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Viele VeranstaltungenKöln feiert 60 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei

Lesezeit 4 Minuten

Türkische Arbeitnehmer warten im Sommer 1970 auf ihren Flug in die Türkei. Viele der ab 1961 von Deutschland angeworbenen so genannten Gastarbeiter konnten ihre Familien in der alten Heimat nur selten sehen.

Köln – „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Mit diesem Zitat von Max Frisch begann Oberbürgermeisterin Henriette Reker ihre Rede beim Auftakt der Feiern zum 60. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens. Darin hatte Deutschland am 30. Oktober 1961 mit der türkischen Botschaft die Entsendung von Arbeitern aus der Türkei geregelt.

Ausstellungen, Lesungen, Theater, Filme und mehr

60 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkommen: Dazu gibt es in den nächsten Tagen viele Veranstaltungen in Köln. Am Mittwoch, 27. Oktober, findet von 16 bis 18 Uhr in der Stadtteilbibliothek Mülheim im Bezirksrathaus, Wiener Platz 2a, eine türkisch-deutsche Literaturlesung statt. Auf dem Programm stehen „Geschichten in und aus der Migrationsgesellschaft“.

Am selben Tag geht es im Bürgerhaus MüZe, Berliner Straße 77, ab 18 Uhr um das Thema „Fordstreik 1973 – Der Kampf um die Mark und die Würde“. Ab 20 Uhr gibt es dort die Theaterperformance „Gastfrau – Zwischen Heim und Weh“.

Am Donnerstag, 28. Oktober, wird um 19 Uhr im Filmforum Museum Ludwig, Bischofsgartenstraße 1, der Film „Gleis 11“ gezeigt, in dem sechs zugewanderte Menschen über ihre ersten Jahre in der neuen Heimat, über Einsamkeit, Hoffnungen, Träume und Ängste sprechen. Als Erstausstrahlung im TV ist der Film am Samstag, 30. Oktober, 20.15 Uhr, bei Phoenix zu sehen.

Im Kulturbunker, Berliner Straße 20, wird am Freitag, 29. Oktober, das Theaterstück „Ich bin ein Gastarbeiterkind“ aufgeführt. Es beschäftigt sich mit den menschlichen Wunden und Traumata von Migrantenkindern. Ab diesem Tag wird im Bürgerhaus MüZe dienstags bis freitags von 11 bis 17 Uhr die Ausstellung „Gurbet – von der Vergangenheit in die Gegenwart“ mit Biografien von Zuwanderern der ersten, zweiten und dritten Generation gezeigt (bis 12. November).

Im Bürgerzentrum Ehrenfeld, Venloer Str. 429 , wird am Samstag, 30. Oktober, 11 Uhr, die Fotoausstellung „60 Jahre Anwerbeabkommen – deutsch-türkisches Leben in Deutschland“ eröffnet. Sie ist bis 30. November täglich zu den Öffnungszeiten des Zentrums zu sehen. Um 18.30 Uhr werden im Wallraf-Richartz-Museum die Preise im Literaturwettbewerb „60 Jahre Einwanderung aus der Türkei“ verliehen. Für die meisten Veranstaltungen ist eine Voranmeldung erforderlich.

Frischs Satz treffe im Kern das, was die Geschichte der so genannten Gastarbeiter ausmache, diese sei „unser aller Geschichte“, sagte Reker am Dienstag im Gürzenich vor 250 geladenen Gästen, darunter der türkische Generalkonsul Turhan Kaya. Die Zuwanderung von fast 900 000 Menschen aus der Türkei seit 1961 sei „eine Erfolgsgeschichte, ohne die der Wohlstand der Bundesrepublik und der Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg, auch in Köln, einfach nicht möglich gewesen wäre“. Aus heutiger Sicht sei schon der Begriff Gastarbeiter eine Zumutung, betonte die OB, denn es seien keine Gäste gekommen und nicht bloß Arbeiter, „sondern Menschen mit ihren Lebensträumen, Plänen, Talenten und auch ihren Ängsten im Gepäck“. Die wenigsten hätten damals erwartet, so Reker, dass die Neuankömmlinge auf Dauer bleiben würden – was Betroffene später in einem Filmbeitrag bestätigten. Man sei davon ausgegangen, nach einigen Jahren in die Türkei zurückzukehren, habe aber in Köln Wurzeln geschlagen, erzählten mehrere Kölnerinnen und Kölner mit türkischer Familiengeschichte.

Wie hart das Leben für die Einwanderer der ersten Generation oft war, wurde in dem Film und einer kleinen Ausstellung deutlich: Schwere körperliche Arbeit, teils menschenunwürdige Unterbringung und Diskriminierung gehörten für viele zum Alltag. Gleichwohl betonten die Interviewten unisono, dass Köln ihre Heimat sei.

Deutschland habe sich lange nicht als Einwanderungsland begriffen, sagte Reker, sie ging dabei auch kurz auf die Diskussion um ihr Modellprojekt für Muezzinrufe ein: „Auch einige Kommentare und die Vehemenz, manchmal sogar der Hass in der aktuellen Debatte um den Gebetsruf an Kölner Moscheen weisen zumindest auf eine noch immer tiefe Verunsicherung hin, was Toleranz und vor allen Dingen Respekt in einer Einwanderungsgesellschaft bedeuten müssen.“ NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) sagte mit Blick auf die Muezzin-Debatte, es könne Reibungen und Konflikte geben, „aber das muss eine Gesellschaft aushalten“.

Der türkische Generalkonsul Turhan Kaya erklärte, bei der Berufsausbildung  sei die türkischstämmige Bevölkerung unterdurchschnittlich qualifiziert, hier gebe es noch viel zu verbessern. Der Vorsitzende des Kölner Integrationsrats und des Landesintegrationsrats NRW, Tayfun Keltek, betonte,  Menschen mit internationaler Familiengeschichte würden für die deutsche Gesellschaft „ein einmaliges Potenzial" darstellen. Das gelte es zu würdigen und zu fördern, anstatt auf Defizite zu schauen.