Interview mit Alice WeidelAustausch zwischen AfD und CDU „läuft längst“
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Alice Weidel.
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Alice Weidel ist seit 2017 Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion der AfD und Oppositionsführerin.
Im Interview spricht sie über eine Halbzeitbilanz der AfD im Bundestag, den Flügel und die Kommunikation mit dem Zentralrat der Juden.
Alexander Gauland bezeichnet sie als „die große Integrationsfigur der Partei“.
Sie sind seit zwei Jahren im Bundestag – was ist Ihre Halbzeitbilanz?Weidel: Wir sind sehr zufrieden. Das ist eine sehr gute Halbzeitbilanz mit über 2000 parlamentarischen Initiativen und mehr als 40 Gesetzentwürfen.
Was halten Sie für das Wichtigste?
Alles ist wichtig. Wir haben unsere gesamte Programmatik abgedeckt. Damit wollen wir die Zukunft unseres Landes zum Besseren wenden. Derzeit zeigen in Deutschland alle Wohlstandsindikatoren nach unten. Zehntausende Arbeitsplätze werden abgebaut und das wird in die Hunderttausende gehen. Die Bundesregierung zerstört mit ihrem Kampf gegen den Verbrennungsmotor die Automobilindustrie.
Autos mit Verbrennungsmotoren haben eine viel größere Wertschöpfung als E-Autos. Doch die Elektroautos werden nun hoch subventioniert, weil sie sonst nicht wettbewerbsfähig wären. Das führt zu Arbeitsplatzabbau und geht in eine planwirtschaftliche Richtung, wo der Staat die Preise verzerrt. Dazu kommt eine völlig verunglückte Energiewende. Ich mache mir große Sorgen um dieses Land.
Wenn Sie die Bandbreite Ihrer Programmatik ansprechen: Woran liegt es, dass Sie auch nach sechs Jahren noch kein Sozial- und Rentenprogramm haben?
Wir haben viele Rentenprogramme. Die müssen aber abgestimmt werden. Es gibt keine einfache Lösung. Es geht nicht um die Frage: Entweder Kapitaldeckung oder Umlagefinanzierung. Man braucht immer ein Mischsystem. Daneben sollte es einen Ausgleichsfonds über der Umlage geben, der demographische Dellen abfangen kann. Das haben einige Industrieländer wie die Schweiz, Schweden oder auch China; wir haben es nicht. Es zeigt sich auch, dass die Konzepte der anderen Parteien nicht aufgehen. Nicht umsonst hat die OECD Deutschland gerade ein desaströses gesetzliches Rentensystem bescheinigt. Unser Sozial-Parteitag wird im April 2020 stattfinden, dann haben wir ein Ergebnis. Definitiv.
Wie mächtig ist der Flügel, in dem sich rechtsnationale AfD-Mitglieder versammeln?
Der Flügel hat einen gewissen Proporz in unserer Partei, ca. 20 bis 30 Prozent. In manchen Bundesländern ist er auch stärker.
Flügel-Vertreter wie Andreas Kalbitz bekommen mühelos die Mehrheit bei den Wahlen.
Er wird eben auch von anderen Mitgliedern außerhalb des Flügels gewählt. Wir haben viele Neutrale, die keiner Strömung zugerechnet werden können. Die machen einen gehörigen Anteil der Partei aus.
Wenn sie in Schnellroda im Zentrum der Neuen Rechten sind, machen Sie das, um den Anschluss zum Flügel nicht zu verlieren?
Als Fraktionsvorsitzende fällt mir die Aufgabe zu, mich mit jedem zu unterhalten um zu einigen. Wir integrieren unserer Bundestagsfraktion alle Strömungen. Im Vorstand spielt es keine Rolle, welcher Strömung man angehört. Es kommt darauf an gute Arbeit zu leisten. In Schnellroda habe ich in meiner Rede sehr strittige Punkte angesprochen. Zum Beispiel: Wir haben einen breiten Meinungskorridor, wer sich aber permanent außerhalb bewegt, muss diese Partei verlassen. Ich habe in Schnellroda auch gesagt, dass Demonstrationen wie in Chemnitz kontraproduktiv sind. Diese Position muss ich auch da anbringen, wo es für mich unangenehm ist. Ich agiere immer mit offenem Visier.
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Beim Parteitag am Wochenende wollen Delegierte die Unvereinbarkeitsliste von Mitgliedschaften in der AfD mit bestimmten Organisationen streichen.
Der Antrag ist kontraproduktiv. Ich sehe dafür auch keine Mehrheit.
Die Antragsteller schreiben, die Wähler könnten nicht verstehen, dass eine patriotische gewaltfreie Organisation wie die Identitäre Bewegung in der AfD so geächtet werde.
Ich halte es hier mit Götz Kubitschek, der sagt: „Die Identitäre Bewegung ist bis zur Unberührbarkeit kontaminiert.“
Wie bewerten Sie den angekündigten Rückzug von Alexander Gauland von der Parteispitze?
Ich bedaure es, dass Alexander Gauland nicht mehr als Parteichef zur Verfügung stehen will. Er ist die große Integrationsfigur der Partei. Ihm ist es stets gelungen die AfD einigend zusammenzuhalten. Ich unterstütze aber seinen Vorschlag, Tino Chrupalla als seinen Nachfolger in dieses Amt zu wählen. Er hat bislang sehr gute Arbeit in Sachsen und im Fraktionsvorstand geleistet.
Wie gehen Sie mit der Einstellung anderer Parteien Ihnen gegenüber um?
