Corona und die FolgenDer Kölner Messe steht eine lange Durststrecke bevor

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Der Eingang der Kölnmesse (Archivbild)

Köln – Auch von der jüngsten Runde von Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten gab es kein Signal für eine Öffnung, bedauert der Kölner Messechef Gerald Böse. „Das ist nicht nur für mich enttäuschend, sondern für die ganze Branche“, so der Messechef weiter. Physische Messen gibt es in Köln jetzt auch bis einschließlich Mai keine. Die erste Schau mit Besuchern soll im Juni die internationale Gartenmesse spoga + gafa sein.

Wirtschaftliche Folgen

15 Monate ohne Präsenzmessen hinterlassen tiefe Spure in der Bilanz. Nach einem voraussichtlichen Verlust von 115 Millionen im abgelaufenen Jahr rechnet Böse für 2021 mit einem Verlust von 65 Millionen. Statt einem ursprünglich erwarteten neuen Rekord-Umsatz von mehr als 500 Millionen würden es wohl nur 250 Millionen.

Grafik einnahmen Messe (1)

Voraussetzung: In der zweiten Jahreshälfte gibt es wieder Präsenzmessen. Denn trotz ausgefeilter Formate sorgen digitale Messen derzeit erst für zehn Prozent des Umsatzes von Messen mit Besuchern. Ab 2023 will die Messe das frühere Umsatzniveau über 400 Millionen wieder erreichen. In geraden Jahren ist der Umsatz geringer, weil dann weniger große Messen stattfinden.

Sparmaßnahmen

Die Messe spart kräftig. Sie hat 2020 laut Böse die veranstaltungsrelevanten Kosten um 120 Millionen gesenkt, die Gemeinkosten um 15 Millionen, darunter neun Millionen für Personal. Frei werdende Stellen werden nicht nachbesetzt, so dass laut Böse jetzt schon 50 Stellen offen sind. Es gibt Stellenstreichungen im Ausland, aber auch den Verzicht auf feste Büros etwa in den USA. In Deutschland nutzt die Messe Kurzarbeit. Die Mitarbeiter im Inland will Böse aber an Bord halten. „Die Mannschaft bleibt auf Betriebstemperatur, damit wir nach der Pandemie durchstarten können“, so Böse. Die Kölner Messe werde besser durch die Krise kommen als andere Standorte.

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Der Grund: Sie hat viele eigenen Messen im Jahres- und Zweijahresrhythmus, wenige ganz große Veranstaltungen im Drei- oder Vier-Jahres-Turnus. „Das bringt uns auch nach Absagen und Verschiebungen schneller in den Markt zurück.“ In der Branche erwartet Böse eine Konsolidierung, die vor allem kleine und mittlere Standorte treffen könne. Finanzielle Unterstützung von Bund, Land oder Stadt hat die Messe laut Böse bisher nicht erhalten: „Wir prüfen die Möglichkeiten der ‚November-/Dezemberhilfen‘ des Bundes, sehen aber hier nur geringe Chancen.“

Kapitalmaßnahmen

Die Messe wünscht sich von ihren Eigentümern, das sind die Stadt Köln mit einem Anteil von 79 Prozent und der Bund mit 20 Prozent, eine Kapitalspritze von 120 Millionen Euro. Entscheidungen stehen dazu noch in diesem Monat an. Ende 2019 hatte die Messe noch 120 Millionen Liquidität und ein Eigenkapital von 255 Millionen Euro. Die Verluste im abgelaufenen und im laufenden Jahr haben das Eigenkapital laut Böse auf etwa 140 Millionen schmelzen lassen. Mit der Kapitalspritze wäre die Messe aber wieder auf dem Stand Ende 2019. Ohne weitere Maßnahmen seien die Herausforderungen von 2021 und 2022 nicht zu bewältigen. Die Messe will das Kongresszentrum Confex, laut Böse eine „Investition in Innovation“, für 5000 Besucher bis 2024 bauen. Dazu braucht sie das Geld. Würde sie etwa Kredite dafür aufnehmen, wären möglicherweise in Zukunft notwendige Modernisierungen oder Reparaturen nur mit dann teuren Krediten zu finanzieren. Je höher die Kredite, desto schlechter die Bonitätsbewertungen.

