Daniel Kehlmann und John Wray bei der Lit.CologneWahnsinnige bieten große Vorteile

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Kehlmann

Daniel Kehlmann bei der Lit.Cologne.

Köln – Oh ja, seine Erfahrungen mit dem Literaturbetrieb im deutschsprachigen Raum hat John Wray schon gemacht: als Teilnehmer am Ingeborg Bachmann-Wettbewerb 2017 in Klagenfurt nämlich. „Sie gehen da hart um mit den jungen Autoren“, berichtete er seinem Gesprächspartner Daniel Kehlmann bei der „Patenschafts“-Veranstaltung der Lit.Cologne: „Man kann ziemlich zerfleischt werden.“ Einen Trost aber hatte Wray, wenn ihn der Mut verließ: „Ich konnte mich damit beruhigen, dass ich ja eigentlich auf Englisch schreibe.“

Wray ist ein literarischer Sonderfall: Ein gestandener US-Romancier, der bald 50-jährig beim österreichischen Nachwuchswettbewerb vorstellig und mit dem Preis des Deutschlandfunks ausgezeichnet wird und dann vier Jahre später mit „Madrigal“ einen allseits gefeierten Band mit acht Erzählungen auf Deutsch veröffentlicht.

Gut, seine Mutter ist Österreicherin, aber aufgewachsen ist er in der Heimat seines amerikanischen Vaters – wo im Übrigen auch die meisten Erzählungen von „Madrigal“ spielen. Wie es zu „Madrigal“ kam, interessierte nicht nur Kehlmann, der seit fünf Jahren in New York lebt und mit Wray befreundet ist.

Die Tiefen der Sprachen ausloten

Die Antwort war überraschend profan: „Es war ein Vorschlag meines deutschen Verlags, Rowohlt“, antwortete Wray in nur ganz sacht amerikanisch eingefärbtem Österreichisch, seiner „Muttersprache“ in jeder Hinsicht. Kehlmanns Eindruck, dass er gar nicht erst versuche, über die Eigenheiten der Sprache „hinwegzugleiten“, sondern im Gegenteil mit poetischen Wendungen und Metaphern ihre Tiefen auslote, belegte eine Leseprobe aus der Erzählung „Silberwetter“: Von der „Marmorierung der Luft über seinem Kopf wie Schweinefleisch“ ist da die Rede, oder vom Himmel als „gekrümmtes Reservoir von Silber.“

Im Verlauf eines unterhaltsamen Gesprächs verständigten sich die beiden Autoren unter anderem verschmitzt darüber, dass Wahnsinnige als Hauptpersonen einige Vorteile bringen. Denen könne der Autor schließlich einen Teil der Verantwortung für gewagte sprachliche Bilder in die Schuhe schieben – das schaffe Raum zum Experimentieren.

Um die Schriftstellerei geht es auch in der letzten Erzählung des Bandes „Achtsamkeit“, in der ein Autor, der noch nie einen Elefanten gesehen hat, an der Aufgabe verzweifelt, einen solchen zu beschreiben. Ein Autor, so stellt sich heraus, der nach dem College-Abschluss nie wieder einen Text fertiggestellt, geschweige denn veröffentlich hat. John Wray las dies mit ironischem Unterton, aber auch mit viel Empathie: „Alle Autoren sind neurotisch“, bekannte er.

Dann erfuhr der Zuschauer daheim am Monitor noch, dass Theater-Tickets in New York praktisch unerschwinglich sind, weshalb Daniel Kehlmann Freund Wray regelmäßig ins Kino schleppt: „Sonst geht ja keiner mit.“

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Kehlmanns Filmgeschmack sei eben furchtbar, entgegnete John Wray, der eigentlich Henderson heißt und seinen Künstlernamen von der weiblichen Hauptdarstellerin, Fay Wray, im Monster-Klassiker „King Kong und die weiße Frau“ von 1933 ausgeliehen hat: „Immer diese Blockbuster, wo es kracht und alles zerstört wird.“ Sie waren sich aber einig, dass das jüngste „Alien“-Sequel grottig ausgefallen ist: „Aber das Production-Design war doch okay“, merkte Kehlmann noch gut gelaunt an.

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