Ich kann zum Beispiel nicht nachvollziehen, warum man sich im parlamentarischen Betrieb nicht einmal grüßen kann. Man sollte trotz unterschiedlicher Auffassung immer miteinander sprechen können. Wir sind die größte Oppositionspartei, im Osten knapp stärkste Kraft. Wir werden noch weiter wachsen. Ich verstehe nicht, warum es diese bürgerliche Ausgrenzung gibt.
Kann das auch an Ihnen liegen?
Die Ausgrenzung wird von den anderen Parteien betrieben. Dass aktuell die SPD im Bundestag so aggressiv reagiert liegt auf der Hand. Sie hat im Osten durch uns viele Funktionen und Jobs in der Politik verloren.
Liegt das nicht auch an Ihren Inhalten? Wenn Sie etwa den Nationalsozialismus in tausend Jahren deutscher Geschichte als „Vogelschiss“ bezeichnen.
Alexander Gauland hat sich für diese Aussage entschuldigt, er hat das auch ganz anders gemeint. Aber die Probleme liegen im Jetzt, etwa die Wohlstandsverluste für die künftigen Generationen.
In seinem Buch versucht Björn Höcke mehrfach, die Vergangenheit umzudeuten. Mag das erklären, warum andere sich von der AfD distanzieren, wenn Sie die Distanzierung nicht hinkriegen?
Ich habe Höckes Buch nicht gelesen, deswegen kann ich das nicht beurteilen.
Wo steht denn nun Höcke? In der Mitte der Partei?
Björn Höcke ist der Repräsentant des Flügels.
Und den hat der Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft. Wie wird die Überprüfung der AfD enden?
Das wird sich nicht erhärten. Der Staatsrechtler Dietrich Murswiek hat festgestellt, dass das Dossier des Verfassungsschutzes nicht neutral und objektiv ist. Der Verfassungsschutz agiert aus meiner Sicht in unserem Fall rein politisch.
Warum ist die AfD im Osten so stark?
Die Menschen im Osten sind anders sozialisiert als die Menschen im Westen. Durch die DDR-Vergangenheit haben sie einen Fühler, was bestimmte politische Vorgänge angeht. Das hat starken Einfluss auf unsere Ergebnisse. Ich rechne damit, dass wir im Osten ab dem nächsten Jahr stärkste Kraft sein werden. Man kommt dort nicht mehr an der AfD vorbei, auch nicht an einer Regierungsbeteiligung. Die deutliche Mehrheit wählt bürgerlich, CDU und AfD, etwa in Sachsen. Und da wird nun eine Regierung aus relativen Wahlverlieren gebastelt. Dadurch zieht sich die Frustration der Wähler immer weiter fort – weshalb die anderen Parteien immer schwächer werden.
Wann sehen Sie die erste Regierungsbeteiligung der AfD?
Frühestens übernächstes Jahr, aber „nur“ auf Landesebene.
Und das wäre dann eine Koalition mit der CDU?
Nicht mit einer Merkel-CDU, die sich inhaltlich völlig entkernt hat. Sollte es aber irgendwann auf einen Koalitionsvertrag hinauslaufen, den wir als inhaltlich vernünftig erachten, dann kann man sich das vorstellen. Aber es könnte auch eine Lösung sein, eine Minderheitsregierung zu tolerieren, wie Herr Höcke das vorgeschlagen hat.
Aber auch eine Kramp-Karrenbauer-CDU oder mit eine Spahn-CDU lehnt eine Koalition mit der AfD ab. Denken Sie da noch an andere Figuren?
Es kommt nicht so sehr auf die Personen an. In der CDU ist eine unwahrscheinliche Dynamik aufgekommen – etwa die Instabilität der Parteivorsitzenden und den Aufstieg der Werte Union. Und diese Dynamik ist hauptsächlich uns zu verdanken. Wir haben eine Sozialdemokratie, die ihre Klientel völlig vergessen hat und eine von konservativen Werten entkernte CDU. Da möchte die Werte-Union noch etwas gegensteuern und wird dafür von den eigenen Leuten zur Ordnung gerufen. Nichts hassen die Wähler mehr, als wenn Parteien sich nur noch mit sich selbst beschäftigen.
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hat Gesprächsabsichten von CDU-Mitgliedern in Thüringen mit der AfD als „irre“ bezeichnet. Wie sollte es da zu Koalitionen kommen?
Das soll nicht despektierlich klingen, aber Paul Ziemiak, der kein Studium, keine Berufsausbildung hat, den wird mittelfristig keiner in der CDU mehr ernst nehmen. Der Mann hat keinen Background. Manche Gebietsverbände der CDU wollen mit der AfD zusammenarbeiten. Der informelle Austausch zwischen AfD und CDU läuft da doch längst.
In Sachsen? In Thüringen? Oder generell?
Im Osten insgesamt. Vor Ort sind die Leute im Austausch. Und wenn die CDU-Parteiführung das von oben herab verbieten will, dann zeigt das, wie weit weg diese Leute von der Realität sind. Die CDU im Osten ist teilweise deutlich weiter als man in Berlin glaubt. Das können sie nicht mehr aufhalten.
Die AfD betrachtet sich als Partei, die Juden in Deutschland stärker beschützen möchte. Warum sieht der Zentralrat der Juden das vollständig anders?
Das ist eine Frage, die ich mir auch sehr lange gestellt habe. Ich würde mir sehr wünschen, dass es irgendwann einmal zum Dialog mit dem Zentralrat kommt. Das wäre ansonsten eine vertane Chance für beide Seiten.