Nach zweitägigen Friedensgesprächen in Berlin haben Bundeskanzler Merz und neun weitere europäische Staats- und Regierungschefs ein konkretes Angebot unterbreitet: eine von Europa geführte Schutztruppe.
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Berlin: Bundeskanzler Friedrich Merz (vorne l-r, CDU), Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, Steve Witkoff, Sondergesandter der Vereinigten Staaten, und Jared Kushner, Unternehmer und Ehemaliger Chefberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten, stehen zu Beginn des Ukraine-Gipfels im Bundeskanzleramt für ein Gruppenfoto zusammen.
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Bundeskanzler Friedrich Merz und weitere europäische Staats- und Regierungschefs haben im Ringen um ein Ende des Ukraine-Kriegs angeboten, eine Schutztruppe zur Absicherung eines möglichen Waffenstillstands zusammenzustellen. In einer zum Abschluss der Ukraine-Gespräche in Berlin verabschiedeten gemeinsamen Erklärung hieß es, eine solche von Europa geführte und den USA unterstützte Truppe würde die ukrainischen Streitkräfte unterstützen und die Sicherheit des Luftraums und der Meere gewährleisten. Dies solle „auch durch Operationen innerhalb der Ukraine“ geschehen, heißt es in dem Dokument.
Die Schutztruppe ist eine von mehreren Zusagen, die die unterzeichnenden Staaten für den Fall abgeben, dass eine Vereinbarung zur Beendigung des Krieges erzielt wird. Neben Merz unterschrieben die Erklärung auch seine Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, Großbritannien, Polen, Italien, Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Norwegen und Schweden sowie EU-Ratspräsident António Costa und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat sich zurückhaltend zu Aufgaben einer möglichen europäischen Ukraine-Truppe geäußert. Er finde den Vorschlag im Kern gut, jedoch gebe es viele offene Fragen, machte der SPD-Politiker in Berlin deutlich. Das von den Europäern unterbreitete Angebot sei ein Bekenntnis zur Mitverantwortung. „Wenn (der russische Präsident Wladimir) Putin sagt, wohin er die Reise gehen will, dann werden wir weiter sehen, woraus das im Einzelnen bestehen kann“, sagte Pistorius. Offen sei in der Frage einer deutschen Beteiligung ein mögliches Mandat des Bundestags und „unter wessen Kommando findet eigentlich was, wo und in welchem Rahmen statt“, sagte er.
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Ablehnung von Russland
Über eine internationale Truppe zum Schutz der Ukraine wird seit längerem diskutiert. Die USA hatten unlängst ausgeschlossen, sich an einer solchen Truppe zu beteiligen. Trump hatte im Sommer aber gesagt, die Vereinigten Staaten seien bereit, die Verbündeten – etwa aus der Luft – zu unterstützen. Vor allem Frankreich und Großbritannien drängen seit längerem auf konkrete Vorbereitungen, Deutschland war eher zurückhaltend. Russland lehnt den Einsatz von Truppen zur Überwachung eines Waffenstillstands kategorisch ab. In der Erklärung der Europäer wird der Ukraine auch „anhaltende und erhebliche Unterstützung“ ihrer Streitkräfte zugesichert, die in Friedenszeiten eine Stärke von 800.000 Soldaten haben sollten.
Das Dokument setzt den Schlusspunkt der zweitägigen Verhandlungen in Berlin, an denen am Sonntag und Montag neben den wichtigsten europäischen Verbündeten der Ukraine und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auch eine US-Delegation unter Führung des Sondergesandten der US-Regierung, Steve Witkoff, teilgenommen hatte. Im Zentrum stand dabei die Weiterentwicklung eines von den USA vorgelegten Friedensplans – allerdings ohne russische Beteiligung. Daher stellt sich die Frage, wie Moskau auf die Ergebnisse der Gespräche in Berlin reagieren wird.
Details zu Inhalten sind nicht bekannt
Inhaltliche Details zu den Beratungen und dem Friedensplan sind nicht bekannt. Aber alle beteiligten Seiten werteten die Verhandlung öffentlich als Fortschritt. Das betrifft vor allem die Sicherheitsgarantien für die Ukraine im Falle eines Waffenstillstands. „Was die USA hier in Berlin an rechtlichen und an materiellen Garantien auf den Tisch gelegt haben, ist wirklich beachtlich. Das ist ein ganz wichtiger Fortschritt“, sagte etwa Kanzler Merz.
