Forsa-Chef Güllner analysiert im Interview die Chancen von Aymaz und Burmester. Er erklärt, warum die Grünen trotz bundesweiter Verluste in Köln stärkste Kraft wurden und welche Rolle die niedrige Wahlbeteiligung dabei spielte.
Wahlforscher zu OB-Stichwahl„In Köln ist der Unmut sehr groß geworden“

Er oder sie? Torsten Burmester und Berivan Aymaz kämpfen in der Stichwahl ums OB-Amt.
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In zehn Tagen entscheiden die Kölnerinnen und Kölner, ob Torsten Burmester oder Berivan Aymaz ihr neues Stadtoberhaupt wird. Mit Forsa-Chef Manfred Güllner sprach Jens Meifert über die Ausgangslage.
Berivan Aymaz gegen Torsten Burmester, Grüne gegen SPD: Wer hat die besseren Chancen am Sonntag in einer Woche?
Das hängt sehr stark davon ab, wie sich die entscheiden, die im ersten Wahlgang für den CDU-Kandidaten Markus Greitemann oder andere gestimmt haben. Es ist nicht so, dass Burmester keine Chancen hat, weil er am letzten Sonntag deutlich weniger Stimmen bekommen hat.
Aymaz gewann gut 28 Prozent der Stimmen, Burmester gut 21 Prozent. Viele konservative Wähler haben inzwischen eine regelrechte Abneigung gegen die Grünen. Motivation genug, um jetzt die SPD zu wählen?
In Köln hat Berivan Aymaz ein sehr gutes Ergebnis errungen, das lag daran, dass die Grünen-Wähler sehr zahlreich zur Wahl gegangen sind. In den Hochburgen der Partei liegt die Wahlbeteiligung zum Teil über 70 Prozent, in Chorweiler waren es dagegen nur 40 Prozent. Es gibt also ein großes Gefälle. Andererseits gibt es viel Unmut über die grüne Politik, gerade über die Verkehrspolitik. Die Frage ist, ob dieser Unmut insgesamt so groß ist, dass man eine grüne Oberbürgermeisterin unbedingt verhindern will. Es könnte das drohen, was in Bonn passiert ist: Dort ist die Stadtgesellschaft regelrecht gespalten durch die sehr interessengeleitete Politik der grünen Oberbürgermeisterin.
Die Grünen sind wieder stärkste Kölner Ratsfraktion geworden. Ein Viertel der Wählerinnen und Wähler hat in Köln grün gewählt.
Weil die grünen Anhänger sich stärker beteiligt haben als die Anhänger der anderen Parteien. Köln ist damit wie auch Münster und Bonn eine Ausnahme im gesamten Bundesland. Sonst haben die Grünen überall deutlich verloren und in fast allen kreisfreien Städten und Landkreisen ihren Platz an die AfD abtreten müssen.
Die AfD ist im neuen Rat mit acht Sitzen vertreten, hat mehr als 9 Prozent der Stimmen bekommen. Was machen die AfD-Wähler bei der Stichwahl?
Das ist eine gute Frage. Gegen welchen der beiden Kandidaten ist die Abneigung größer? Oder ist der Unmut so groß, dass man lieber ganz zuhause bleibt? Die AfD-Wähler lehnen ja alle von ihnen sogenannte Alt-Parteien ab.
Die Frage stellt sich bei der Linken genauso. Die Wahlbeteiligung ist in der Regel in der zweiten Runde deutlich geringer: 2020 gingen nur 36 Prozent zur Stichwahl. Wovon gehen Sie dieses Mal aus?
Das ist ein Problem. Es wird immer sehr gelobt, dass der Oberbürgermeister oder die Oberbürgermeisterin direkt gewählt wird. Aber immer dann, wenn es keine Kopplung mehr mit anderen Wahlen gibt, sinkt die Beteiligung extrem. Den Leuten ist es eigentlich egal, wie ein Oberbürgermeister ins Amt kommt. Und die Inflation der Kandidaten macht es nicht einfacher.
In Köln standen 13 Kandidaten und Kandidatinnen zur Wahl.
Die keiner alle kennt. Die Bürger erwarten in erster Linie, dass ein Bewerber kompetent und vertrauenswürdig ist. Und das kann im Zweifel der Stadtrat besser beurteilen. Aber die Direktwahl ist nun einmal beschlossene Sache. Im ersten Wahlgang sind 43 Prozent der Menschen nicht zur Wahl gegangen, und von der leicht höheren Wahlbeteiligung hat vor allem eine Partei profitiert: die AfD.
