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RJM in KölnFotos von Sebastião Salgado zeigen bedrohte Kultur im Amazonas-Gebiet

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Sebastiao Salgado AMAZONIA - Rautenstrauch-Joest-Museum

Kämpfen für den Erhalt des Regenwaldes (v.l.): Lélia Wanick Salgado, Francisco Piyāko Asháninka und Beto Marubo

Das Rautenstrauch-Joest-Museum zeigt die Wanderausstellung „Amazônia“ mit Sebastião Salgados Fotos aus dem brasilianischen Regenwald.

„Wir dürfen nicht einfach nur Bilder sein in so einer Ausstellung, sondern wir müssen auch den Leuten zu verstehen geben, dass wir wirklich existieren.“ Diesen Satz habe ihm sein Bruder Moisés mit auf den Weg gegeben. Und nun ist Francisco Piyāko Asháninka hier im Rautenstrauch-Joest-Museum, wo im Rahmen der Ausstellung „Amazônia“ auch Fotografien zu sehen sind, die Sebastião Salgado von ihm, seiner Familie und Mitgliedern seines Volkes, den Asháninka, gemacht hat. Ein Bild seiner Tante Julieta Piyāko ziert das Plakat für die Sonderausstellung, die ein halbes Jahr lang in Köln gezeigt wird.

Beto Marubo (der zweite Name zeigt die Zugehörigkeit zu seinem Volk an) ergänzt, dass es eben auch Sebastião Salgados Wunsch war, dass Vertreter der Gruppen, die er für sein Projekt fotografierte, nach Europa kommen, „damit wir einfach mehr sind als einfach nur Menschen, die auf Fotos gezeigt werden. Und damit wir für Aufmerksamkeit sorgen für unsere Sache.“

Sebastiao Salgado AMAZONIA - Rautenstrauch-Joest-Museum

Blick in die Ausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum

Diese „Sache“, das ist die Bedrohung des Regenwaldes und somit des Lebensraumes indigener Völker in Brasilien (und darüber hinaus). Viele Jahre bereiste Salgado den Regenwald, schuf großartige Aufnahmen der Landschaft und ihrer Bevölkerung. Die Resultate sind ein Buch im Taschen-Verlag und die dazugehörige Ausstellung, die in mittlerweile 16 Ländern weltweit zu sehen war, zuletzt etwa in Brüssel (die Rundschau berichtete) und laut Sponsor Zurich-Versicherung von bald zwei Millionen Menschen besucht worden ist.

Salgado mit Hang zum Dramatischen

Und betritt man den großen Ausstellungsraum im Museumskomplex am Neumarkt, kann man den Publikumszuspruch verstehen: Großformatige Landschaftsaufnahmen, in packendem Schwarz-Weiß, scheinen im Raum zu schweben. Typsich für Salgado ist die ungeheure Intensität, der Hang zum Dramatischen. Die Flusslandschaften, die Wälder und Berge scheinen den Betrachter direkt anzusprechen: Wir sind so großartig, so schön wie könnt ihr auf die Idee verfallen, uns nicht hegen und pflegen zu wollen?

Sebastiao Salgado AMAZONIA - Rautenstrauch-Joest-Museum

Blick in die Ausstellung.

Hier zielt eine Hyper-Ästhetisierung auf die Überwältigung des Besuchers. Jedes Foto ist bis ins Letzte durchkomponiert, kein Detail dem Zufall überlassen. Aber das anfängliche Staunen weicht schon durch die Masse der Bilder einer Ermüdung, einer Überforderung von Geist und Auge. Als sei das nicht genug, erklingt dazu ein von Elektroniktüftler Jean-Michel Jarre („Oxygene“) gewobener Klangteppich, der bis in die hinterste Ecke dringt.

Auf der Längsachse des Raums sind dazu drei Waben angeordnet, die den Porträts der Bewohnerinnen und Bewohner aus den unterschiedlichen Regionen gewidmet sind. Salgado zeigt sie in gestellten, an Familienfotos erinnernde Aufnahmen sowie beim Jagen, bei Ritualen oder ganz alltäglichen Verrichtungen.