Polens Ministerpräsident Donald Tusk sagte nach dem Treffen laut Mitteilung, er habe zum ersten Mal von den amerikanischen Verhandlungsführern gehört, dass die USA sich in einer Form für die Sicherheit der Ukraine einsetzen wollten, „die den Russen keine Zweifel lässt, dass die amerikanische Antwort militärischer Natur sein wird, sollten sie die Ukraine erneut angreifen.“
US-Präsident Trump sagte in Washington, man sei jetzt „näher“ als bisher an einer Lösung. Er habe Gespräche mit den Europäern und Selenskyj geführt. „Es scheint gut zu laufen.“ Zugleich schränkte der US-Präsident ein: „Das sagen wir schon seit langem, und es ist eine schwierige Angelegenheit.“ Selenskyj scheint sich damit abgefunden zu haben, dass ein Nato-Beitritt unrealistisch ist. Nun geht es darum, wie man eine Beistandsgarantie der Nato-Staaten hinbekommt, die Artikel 5 des Nato-Vertrags ähnelt. Danach wird ein Angriff auf einen Staat wie ein Angriff auf alle behandelt. Was das jetzt im Einzelnen bedeuten kann, ist aber noch ziemlich unklar.
Bei der schwierigsten Frage möglicher Gebietsabtretungen der Ukraine an den Angreifer Russland. Selenskyj sprach von weiterhin „unterschiedlichen Positionen“ der Kriegsparteien und äußerte die Hoffnung, dass die USA als Vermittler einen Konsens herbeiführen könnten. Es gibt zwar Lösungsansätze, aber wirkliche Bewegung ist auch nach dem Treffen in Berlin nicht in Sicht.
Zu Russlands Kernforderungen für einen Waffenstillstand gehört, dass die Ukraine im Gebiet Donezk auch jene für die Verteidigung des Landes strategisch wichtigen Städte aufgibt, die Russland bisher nicht erobern konnte. Selenskyj lehnte solche Geschenke an den „Aggressorstaat“ ab und verweist auf die Verfassung des Landes, die solche Gebietsabtretungen nicht zulässt. Die USA werden die Ergebnisse jetzt mit Russland rückkoppeln. Wann und wie, ist noch unklar.
Entscheidung über russisches Vermögen
Den Europäern steht der schwierigste Teil der Woche noch bevor. Am Donnerstag soll eine Entscheidung über die Nutzung des in der EU eingefrorenen russischen Staatsvermögens von etwa 185 Milliarden Euro fallen. Dabei geht es um sehr viel – für die EU, die Ukraine und auch für Merz persönlich.
Der Kanzler hat sich an die Spitze der Befürworter eines solchen Schrittes gesetzt. Für ihn ist es die erste große Bewährungsprobe als Führungspersönlichkeit in Europa. Er erhöhte daher am Montag noch einmal den Druck und erklärte die Entscheidung zur „Schlüsselfrage“ für die EU: Bei einem Nein sei die Handlungsfähigkeit Europas über Jahre „massiv beschädigt“. Für die Ukraine würde ein Nein bedeuten, dass die Unterstützung der Verbündeten nach und nach versiegen würde. Und bei US-Präsident Trump gibt es ohnehin keinerlei Bereitschaft mehr, für den Krieg Geld auszugeben. Putin wird die Entscheidung genau verfolgen. Der Kreml warnt vor weitreichenden Folgen eines solchen „Diebstahls“ und droht mit Gegenmaßnahmen. Der Kreml bekräftigte unterdessen seine Ablehnung einer Waffenruhe und wies damit einen Vorstoß von Merz zurück. „Wir wollen Frieden, wir wollen keine Waffenruhe“, in der die Ukraine Atem schöpfen und sich auf die Fortsetzung des Kriegs vorbereiten könne, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow russischen Agenturen zufolge zur Idee einer Weihnachtswaffenruhe. Russland wolle den Krieg beenden und seine Ziele erreichen. Merz hatte Kremlchef Putin am Montag zu einer Waffenruhe in der Ukraine über Weihnachten aufgefordert. (dpa)
