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„Mach doch Politik in Marokko“Was Kölner Politikerinnen mit Migrationshintergrund erleben

Lesezeit 7 Minuten
Im Deutschen Bundestag sind Menschen mit Migrationshintergrund einer Studie zufolge unterrepräsentiert.

Im Deutschen Bundestag sind Menschen mit Migrationshintergrund einer Studie zufolge unterrepräsentiert.

Wissenschaftler haben die Repräsentation von Abgeordneten mit Migrationshintergrund untersucht. Wir haben die Kölner Bundespolitikerinnen Sanae Abdi (SPD) und Serap Güler (CDU) zu ihren eigenen Erfahrungen befragt.

Der Bundestag ist dafür zuständig, repräsentativ politische Entscheidungen zu treffen. Dass dabei nicht alle Gruppen gemäß ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten sind, liegt auf der Hand. Wenn es aber zu einem deutlichen Ungleichgewicht kommt, kann das schwierig werden: Interessen größerer Gemeinschaften werden womöglich unzureichend vertreten. Eine aktuelle Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen mit Migrationshintergrund im Deutschen Bundestag nicht einmal halb so viele Repräsentanten haben, wie ihr Anteil in der Bevölkerung ist. Die Kölner Abgeordneten Sanae Abdi (SPD) und Serap Güler (CDU) sind zwei von ihnen.

Beide erlebten das Hochgefühl, jüngst bereits zum zweiten Mal in den Bundestag gewählt worden zu sein, und beide sehen zwar Fortschritte bei der Repräsentation, aber auch noch viele Herausforderungen für die Zukunft. Die CDU-Politikerin Serap Güler ist als Tochter einer türkischen Gastarbeiterfamilie in Marl geboren worden. Sanae Abdi von der SPD ist in Marokko zur Welt und im Alter von drei Jahren nach Deutschland gekommen.

Ein weiter Weg bis zum Ernstgenommenwerden

Wenn sich Menschen mit Migrationshintergrund in der Politik engagieren, liege das meist daran, dass das in ihrem Elternhaus ständiges Thema gewesen und etwa am Küchentisch darüber gesprochen worden sei. Sanae Abdi bestätigt das für sich selbst. „Wir haben in der Familie immer über politische Verflechtungen gesprochen, zusammen Nachrichten geguckt.“ In der SPD als Partei aktiv zu werden, habe sie aber unabhängig von ihren Eltern entschieden.

„Bei mir war das ehrlicherweise das krasse Gegenteil“, berichtet Serap Güler. Wenn, dann hätten sich ihre Eltern allenfalls für türkische Politik interessiert, „weil sie einfach der deutschen Sprache nicht mächtig waren“. Ihr Vater habe zudem nach der fünften, ihre Mutter nach der achten Klasse in der Türkei die Schule verlassen. Eine wirkliche Begleitung seien ihre Eltern auf ihrem Bildungsweg daher nicht gewesen, und mit ihrer Studienwahl Kommunikationswissenschaften hätten sie nicht viel anfangen können. An der Universität sei sie letztlich politisiert worden, erinnert sich Güler, unter anderem durch Forschungen zum Thema Integration.

Sanae Abdi, Direktkandidatin der SPD bei der Bundestagswahl 2025 in Köln

Sanae Abdi, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Köln

Bis Abdi und Güler nun politisch wahr- und ernstgenommen werden, war es ein weiter Weg. In den Beschreibungen solcher Erfahrungen in der Studie erkennen die beiden Kölnerinnen sich durchaus wieder. Als Sanae Abdi 2021 neu im Bundestag war, war sie am Eingang aufgeregt: „Damals wurde ich schon sehr oft explizit nach dem Ausweis gefragt, anders als bei eher biodeutsch Aussehenden.“ Sie werde auch häufig mit anderen Abgeordneten mit Migrationshintergrund verwechselt, etwa mit Serap Güler: „Weder sehen wir uns ähnlich, noch gehören wir derselben Partei an.“ Sie sei einfach auch eine Frau mit Migrationshintergrund – wer da nicht differenzieren könne oder wolle, mache es sich zu leicht.

