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Gespräch mit neuem NRW JustizministerStigmatisiert der Begriff „Clan“, Herr Minister?

Lesezeit 4 Minuten
Stammt aus einer Juristenfamilie und leitet seit Kurzem das NRW-Justizressort: Benjamin Limbach.

Stammt aus einer Juristenfamilie und leitet seit Kurzem das NRW-Justizressort: Benjamin Limbach.

Köln – Herr Minister, Schwarz-Grün will eine „einheitliche Definition zu Clan-Kriminalität, ohne Personen unter Generalverdacht zu stellen“. Stellt NRW denn bisher Clan-Angehörige unter Generalverdacht?

Wir müssen mit dem Begriff Clan-Kriminalität vorsichtig sein und dürfen niemanden damit stigmatisieren. In diesen Familienverbünden bewegen sich auch Menschen, die sich rechtstreu verhalten und die wir nicht mit den anderen in einen Topf werfen dürfen. Es besteht die Gefahr, dass ich mit der Stigmatisierung aller Mitglieder einer Großfamilie die Loyalität der Familie gegenüber sogar noch stärke. Ich bevorzuge daher den Begriff Organisierte Kriminalität. Das schließt familiäre Verbünde, aber zum Beispiel auch Rocker ein.

Finden Sie den Kampf von Innenminister Herbert Reul (CDU) gegen die Clans grundsätzlich richtig?

Bei der Rechtsdurchsetzung gibt es keinen Unterschied zwischen Innen- und Justizministerium. Herbert Reul hat den Kampf gegen die sogenannte Clan-Kriminalität als Marke gesetzt, und er hat Erfolge damit. Ich will nur daran erinnern, dass es sich um gemeinsame Erfolge der Polizei und der Justiz handelt. Die Polizei steht oft im Lichte der Öffentlichkeit. Aber die Staatsanwaltschaft ist die eigentliche Herrin des Ermittlungsverfahrens.

Zur Person

Benjamin Limbach, Spross einer Juristenfamilie, die in fünfter Generation mit der Sozialdemokratie verbunden ist, trat erst 2018 aus der SPD aus und in die grüne Partei ein. Vor seiner juristischen Laufbahn, die ihn unter anderem auch ins Richteramt führte, war der heute 52-Jährige Zeitsoldat. Zuletzt leitete Limbach als Präsident die Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Ein Lebensmotto des Familienvaters aus Bonn ist: „Du musst die Welt so nehmen, wie sie ist, aber du darfst sie nicht so lassen.“

Beim Parteitag der NRW-Grünen in Bielefeld Ende Juni avancierte Limbach mit seiner Rede zum neuen Liebling der Partei: Die Delegierten applaudierten ihm und seinen Vorstellungen von einer bürgernahen Justiz stehend. „Viele sagen: Menschen in der Justiz sind die wichtigste Ressource. Sie sind aber nicht einfach eine Ressource, sondern sie machen den Rechtsstaat aus“: Solche Sätze trafen den Nerv des grünen Publikums. (mk)

Sind Sie das Korrektiv zum Law-and-Order-Mann Reul?

Ich will und werde eng und vertrauensvoll mit Herbert Reul zusammenarbeiten. Der Begriff Clan-Kriminalität steht ja auch im Koalitionsvertrag. Ich sage nur, dass ich für eine unabhängige Justiz stehe, deren Symbolfigur mit einer Augenbinde versehen ist. Vor der Justitia dürfen weder Herkunft noch Religion, Geschlecht, Einkommen, sexuelle Orientierung oder Identität, Alter, Hautfarbe oder Behinderung zählen. Daher ist ein Justizminister immer vorsichtig bei der Verwendung von Begriffen, die das Potenzial einer Stigmatisierung haben. Eine bestimmte Herkunft darf nicht automatisch zu einem Verdacht führen.

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Erkennen Sie die Dringlichkeit des Clan-Problems? In Essen haben sich neulich Hunderte Menschen eine Schlägerei geliefert.

Der Handlungsbedarf ist groß. Wir sind den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verpflichtet und müssen zeigen, dass der Staat auf Menschen, die das Recht brechen, reagiert. Es darf keine rechtsfreien Räume geben. Wenn der Bürger den Eindruck hat, Polizei und Justiz gehen an bestimmte Themen nicht ran, dann kommt es zu Vertrauensverlust. Es gibt mancherorts Probleme mit Organisierter Kriminalität, und da gehen wir mit Nachdruck ran.

Im Kampf gegen Kindesmissbrauch hat ihr Vorgänger Peter Biesenbach (CDU) gefordert, neu über Vorratsdatenspeicherung nachzudenken. Sind Sie offen für diese Anregung?

Ich sehe eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung mit Skepsis. Einerseits wollen wir natürlich die Opfer solcher Straftaten schützen. Andererseits greifen wir da in den hochsensiblen Bereich der Persönlichkeitsrechte ein. So, wie ich mich durch eine Stadt bewegen will, ohne dass staatliche Stellen wissen, wo ich hingegangen bin, möchte ich mich im virtuellen Raum bewegen.

Jene Menschen, die der Nazi-Diktatur widerstanden haben, seien für ihn Vorbilder, sagt Benjamin Limbach. Seine Mutter, die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, Jutta Limbach (Foto), habe ihm gesagt: „Wir stehen auf den Schultern von Riesen, die vor uns viel geleistet haben. Jeder muss seinen Beitrag dafür leisten, dass wir nicht wieder in die Barbarei zurückfallen.“ (mk)

Wir wissen nach Lügde, wie groß die Dimension dieser Verbrechen ist. Mit den Persönlichkeitsrechten werden auch Täter geschützt, oder?

Ich kann das Bedürfnis, Straftäter aufzuspüren, gerade im Bereich des grauenvollen Verbrechens Kindesmissbrauch, vollkommen nachvollziehen und damit auch den Hinweis, wir könnten leicht diese Daten haben. Wenn man das nur auf die Täter bezogen sieht, ist die Sache klar: Von denen möchten wir alle Daten haben. Aber betroffen davon sind auch Millionen Unbeteiligte, die sich sicher durch das Internet bewegen wollen, ohne dass der Staat weiß, welche Seiten sie dort besuchen. Wir müssen diese Interessen in Einklang bringen: Das Interesse der großen Mehrheit an Bewegungsfreiheit auch im Netz, das Interesse, Personen strafrechtlich zu verfolgen und das Interesse der Opfer, insbesondere der Kinder, geschützt zu werden. (mk)

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