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Was ist eigentlich mit unserer Jugend los?Innenminister Reul sieht Probleme mit Jugendkriminalität in NRW

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Kerzen und Blumen stehen am Tatort.

Zeichen der Trauer in Freudenberg: Am Rand des Waldes, in dem die zwölfjährige Luise starb, stehen Blumen und Kerzen.

Drei Wochen vor dem Tod von Luise hatte ein sehr nachdenklicher NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) von einer Zunahme der Kinder- und Jugendkriminalität im Land berichtet.

Der offenbar von zwei minderjährigen Mädchen verursachte Tod der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg löst eine Diskussion über die Frage aus, ob die Strafmündigkeit ab 14 Jahren bei besonders schweren Straftaten noch zeitgemäß sei. Daneben taucht aber eine zweite Frage auf: Was ist eigentlich mit unserer Jugend los?

Drei Wochen vor dem Tod des Mädchens hatte ein sehr nachdenklicher NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) von einer Zunahme der Kinder- und Jugendkriminalität im Land berichtet. Jeder fünfte Tatverdächtige sei jünger als 21 Jahre, sagte er im Februar bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik. „Auffällig ist, dass sich ganz offensichtlich bei den Jüngsten unter 14 Jahren etwas getan hat. Hier zählen wir mehr als 6000 mutmaßliche Täter mehr als im Vorjahr. Kinder sind eindeutig zu oft Täter“, erklärte Reul damals. An den Schulen hätten sich die Fallzahlen von 2021 bis 2022 auf 9300 verdoppelt.

Kinder-Streit sei heute emotionaler und gewalttätiger als früher

Als wesentliche Ursache für diese Entwicklung sieht der Innenminister die Pandemie: „Die Schulen waren zu, die Kinder sind nicht zum Sport gegangen, Klassenfahrten und Kindergeburtstage sind oft ausgefallen. Damit haben wir unseren Kindern zwei Jahre genommen, um sich zu entwickeln. Zwei Jahre, ohne zu lernen, wie Konflikte zu bewältigen sind.“ Kinder-Streit sei heute emotionaler und gewalttätiger als früher.

Unabhängig von der Tat in Freudenberg sei nun zu sehen, dass die Jüngsten immer mehr Straftaten begingen: Körperverletzung, Diebstahl, Sachbeschädigung. „Hier sind wir als gesamte Gesellschaft dringend gefordert gegenzusteuern, Elternhäuser, Schulen und natürlich die Polizei mit ihren präventiven Möglichkeiten“, sagte Reul gestern unserer Redaktion.

Zu dem beunruhigenden Bild von Kindern und Jugendlichen, denen es zunehmend schwerer fällt, Konflikte friedlich zu lösen, passt eine Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) unter Schulleitungen von 2022. Demnach scheint die Pandemie besonders in NRW ein Verstärker für Gewalttaten an den Schulen zu sein. Schulleitungen berichten immer häufiger von Fällen, in denen Lehrkräfte beschimpft, über das Internet diffamiert oder sogar körperlich angegriffen wurden. Meist gehe diese Gewalt von Eltern und Schülern aus. Einsicht sei bei den Tätern eher selten zu beobachten, hieß es.

VBE-Landeschef Stefan Behlau sieht einen Zusammenhang zwischen den Übergriffen und dem Lehrermangel in NRW. „Was Schule vor allem braucht, ist Zeit. Zeit zum Lernen, Zeit zum Lehren, aber auch Zeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Schule ist mehr als Unterricht“, sagte er unserer Redaktion. „Nicht alle Vorfälle werden sich verhindern lassen, auch Gewalt nicht. Aber wir als Gesellschaft müssen daran arbeiten, unsere Kinder und Jugendlichen zu stärken“, so Behlau.

Drohungen und Hass im Netz

Die Polizei prüft unterdessen, ob in den Sozialen Medien zum Fall der getöteten Zwölfjährigen aus Freudenberg auch strafrechtlich Relevantes gepostet wird. In mehreren Netzwerken wurden laut der Polizei Siegen-Wittgenstein von teils anonymen Nutzern zahlreiche Spekulationen und auch Drohungen und Hass gegen die Zwölf- und 13-jährigen mutmaßlichen Täterinnen veröffentlicht. „Wenn man nach den Hashtags sucht, findet man schon einiges“, sagte ein Sprecher gestern.

Die Polizei appellierte an die Nutzer, keine Mutmaßungen und Drohungen zu verbreiten: „Es gehen sehr, sehr zügig auch Falschinformationen durchs Internet – und vieles deckt sich einfach nicht mit unseren Ermittlungen.“ (mit tokal/dpa)


Jugendkriminalität

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik für NRW für das Jahr 2022 wurden 481.848 Tatverdächtige gezählt. Davon waren 20.984 unter 14 Jahren. Von diesen unter 14-Jährigen waren zwei Drittel Jungen. Kein Verdächtiger unter 14 stand im vergangenen Jahr in NRW im Verdacht, einen Mord oder Totschlag begangen zu haben. (tobi)