Sebastiao Salgado AMAZONIA - Rautenstrauch-Joest-Museum

Francisco Piyāko Asháninka beim Besuch der „Amazônia“-Ausstellung.

Die Mehrzahl der Fotografierten ist aus europäischer Sicht nackt, die Körper nur bedeckt von Bemalungen, Ketten, Federn oder etwa Baströcken. Dadurch geraten vor allem die Fotos jüngerer Frauen bisweilen in den Bereich der Aktfotografie ein Fakt, der an früheren Stationen bereits kritisiert worden ist.

Der Rundschau hatte etwa Professor Jens Jäger von der Uni Köln gesagt, dass für ihn der im Mai gestorbene Salgado „an den Gegenständen, die er fotografiert hat, ein ästhetisches Interesse“ und für seine Fotos „als Rezipienten einen westlichen Betrachter im Kopf“ hatte.

Kritik an der Schau verblasst

Die Direktorinnen des RJM, Nanette Snoep und Anne Fischer, äußerten sich in der Rundschau dahingehend, dass man mit dem Studio Salgado in Paris in Abstimmung sei, ob in Köln alle Aufnahmen gezeigt würden. Das RJM-Team, das, wie zuletzt bei der Ausstellung „Missionssammlungen ausgepackt“ noch einmal betont wurde, eigentlich nur „nicht-verletzenden Darstellungen“ zeigen will, konnte sich scheinbar nicht durchsetzen: So sind dieselben Fotos wie etwa in Brüssel zu sehen. Und auch unter den Tast-Reliefs für nicht-sehende Besucher sind weiterhin solche, auf denen Brüste und Penisse berührt werden können.

Sebastiao Salgado AMAZONIA - Rautenstrauch-Joest-Museum

Für Nicht-Sehende wurden Tast-Reliefs von einigen der Fotografien angefertigt.

Doch alle Kritik verblasst neben dem Anspruch der Schau, auf dieses bedrohte Gebiet aufmerksam zu machen und seinen Bewohnern eine Stimme zu geben. So laufen auf Bildschirmen Interviews mit Vertretern der Völker, die von den Gefahren durch Klimawandel berichten, etwa wenn der Regen nicht zur richtigen Zeit kommt und so ein Nahrungsmangel entsteht. Oder in verschmutzen Flüssen die Fische sterben und das verunreinigte Wasser nicht mehr getrunken werden kann. Das ist an Eindringlichkeit nicht zu überbieten.

Die Kritik richtet sich gegen „die Weißen“, vor allem gegen die brasilianische Politik. So sagt Lélia Wanick Salgado, Salgados Witwe und Kuratorin der Schau, in Köln über den mittlerweile inhaftierten ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro: „Amazonien war ihm egal, die indigene Bevölkerung ebenso genau wie Frauen und Schwarze.“ Außerdem habe er Plünderern erlaubt, in indigene Gebiete einzudringen, ergänzt Beto Marubo. Und auch wenn dessen Nachfolger Luiz Inácio Lula da Silva zwar im Sinne der Indigenen handeln wolle, würde die Legislative regelmäßig die von Lula initiierten Gesetze wieder kippen. Der Kampf um den Erhalt dieser einzigartigen Region der Welt geht weiter.

Die Ausstellung selber wurde von Lélia Wanick Salgado kuratiert. Das Rautenstrauch-Joest-Museum fungiert als Gastgeber und hat nur über ein Begleitprogramm die Möglichkeit, inhaltlich zu agieren. Unter dem Motto „Die Zukunft ist indigen“ sind zum einen Formate wie Talks und Veranstaltungen zusammengefasst. Zum anderen hat Alfredo Vilar eine Intervention für die Dauerausstellung des RJM kreiiert: Indigene Künstlerinnen und Künstler zeigen Arbeiten zu Selbstbestimmung, Identität und Klimaungerechtigkeit.

„Indigene Selbstbestimmung ist für uns keine Fußnote der Klimafrage, sondern ihre Voraussetzung“, macht Nanette Snoep klar. „Für uns im RJM heißt das: zuhören, teilen, Verantwortung übernehmen und Räume öffnen, in denen diese Stimmen den Verlauf bestimmen.“

„Amazônia“ läuft bis 15. März 2026, Programm unter rjm-amazonia.de.