Stutzig werden beide Politikerinnen beim Begriff des „positiven Rassismus“, der sich in der Studie findet. Der beschreibt, dass geäußerte Anerkennung mit dem Hinweis verbunden wird, dass man eine Position trotz des Migrationshintergrunds erreicht habe. Für die beiden Bundestagsabgeordneten spielt das bisher keine Rolle. Nach etwas Nachdenken kann Sanae Abdi sich daran erinnern, dass sie im Wahlkampf auf der Straße von einem kleinen Mädchen angesprochen wurde: „Wie kann das denn sein, dass du kandidierst? Du bist doch eine von uns!“

Es sei gesellschaftlich lange versäumt worden, deutlich zu machen, dass Menschen mit Migrationsgeschichte Teil der Gesellschaft und eine Bereicherung seien. Auch Serap Güler hat solche Anerkennung bisher ebenfalls nur aus der Community der Migranten uneingeschränkt positiv erlebt: „Das kam eher von Menschen, die sich im Klaren darüber sind, dass das einem nicht unbedingt in die Wiege gelegt worden ist.“

Diskriminierung und Hass kommen häufig vor

Dass unterdessen Hass, Beleidigungen und Rassismus für Betroffene belastend sind, ist nicht nur in der Studie nachzulesen. Das hat Serap Güler erst kürzlich erlebt, als sie beim Parteitag der Kölner CDU zur Vorsitzenden gewählt wurde. In einer zugespitzt abwertenden Wortmeldung wurden ihre türkischen Wurzeln und ihre muslimische Religion thematisiert. „Ich habe die CDU nie als Christenclub verstanden, sondern als Partei, die sich am christlichen Menschenbild orientiert“, sagt die gläubige Muslimin.

Serap Güler, CDU-Bundestagsabgeordnete aus Köln

Serap Güler, CDU-Bundestagsabgeordnete aus Köln

Bei dem Parteitag sei der Redner ausgebuht worden, sie habe viel Solidarität erlebt. Trotzdem: „Solche verbalen Übergriffe sind in meiner Karriere immer mal wieder vorgekommen“, räumt Güler ein. Bei rassistischen Mails, die sie erhält, wundert sie sich, dass immer häufiger Menschen mit ihrem Klarnamen zu den Beleidigungen stehen. Als jüngstes Beispiel nennt sie ein Interview mit dem Magazin „Stern“, in dem sie sich dafür ausgesprochen hatte, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund in die neue Bundesregierung kommen. „Danach habe ich viele Hassmails bekommen – unter dem Motto: Es werden genug Migranten überall vertreten, jetzt nicht noch in der Bundesregierung!“ In besonders harten Fällen, etwa wenn sie konkret bedroht wird, stellt Güler auch Strafanzeige.

Innerhalb der SPD habe sie bisher keinen Hass erlebt, erzählt Abdi, wohl aber „Formen des strukturellen Rassismus“: „Das ist sicherlich auch in meiner Partei nicht wegzudenken. Es wäre naiv, das zu behaupten.“ Im Internet und im Wahlkampf erlebe sie jedoch diskriminierende Kommentare. Mal sei das unterschwellig, mal aber auch sehr klar und deutlich. „Geh doch zurück dahin, wo du herkommst!“, habe man ihr schon gesagt, oder: „Mach doch Politik in Marokko!“

Güler wollte zunächst nicht Integrations-Sprecherin werden

Laut Studie werden Abgeordnete mit Migrationshintergrund oft auf Integrationsthemen reduziert. Als Serap Güler 2012 in den Landtag NRW eingezogen ist, habe der damalige CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann den Sprecherposten für Integration angeboten, erinnert sie sich: „Meine erste Antwort war: Nein, das will ich nicht machen.“ Laumann habe ihr dann erklärt, dass er das akzeptiere – aber wenn er jemand anderes ernenne, bestehe die Gefahr, dass sie stets der Meinung sei, dass sie das wohl besser machen würde.

