Monographie über Gerhard RichterEntwicklungslinien eines geplant Spontanen

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Gerhard Richters Bild „Tante Marianne“ aus dem Jahr 1965

  • Armin Zweite hat eine kluge Monographie über den Wahl-Kölner Gerhard Richter vorgelegt.
  • Der langjährige Leiter der Kunstsammlung NRW verzichtet darauf, die Schaffenskraft des Künstlers auf eine Formel bringen zu wollen.
  • Zweite präsentiert Richter schillernd in all seinen Facetten.

Köln – Das erste Bild im Werkverzeichnis des kreativen Alleskönners ist kein Vorgeschmack auf die Weltkarriere, sondern ein Zeugnis des Scheiterns. „Tisch“ heißt das Gemälde von 1962, wobei Gerhard Richter das elegante Möbelstück aus einer italienischen Designzeitschrift zum groben Abklatsch missriet. Und selbst der Versuch, die Farbe mit Lösungsmittel von der Leinwand zu wischen, zeitigte nur ein kreisförmiges Schmierakel.

Doch Richter, gerade als (keineswegs verfolgter) Künstler von Dresden nach Düsseldorf gekommen, verwarf das Bild eben nicht. Zwar sah er sich und die Zeitgenossen als „Erben einer ungeheuren, großen, reichen Kultur der Malerei, die wir verloren haben, der wir aber verpflichtet sind.“

Zugleich lehnte er herkömmliche Ideen von Inspiration oder gar Genie ab und entschied sich für eine scheinbar banale Themenquelle: „Ein Foto ist perfekt, es ändert sich nicht, es ist absolut.“

Gerhard_Richter

Gerhard Richter 

Armin Zweites aktuelles Buch über „Leben und Werk“ des Wahlkölners versucht gar nicht erst, dessen quecksilbrige Schaffenskraft auf eine Formel zu bringen. Vielmehr zeichnet der langjährige Leiter der Kunstsammlung NRW und der Münchner Sammlung Brandhorst Entwicklungslinien nach, die er stets aus der jeweiligen Zeit erklärt.

Da ist anfangs das Reizklima an der Düsseldorfer Akademie, die Anarchie der Fluxus-Jahre, zugleich die aus den USA heranbrandende Pop-Art. Richter saugt all das auf, ohne es sich anzueignen. Statt dessen: Gemälde nach Fotos. Richter maßt sich nicht an, so die Wirklichkeit ins Bild zu holen, ihm geht es um „den Schein der Realität“.

Doch auch letztere wird durch die kunstvollen Verwischungen surreal gebrochen. Wobei sich manches Motiv eher zufällig oder erst nachträglich mit Bedeutung auflädt.

„Onkel Rudi“,  etwa posiert im Wehrmachts-Ausgehmantel vor einer groben Steinmauer, die dem Gemälde etwas Bedrückendes gibt. Und die ebenfalls aus dem Familienalbum entnommene Szene mit „Tante Marianne“ wirkt fast wie eine Pietà. Richter selbst erfährt erst viel später, dass Marianne Schönfelder im Euthanasieprogramm der Nazis ermordet worden war.

Nachdenklich politischer Zeitgenosse

Selbst in den hochpolitisierten 60er und 70er Jahren sieht er sich nie als „unverstandener Künstler“ oder gar Bürgerschreck. Doch wenn er die erschütterte Jacqueline Kennedy 1964 (kaum erkennbar) als „Frau mit Schirm“ malt oder wenn er im Zyklus „18. Oktober 1977“ den Selbstmord der RAF-Gefangenen in Stammheim sehr düster ins Bild setzt, zeigt er eine nachdenkliche Zeitgenossenschaft.

Zweites Buch verdankt seinen Titel einem Satz von Gerhard Richter: „Das Denken ist beim Malen das Malen“.  Der schöpferische Prozess also folgt keinem Programm, sondern verlässt sich auf „geplante Spontaneität“.

Zur Person

Gerhard Richter wurde 1932 in Dresden geboren und floh 1961 in den Westen. Seit 1983 lebt er in Köln, wo er 2007 Ehrenbürger wurde, nachdem er der Stadt den Entwurf für das südliche Domfenster geschenkt hatte. Er gilt als einer der teuersten Gegenwartskünstler. (EB)

Klug meidet der Autor dieser Monografie die pure Vollständigkeit eines Werkverzeichnisses, sondern lässt diesen Künstler in allen Facetten schillern: Da sind die grauen Bilder, die Glasscheiben und Spiegel als Suche nach einem Nullpunkt, von dem aus die Malerei wieder neu beginnen könnte.

Die verfremdeten „Seestücke“ dürfen nicht fehlen, ebenso wenig wie die Schlüsselwerke: Sehr subtil analysiert Armin Zweite „Ema“, diesen wunderbaren Akt, auf dem die Nackte eine Treppe eher hinunter schwebt als steigt. Die Kapitelaufteilung nach Genres spiegelt zwar von Installationen, Farbskalen und Stillleben bis zum weiten Feld der abstrakten Großformate die immense Spannweite des Künstlers, führt aber auch zu einigen Wiederholungen im Text.

Letzterer ist dank kleiner Schrift in absatzarmen Kolonnen keineswegs leicht lesbar. Doch die hervorragend reproduzierten Werke lassen keinen Zweifel, was allein für Gerhard Richter zählt: „die ästhetische Leistung der Kunst“.

Armin Zweite: Das Denken ist beim Malen das Malen. Gerhard Richter – Leben und Werk Schirmer/Mosel, 480 S.,  251 Farbtafeln, 128 Euro.

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