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„Blamage“, „Skandal“, „Desaster“Dicke Luft nach Fiasko im Bundestag – Parteien reagieren auf Eklat bei Richterwahl

4 min
11.07.2025, Berlin: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, r) verfolgt die Debatte neben Lars Klingbeil (SPD), Bundesminister der Finanzen, im Bundestag. Thema ist die Absetzung des Tagesordnungspunktes der Wahl von Richtern für das Bundesverfassungsgericht. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

11.07.2025, Berlin: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, r) verfolgt die Debatte neben Lars Klingbeil (SPD), Bundesminister der Finanzen, im Bundestag. Thema ist die Absetzung des Tagesordnungspunktes der Wahl von Richtern für das Bundesverfassungsgericht. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Im Ringen um die Neubesetzung dreier Richterstellen am Verfassungsgericht kommt es zum Knall. Vor allem Jens Spahn gerät unter Druck.

Nach einem Eklat im Bundestag ist die geplante Wahl von neuen Richterinnen und Richtern für das Bundesverfassungsgericht vorerst gescheitert. Sie wurde am Freitag von der Tagesordnung des Bundestags genommen, nachdem Union und SPD sich wegen der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zerstritten hatten.

Die Reaktionen danach ließen nicht lange auf sich warten. Während sich die Union damit verteidigt, der Plagiatsverdacht ließe eine Wahl nicht zu, machen Vertreter anderer Parteien insbesondere der Union schwere Vorwürfe. 

Vorwürfe an Unionsfraktion nach Eklat im Bundestag – Spahn im Fokus

SPD-Politiker Ralf Stegner ließ sich gleich in einer Reihe von Beiträgen auf X zum Thema aus. Die Debatte zum Bundesverfassungsgericht habe nur einen Sieger: „Die Rechtsextremisten von der AfD! Das muss man erstmal schaffen!“ Die Verantwortung sieht er bei der Union.

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„Überall in Europa, wo die Konservativen dem Druck von Rechtsaußen nachgeben, besiegeln sie das Schicksal ihrer Parteien, weil Demokraten das nicht wollen und die Anderen das Original wählen“, echauffierte sich Stegner über das Vorgehen der Unionsfraktion. 

Ricarda Lang fordert indirekt Rücktritt von Jens Spahn

Die ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, schlug in dieselbe Kerbe, und forderte indirekt den Rücktritt von Jens Spahn. „Wenn Jens Spahn nicht gewillt oder in der Lage ist, Mehrheiten in seiner Fraktion zu organisieren, dann sollte er nicht Fraktionsvorsitzender sein“, kommentierte Lang. Auch sie warf der CDU vor, sich „von jedem rechten Empörungssturm am Nasenring durch die Manege ziehen“ zu lassen.

Spahn wird vorgeworfen, dass er den Widerstand in seiner eigenen Fraktion unterschätzt hat. Der Unionsfraktionschef steht seit Wochen wegen der Affäre um die Beschaffung von Corona-Masken in seiner Zeit als Gesundheitsminister unter Druck.

Langs Parteikollegin Katharina Dröge bezeichnete das Vorgehen von CDU und SPD als „gigantisches Versagen“ und „Desaster“. Die Verantwortung trage insbesondere Jens Spahn. Konstantin von Notz warf der Fraktion von CDU und CSU „grobe Fahrlässigkeit“ und „maximale Unseriösität“ vor. Sie habe den Deutschen Bundestag und das Wahlverfahren zum Bundesverfassungsgericht beschädigten.

11.07.2025, Berlin: Jens Spahn (CDU, vorne), CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, stimmt in der Unionsfraktion im Bundestag über die Absetzung der Wahl der Verfassungsrichter ab. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, stimmt in der Unionsfraktion im Bundestag über die Absetzung der Wahl der Verfassungsrichter ab. Er muss sich besonders viel Kritik gefallen lassen.

Aus der Union äußerte sich Unions-Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger (CDU) nach der verschobenen Wahl. Bilder versuchte, zu beschwichtigen. Er widersprach der Auffassung, dass das Bundesverfassungsgericht beschädigt sei.

CDU verteidigt Misstrauen gegen Frauke Brosius-Gersdorf

Die Debatte über die Richterwahl habe „zum Teil auch jegliches Maß verloren“, kritisierte er.  Wesentliche Voraussetzung sei aber, dass die Kandidaten für das Verfassungsgericht „über jeden fachlichen Zweifel erhaben sind“. Dies sei aus Sicht der Union „nun nicht mehr vollständig gegeben“.

Auch Saskia Ludwig (CDU) machte in einem Statement klar, dass die Plagiatsvorwürfe gegen die Professorin aus Potsdam nicht restlos ausgeräumt seien.

Überraschende Aussagen von „Plagiatsjäger“ Stefan Weber

Der CDU-Argumentation überraschend in den Rücken fiel am Freitagmittag der Kommunikationswissenschaftler und Publizist Stefan Weber. Der sich auf die Aufdeckung von Plagiaten spezialisierte Österreicher, auf dessen Vorwürfe sich die Union bei ihrem Plagiatsverdacht bezogen hatte, schrieb auf X: „Die Sichtweise der #CDU, dass Plagiatsvorwürfe gegen Frau #FraukeGersdorf erhoben wurden, ist falsch.“ Zwar sei es nicht auszuschließen, dass die Juristin abgeschrieben habe, allerdings sei ebenso gut möglich, dass von ihr abgeschrieben worden sei.

Weber hatte zuvor am Donnerstagabend auf Übereinstimmungen zwischen der Dissertation Brosius-Gersdorfs und der Habilitationsschrift ihres Ehemanns hingewiesen und dadurch eine neue Dynamik in die Debatte gebracht.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann hält die Argumentation offenkundig für vorgeschoben, sie sprach von „angeblichen Plagiatswürfen“ gegen Brosius-Gersdorf. Diese erhebe der Plagiatsjäger Stefan Weber „gegen alle und jeden in der Republik“.

AfD spricht von „Regierungskrise“

Die AfD zögerte indes nicht, nach dem Fiasko für schwarz-rot eine „Regierungskrise“ zu erklären. „Es zeigt sich einmal mehr, dass wir es hier mit einer instabilen Koalition zu tun haben“, sagte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Zugleich zeigte sich Co-Fraktionschef Tino Chrupalla erleichtert, dass die Wahl vorerst nicht stattfand.

Auch BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht befand den Freitag als „peinliche Blamage für Schwarz-Rot“. Die Regierung sei nicht in der Lage, Deutschland erfolgreich zu regieren. Die Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek sprach indes von einem „absoluten Skandal“. 

Unmittelbaren Zeitdruck bei der Nachbesetzung der frei werdenden Richterstellen gibt es nicht. Je nach zu besetzender Richterstelle gelten unterschiedliche Fristen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt können die Länder im Bundesrat anstelle des Bundestags die Nachfolger wählen – sie müssen es aber nicht, genauso gut kann weiter der Bundestag entscheiden. Für die Koalition wird die Frage jedenfalls eine Belastung bleiben. (mit dpa)