Paul-Georg Dittrich erzählt „Das Rheingold“ mit Reizüberflutung und lässt nach der Premiere etwas ratlos zurück.
„Das Rheingold“Im Kölner Staatenhaus geht es zu wie im Comic

"Das Rheingold" mit Tuomas Katajala (Froh), Emily Hindrichs (Freia), KS Miljenko Turk (Donner).
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Was macht man, wenn die Graphic Novel zwar alles für jede und jeden verständlich erklärt, das Gerüst die Geschichte dann aber am Ende doch nicht trägt? „Das Rheingold“, mit dem die Oper jetzt den Startschuss eines neuen „Ring des Nibelungen“ gab, ist so ein Fall. Es fühlt sich ungefähr so an: Erwartungsfroh schlägt man den neuen „Asterix“ auf, liest und endet auf einmal in einem Splattervideo.
Eingedöst
Warum eigentlich nicht? Vielleicht, weil Comic und Horror zwei Genres sind, die man lieber jedes für sich konsumiert. Richard Wagner erst penetrant-putzig, dann dramatisch und düster – da schaltet man dann lieber doch ab, steigt aus. Das genau passierte bei der Premiere in Saal 1 des Staatenhauses: Einige im Publikum dösten bei den bunten Bildchen regelrecht weg.
Am Ende gab es auch laute Buhrufe, die aber überhaupt nicht den erstklassigen Solisten und dem Gürzenich-Orchester galten, das unter Marc Albrecht vor dümpelnden Szenen alles gab, um den Spannungsbogen nicht abreißen zu lassen. Albrecht schlägt temporeich, kostet lyrische Passagen fein und kontrastreich aus und gewinnt die volle Aufmerksamkeit der Musiker.
Regisseur Paul-Georg Dittrich, Gründungsmitglied des Frankfurter Musiktheater-Kollektivs „HearEyeSay“, hat es sich zur Aufgabe gemacht Opern, laut seiner Aussage „ins zukunftsweisendes Theater und immersive Kunsträume zu übersetzen“. Potenziell neue Zuschauer mag er gewinnen, manche bewährten Opernfreunde aber verlieren, denen es einfach zu bunt wird.
Keine Märchenstunde
Dass Wagner auch das Sujet Märchen in seinem Mammutwerk aufgriff, mag stimmen. Beim „Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend“, die der Komponist und Texter für den „Ring des Nibelungen“ auslegte, handelt es sich aber um mehr als eine Märchenstunde.
„Das Rheingold“ als Parabel von Ursprung und Ende der Welt mag auf den ersten Blick eine schlüssige Auslegung sein. Charmant wirkt der Ansatz, alles einmal aus der kindlichen Warte zu erzählen: Freia (Emily Hindrichs) als Göttin in sehr viel rosa Tüll, wirkt ein bisschen doof — das Smartphone immer raus und rein aus der güldenen Apfeltasche.
Die Riesen Fasolt (Christoph Seidl) und Fafner (Lucas Singer) haben die Dollarzeichen um den Hals. Die Götter Donner (Miljenko Turk) und Froh (Tuomas Katajala) kommen als schildkrötiger Batman und als knatschgelber Superheld daher. Loge (Mauro Peter) spottet über die anderen Götter, die von der Angst gelähmt sind, ihre ewige Jugend zu verlieren, weil sie nicht mehr von Freias Äpfeln essen.
Loge selbst schaut aus wie ein hanswurstiger Autohändler. Wotan (Jordan Shanahan) trägt einen lila Mantel und einen Helm ähnlich dem von Majestix. Alle spielen diese Persiflage mit sichtbarer Begeisterung. Witz und Referenz an den Comic weidet Dittrich genüsslich aus.
Was die Kinderstatisterie dabei leistet, ist wirklich grandios. Unter einer Drachenhaut klettern die Mitglieder von Turnvereinen zum Beispiel durch ein unterirdisches Konstrukt, das an Käfig aus dem Tierversuch und Rhönrad erinnert. Mimisch spiegeln sie die Innenwelten eines verulkten Alberichs (Daniel Schmutzhard) oder einer trinkfreudigen Fricka (Bettina Ranch). Dann werden sie selbst zur zombiehaften Hülle.
Farbenfreudig und schrill
Dittrich will damit zeigen, was geschieht, wenn die freie, noch unbelastete Fantasie in einer machtbesessenen Gesellschaft instrumentalisiert wird. Der Wandel der Temperatur vollzieht sich auch in der Farbe: Knatschbunt fängt alles an, von Kinderhand gemalt mit liebevoll gefalteten Papierbötchen – schaukelnd auf den Wellen aus Wasserfarbe.
Die Rheintöchter Woglinde (Giulia Montanari), Wellgunde (Regina Richter) und Flosshilde (Johanna Thomsen) brillieren beim Zungenbrecher „Weia! Waga! Woge, du Welle, walle Wiege wagala weia! Walala, weiala“.
Alles ist so farbenfreudig und schrill, dass einem fast die Netzhaut platzt. Ein Auge ist nach jedem Bühnenbild auf dem Vorhang zu sehen — wie im „Tatort“. Auf der Pupille zeichnen sich zunehmend verstörende, düstere Dinge ab. Aber auch wenn Zitate und Symbole im Bühnenbild von Pia Dederichs und Leana Schmid durchgängig sind, reißt der rote Faden ab. Denn dass der Klamauk, mit dem alles eingeläutet wird, so kläglich ausgebremst wird, mag zwar symbolisch für Raubbau und Verblassen der Fantasie stehen. Doch hat der Teil, der in der Unterwelt spielt, weit mehr Überzeugungskraft.
Kindersklaven
Ein von den Frauen tief verletzter Alberich terrorisiert dort Zwergenbruder Mime (Martin Koch) und die Kindersklaven. Der sagenhafte Ring und die Tarnkappe machen ihn zum Zauberer, der sich in alles verwandelt. Zuletzt in die kleine Kröte, die sich Wotan fängt. Auch in der Oberwelt lässt die Grausamkeit nicht zu wünschen übrig. Loge quält Alberich mit dem Elektroschocker, bis der König des Zwergengeschlechts sich seine Freiheit durch Preisgabe des Nibelungenhorts erkauft.
Wotan entreißt ihm zuletzt den Ring, der fortan mit Alberichs Fluch verbunden ist. Gänsehaut beim Auftritt der Erdgöttin Erda (Adriana Bastidas-Gamboa), deren Warngesang tief erschüttert.
150 Minuten (ohne Pause). Karten gibt es unter anderem für den 29.10., 31.10., 2.11. und 6.11.