Schließlich habe sie zu dem Thema als junge Wissenschaftlerin bereits geforscht. Daraufhin habe sie es sich noch einmal überlegt und den Posten angenommen. Später war sie als Staatssekretärin für diesen Bereich zuständig. Als die dann 2021 in den Bundestag kam, war es ihr wichtig, mit Verteidigungs- und Innenpolitik bewusst andere politische Felder zu besetzen.

Engagement nicht allein auf Migrationsthemen beschränken

Sanae Abdi unterdessen kümmert sich im Bundestag bisher vor allem um Entwicklungspolitik. Zuvor hatte sie beruflich bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gearbeitet, sah deshalb gute Anknüpfungspunkte. Sie war froh, damit ein Thema gefunden zu haben, das nicht alleine mit Migration zu tun hat. Gleichwohl findet die SPD-Politikerin es wichtig, dass in der Integrationspolitik auch die Perspektive von Menschen mit Migrationsgeschichte gehört werde: „Man muss eben auch mit denen sprechen, die in erster Linie davon betroffen waren oder sind.“ Es dürfe aber nicht passieren, dass Betroffene allein auf solche Themen beschränkt werden.

Die Wissenschaftler, die Abgeordnete mit Migrationsgeschichte befragt haben, sind zu dem Schluss gekommen, dass diese häufig meinen, mehr leisten zu müssen als solche aus deutschen Familien. Sanae Abdi kennt das. Manchmal denke sie, dass sie mehr arbeiten müsse, „damit es gerechtfertigt ist, dass man in dieser Position ist oder dass man dieses Amt bekleiden darf“. Serap Güler bestätigt: „Ja, ich würde das aber ehrlicherweise nicht nur im Hinblick auf die Migrationsgeschichte sehen, sondern auch insgesamt für Frauen.“ Die Stärke von Männerseilschaften sei immer noch ein Thema.

Den Studien-Vorschlag für einen Ratgeber für Neu-Parlamentarier mit Migrationshintergrund lehnt Serap Güler ab: „Hätte mir jemand, als ich zum ersten Mal ins Parlament gekommen bin, gesagt, ich bräuchte als Mensch mit Migrationsgeschichte eine besondere Einweisung, hätte ich das persönlich echt negativ aufgenommen.“

Dabei schwinge doch mit, dass so jemand „noch mal besonders an der Hand geführt werden muss, weil er von Politik keine Ahnung hat“. Im Landtag hätten sie erfahrene Kollegen beraten, im Bundestag habe es ein zweitägiges Bootcamp mit Erklärungen gegeben – für alle, ohne Rücksicht auf ihre Herkunft.

Sanae Abdi kann mit der Forderung nach einem Ratgeber ebenso wenig anfangen. Wichtiger seien persönliche Ansprechpartner. „Man wird im politischen Bereich ziemlich schnell allein gelassen, manchmal auch ins kalte Wasser geworfen“, beschreibt die SPD-Politikerin. Gerade bei Menschen mit Migrationshintergrund werde es problematisch, wenn es um höhere Posten gehe. Da gebe es oft Skepsis unter dem Motto: „Du darfst ja schon dabei sein, jetzt sollte man es nicht gleich übertreiben.“ Was tatsächlich helfe, sei Empowerment, wie es ihre Partei in ihrer Heimatstadt leiste. Ein Mentorenprogramm der Kölner SPD wende sich explizit auch an Frauen und Migranten. Sie selbst, erzählt Abdi lächelnd, engagiere sich dort als Mentorin: „Für eine junge Frau mit Migrationshintergrund aus Chorweiler. Wunderbar.“