sind erst einmal zu ihren Familien gegangen. Auch mein Freund und ich.“ Eine Nacht verbringen Lisa, ihre Mutter, die dreijährige Schwester und Dizy in einer Kirche.

Danach geht es in den Keller von Bekannten. „Wir hörten immer Explosionen. Meine Schwester hat die Hand unserer Mutter nicht mehr losgelassen.“ Als sie den Keller wechseln wollen, werden sie beschossen. „Wir hatten plötzlich das Gefühl, dass wir direkt nach der Sperrstunde lossollten.“ Mit einem Konvoi und Bekannten, die ein Auto haben, fahren Lisa und ihre Familie an die Grenze zur Slowakei. Zu Fuß geht es rüber.

Schreiende Kinder an der Grenze

„Da war es ganz voll. Schreiende Kinder, alle gestresst und genervt. Aber es gab auch Essen, und wir wurden warm empfangen.“ Eineinhalb Koffer haben die drei dabei. „Das, was wir für den Keller und eigentlich ohne zu überlegen eingepackt hatten. Ich war froh, dass ich eine zweite Jacke mithatte, darin konnte Dizy liegen.“

Seit dem 8. März 2022 ist Lisa in Deutschland. An verschiedenen Stellen in und um Köln hat die Familie bisher gewohnt. Jetzt hat sie eine kleine Wohnung in Chorweiler. Lisa teilt sich ein Zimmer mit einer Bekannten aus der Ukraine. Fast täglich ist sie in der Südstadt beim Blau-Gelben Kreuz. „Hier ist ein kleines Stück Ukraine“, sagt sie über den Verein, der humanitäre Hilfe organisiert. Lisas Aufgabe: Lieferungen in die Region Charkiw zu managen. „Ich kommuniziere viel, mache auch Online-Kommunikation“, sagt sie. Nicht mehr über Mode wie vor dem Krieg, sondern über Lebenswichtiges.

Unbedingt zurück in die Ukraine

Weil Lisa ihre Aufgabe beim Blau-Gelben Kreuz in Köln so wichtig für die Ukraine findet, ist sie noch hier. „Ich fühle, dass ich hier jetzt hilfreich sein kann. Ich will aber unbedingt zurück in die Ukraine. Für meine Mutter und meine Schwester ist es sehr schwer hier.“ Obwohl sie sich gut aufgenommen fühlen. „Die Leute sind wirklich nett und sie geben mir auch ein gutes Gefühl.“ Stärker aber noch ist das Heimweh.

Im Sommer hat es Lisa nicht mehr ausgehalten. Zusammen mit ihrem Hund ist sie für eine Woche zu ihrem Freund nach Charkiw gereist. Er war geblieben und hatte bei Evakuierungen geholfen. Es war eine Reise in eine Stadt, in der nichts mehr so war wie sie es kannte. „Charkiw ist leer. Kinder spielen weiter, wenn sie Explosionen hören. Sie reagieren nicht mehr, es ist für sie normal geworden.“ Zusammen mit ihrem Freund war Lisa da, wo sie im Februar mit Mutter und Schwester im Keller gesessen hatte. Dort ist fast alles zerstört. „Ich war auch auf dem Friedhof. Da wird ein Grab nach dem anderen ausgehoben.“

„Je mehr Waffen, desto weniger Tote“

Als „schrecklich schmerzhaft“ empfand es Lisa, wieder wegzufahren nach Deutschland. „Wenn ich hier nicht das Blau-Gelbe Kreuz gefunden hätte, wäre ich geblieben“, sagt sie. Dann ist es ihr wichtig, zu appellieren: „Das ist nicht irgendein Krieg. Das ist ein Krieg zwischen Tyrannei und Demokratie. Die Ukrainer geben ihr Leben für die Demokratie. Es ist sehr wichtig, dass alle das verstehen.“ Statt für Mode und Lifestyle, wirbt Lisa jetzt für Waffen. „Der einzige Weg, den Krieg zu beenden, ist mit Waffen. Je mehr wir bekommen, desto weniger Leute sterben. Desto schneller können wir nach Hause. Es gibt keine Alternative zum Sieg der Ukraine.“

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