Das Investitionsprogramm

Messe 3.0 heißt das laufende Investitionsprogramm der Messe. 2030 sollte das abgeschlossen sein mit Investitionen von insgesamt 700 Millionen. Jetzt nimmt sich die Messe mehr Zeit. 2034 soll das Programm abgearbeitet sein. „Wir tragen der neuen Finanzlage Rechnung und passen unsere Pläne an, wo es angebracht ist.“, so Böse. Ein neues Parkhaus und die Halle 1 stehen bereits. Andere Aufträge sind schon erteilt und könnten nur gegen hohe Schadensersatzleistungen storniert werden, so Böse. Die Sanierung der Halle 10, die größte der Messe mit 44.000 Quadratmetern, ist fast fertig, so Böse. Das kostete 72 Millionen. Auch in Halle 2 ist eine Etage schon fertig. Halle 3 ist jetzt zwischen 2025 und 2028 dran. Für die Neugestaltung der Fassade an der Deutz-Mülheimer-Straße gibt es noch keinen Termin. Ebenso noch nicht für den auch Terminal genannten Ost-West-Boulevard. Hier wurden die Pläne aber modifiziert. Ursprünglich sollte der Boulevard komplett verkleidet werden. Jetzt entstehen auch freie Flächen „Die neue Lösung bietet die gleiche Funktionalität“, so Böse. Außerdem gibt es mehr Grün auf dem ansonsten hoch versiegelten Messegelände. Das ermögliche auch Außengastronomie, so Böse.

Externe Dienstleister

Große Probleme sieht Böse bei langjährigen Partnern der Messe, etwa beim Auf/ und Abbau oder beim Catering, die teilweise schon seit Jahrzehnten mit der Messe zusammenarbeiten. „Da können wir leider schon aus rechtlichen Gründen keine finanzielle Hilfe leisten, werden aber im Rahmen unserer Verträge so entgegenkommend wie möglich sein.“

Digitalisierung und Hybrid-Modell

Bislang war die Sache ganz einfach: Die Messe findet wie gewohnt in physischer Präsenz statt oder komplett im Netz. Die Erwartungshaltung der Aussteller könnte sich aber nach Corona nachhaltig ändern: Hybrid-Modelle – ein physisches Event mit digitaler Reichweitenverstärkung – rücken immer stärker in die Betrachtung. Ein „Kernprodukt mit konzentrischen Kreisen“ nennt das Böse. Das Kernprodukt ist der Stand, die Kreise die digitale Reichweite. Wobei die Bedürfnisse der jeweiligen Kunden berücksichtigt werden müssen – nicht jeder hat die gleichen Ansprüche oder Anforderungen. Böse glaubt, dass die zunehmende Digitalisierung auch auf das Kerngeschäft „einzahlen“ kann: Wer viel Reichweite erzielt, erreicht auch Interessenten, die den jeweiligen Anbieter bislang nicht auf dem Schirm hatten. „Das Konzept wird ausgebaut, es ist für uns wie für die Aussteller eine spannende Geschichte“, sagt Böse. „Wir sind bereit für neue Modelle.“ Bereits 2020 hat die Kölnmesse digitale Formate ausgearbeitet und – wo möglich – auch umgesetzt. 50 Millionen Euro wurden bislang in die Digitalisierung gesteckt, weitere 50 Millionen sind geplant. „Wir sind froh, dass wir mit Samsung einen Kooperationspartner haben, ohne den vieles gar nicht möglich wäre.“ Die Digitalisierung werde in den nächsten zwei bis drei Jahren das Geschäft mit den Quadratmetern nicht ablösen, aber die Voraussetzungen für digitale Erweiterungen liefen auf Hochtouren.

Debatte um die Hauptverwaltung

„Die Parameter haben sich verändert“, sagt Messe-Chef Gerald Böse: Die neue Hauptverwaltung muss nicht mehr zwingend ein Neubau sein. Ein „neuer Investor“ zeige „großes Interesse“ daran, die Messe als Mieter zu halten. Böse: „Das prüfen wir nun, vor allem unter wirtschaftlichen Aspekten.“ Dass dafür aber einiges getan werden müsste, ist auch klar: Fassadenteile bröckeln herab, der Zuschnitt genügt modernen Ansprüchen längst nicht mehr, die ganze Haustechnik ist komplett veraltet. „Da wurde über Jahre nichts mehr getan“, sagt Böse und macht kein Geheimnis daraus, dass das Verhältnis zum ehemaligen Vermieter „nicht das beste war“. Das könnte sich nun ändern.

Allerdings ist der Neubau nach wie vor eine Option, allerdings nicht mehr aus Eigenmitteln, sondern als Joint-Venture: Die Messe stellt das Gelände, ein Investor baut die neue Hauptverwaltung und die Messe mietet dann zurück. Wobei auch der Bürobedarf „neu priorisiert“ wurde: War man bislang von etwa zehn Prozent Überbelegung ausgegangen, sind es nun „eher 20 bis 30 Prozent“ – so hoch schätzt man den Anteil der Belegschaft ein, die auch nach Corona im Homeoffice arbeitet.

Bis zu 80 Millionen Euro sollte das neue Gebäude mit rund 20 000 Quadratmetern an der Deutz-Mülheimer-Straße kosten. Die Planungen stammen vom dänischen Büro Cobe. Baubeginn war ursprünglich für 2023 vorgesehen, die Fertigstellung für 2025 – dann läuft der Mietvertrag für den Altbestand aus. Eine Entscheidung über den Sitz der künftigen Hauptverwaltung muss bis spätestens Juni gefallen sein  

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