Woran liegt das?
Menschen, die unzufrieden sind, wandern zunächst ins Lager der Nichtwähler – und das auf allen politischen Ebenen. Damit zeigen sie gewissermaßen die gelbe Karte. Und wenn die nicht ernst genommen wird, dann ist der Frust so groß, dass man weiter zur AfD wandert. Das ist auch in Köln passiert. Die Unzufriedenheit über den Zustand der Stadt, über den Müll und den Dreck, der ist nun seit Jahren und so lange so groß, dass der Frust der AfD-Wähler gebracht hat.
Hat auch die Linke, die auf fast elf Prozent der Stimmen gekommen ist, davon profitiert?
Nein, die Linke hat aktuell in erster Linie Fuß gefasst bei den jungen Wählern. Und das bundesweit, auch weil die SPD da ein Vakuum hinterlassen hat. Die Linke ist nun längst nicht mehr die SED-Nachfolgepartei und wird auch nicht mehr mit der DDR in Verbindung gebracht, sondern das ist eine neue, attraktive linke Partei.
Sie haben in der Studie vor der Kommunalwahl deutlich gemacht, wie unzufrieden die Kölnerinnen und Kölner mit der Stadtverwaltung, aber auch mit der Politik sind. Dass sie den Handelnden keine Lösungen zutrauen. Glauben Sie, die beiden OB-Kandidaten können glaubhaft machen: Mit mir wird das anders?
Zumindest ist es ihnen bis jetzt nicht gelungen. Frau Aymaz hat ihre Klientel gut mobilisiert, aber eine OB oder ein OB muss für alle da sein. Aber auch die Wahlsprüche der SPD und Herrn Burmester sind grottenschlecht. Das führt nicht zu einer Aufbruchstimmung und daher machen sich viele wenig Hoffnung, dass nach der Wahl viel besser wird.
Im neuen Stadtrat wird es vermutlich schwierig mit Mehrheitsbündnissen.
Die Koalitionsbildung ist auf kommunaler Ebene eigentlich unangebracht und in gewisser Weise sogar schädlich. Es geht um konkrete Problemlösungen, um Verkehrsfragen, ums Wohnen um die Schulen. Ideologische Konfliktlinien sind da fehl am Platz, das ist genau das, was die Leute nicht wollen. Mehrheitsentscheidungen und Konsens in Einzelfragen, das ist gefragt.
Die AfD hat acht Stimmen im neuen Stadtrat. Wie sollen die anderen Parteien damit umgehen?
Die blaue Welle wabert nun übers ganze Land, aber die AfD ist immer noch eine Minderheit. Auf lokaler Ebene muss man sich ganz klar von der rechtsradikalen AfD abgrenzen, auch wenn das bei Sachentscheidungen schwierig ist. Jedes Paktieren stärkt sie hingegen. Die große Gefahr ist, dass die AfD den Brückenkopf, den sie nun in NRW geschaffen hat, weiter ausbaut. Da müssen die anderen höllisch aufpassen. Viele sehen diese Gefahr noch gar nicht richtig. In sechs Kreisen und kreisfreien Städten ist die AfD zweitstärkste Partei geworden. Mit einer überzeugenden Politik vor Ort kann man ihnen das Wasser abgraben. In Köln ist das jedoch angesichts des immer größer gewordenen Unmuts sehr schwierig.
Was würden Sie den Kandidaten vor der Stichwahl empfehlen?
Sie müssen sich in erster Linie um das kümmern, was die Menschen bewegt und nicht nur um ihre Klientel. Das Geheimnis von Theo Burauen (Kölner Oberbürgerbürgermeister von 1956 bis 1973/Anm. d. Red.) war, dass er ein kleines Notizheft im Jackett dabei hatte. Und wenn sich einer über das liegengebliebene Laub auf der Straße bei ihm beschwerte, hat er sich das aufgeschrieben und das entsprechende Amt angerufen. Zwei Tage später war das Laub weg. Hat funktioniert.
Manfred Güllner war von 1978 bis 1983 Leiter des Statistikamtes in der Kölner Stadtverwaltung. Er gründete 1984 das Meinungsforschungsinstitut Forsa, das er bis heute in Berlin mit zwei weiteren Geschäftsführern betreibt.