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Der Tod von Luise„Alle beteiligten Familien werden daran kaputtgehen“

Lesezeit 4 Minuten
Am Fundort des ermordeten zwölfjährigen Mädchens Luise stehen Blumen und Kerzen. Frisch gefallener Schnee bedeckt den Boden.

Unbekannte haben am Fundort von Luises Leiche Blumen und Kerzen aufgestellt.

Luise (12) aus Freudenberg ist mutmaßlich von zwei Mädchen in ihrem Alter erstochen worden. Viele Fragen sind noch offen – vor allem um Tatwaffe und Motiv.

Freudenberg ist eigentlich berühmt für sein Postkartenpanorama. Schwarz-weiße Fachwerkhäuser drängen sich im „alten Flecken“, wie die Einheimischen das malerische Tal nennen, aneinander. Doch jetzt hat Freudenberg eine neue, traurige Berühmtheit erlangt – durch den Mord an der zwölfjährigen Luise, die mutmaßlich von zwei anderen Mädchen erstochen worden ist.

In der evangelischen Stadtkirche liegt ein dickes Kondolenzbuch aus, umrahmt von Blumen und Kerzen. Es ist schon mehr als halb voll geschrieben. Von Freunden, Nachbarn, Bewohnern Freudenbergs, Familien aus dem Umkreis, Lehrerinnen und Lehrern, den Mitgliedern der Rettungshundestaffel, die nach der vermissten Luise gesucht hatten. „Kraft“ ist ein immer wiederkehrendes Wort: Die wünschen die Menschen der Familie des Opfers in dieser Zeit unfassbarer Trauer. „Gib uns Kraft, das Untröstliche zu überstehen“, heißt es auf einer Seite.

„Es gibt keine Worte für so was“

Freudenberg steht unter Schock. Jeder in dem 18.000-Einwohner-Städtchen nahe Siegen in Westfalen hat von dem Ereignis gehört, doch darüber sprechen kann und will kaum jemand. Was dieses Verbrechen, dem Luise zum Opfer gefallen ist, nur mit so einer Stadt macht? „Viel“, sagt eine Frau, die dabei mit den Tränen kämpft. Mehr kann sie nicht sagen.

„Es gibt keine Worte für so etwas“, sagt ein weiterer Mann, der die Kirche besucht hat. „Man kann sich nicht einmal ansatzweise in die Familien hineinversetzen. In beide.“ Damit meint er nicht nur die Angehörigen von Luise, sondern auch die der beiden tatverdächtigen Mädchen – die 12 und 13 Jahre alt sind. „Ich befürchte, alle beteiligten Familien werden daran kaputtgehen“, sagt der Mann.

Wegen ihres Alters sind die beiden Mädchen, die die Tat bei der Polizei gestanden haben, noch nicht schuldfähig und können nicht vor Gericht angeklagt werden. Das Jugendamt ist deshalb nun für die weiteren Maßnahmen verantwortlich. In einem ersten Schritt seien beide „außerhalb des häuslichen Umfeldes untergebracht“ worden, teilte der Kreis Siegen-Wittgenstein mit. „Das ist auch damit verbunden, dass die Kinder nicht ihre bisherigen Schulen besuchen.“ Die Mädchen hätten aber weiterhin Kontakt zu ihren Eltern. Das sei für die Entwicklung einer gelingenden Unterstützung sehr bedeutsam und wird insofern unterstützt“, teilte der Kreis mit.

Auch für die beiden Tatverdächtigen handele es sich um eine „ganz außergewöhnliche Situation, die viel Empathie und umsichtiges Agieren erfordert“, sagte Kreis-Jugenddezernent Thomas Wüst. Ob und wann sie zurück zu ihren Eltern können, sei offen. Es handele sich „um einen sehr komplexen Prozess, der zeitlich nicht eingegrenzt werden kann“, betonte eine Sprecherin.

Tatwaffe noch immer nicht gefunden

Bei Kindern stehe nicht die Bestrafung, sondern die Erziehung und Entwicklung im Vordergrund, sagte Kriminalpsychologe Rudolf Egg dem WDR. Die Mädchen stünden am Anfang ihres Lebens. „Man muss ihnen jetzt nicht das gesamte Leben verbauen“, so der langjährige Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden. „Auch wenn sie moralisch sehr schwere Schuld auf sich geladen haben.“ Eine Option sei eine Erziehungsbetreuung für die Familien.

Die zwölfjährige Luise war am Samstag vermisst gemeldet worden, am Sonntag wurde ihre Leiche im Grenzgebiet zwischen NRW und Rheinland-Pfalz gefunden. Bei der Obduktion wurden zahlreiche Messerstiche festgestellt. Das Mädchen war verblutet. Die Ermittler äußern sich nicht zu Gerüchten, die Tat sei ein Racheakt nach einem Streit gewesen. Luise habe sich über eine der späteren mutmaßlichen Täterinnen „lustig gemacht“, schreibt der „Focus“.

Seelsorger sind an der Schule in  Freudenberg im Einsatz

Quälende Fragen wirft auf der offensichtliche Tatort auf: Luise wurde nahe dem Hohenhainer Tunnel, einem alten Eisenbahntunnel, gefunden. Der liegt aber nicht an einem der Heimwege, den sie nach ihrem Besuch einer Freundin hätte nehmen können, sondern noch weiter weg von ihrem Elternhaus. Wurde sie planvoll in einen Hinterhalt gelockt? War es eine Affekttat während einer Aussprache? Die Tatwaffe, laut Staatsanwaltschaft ein Gegenstand aus dem Haushaltsbereich, ist noch nicht gefunden worden. Die „Siegener Zeitung“ schreibt unter Berufung auf Ermittlerkreise von einer Nagelfeile.

„Die Fassungslosigkeit in der Stadt ist nach wie vor groß und die Menschen suchen Erklärungen für das Unerklärliche“, erklärt Freudenbergs Bürgermeisterin Nicole Reschke. „Freudenberg steht für ein reges Dorf- und Vereinsleben. Um diese wertvolle Gemeinschaft hoch zu halten, ist es wichtig, nicht allein mit seinen Gefühlen und Gedanken zu hadern.“

Mitschüler stehen unter Schock

Auch an der Gesamtschule, die Luise besucht hat, ist an eine Rückkehr zum Alltag noch nicht zu denken. „Unterricht findet nur dann statt, wenn dies für die Situation der jeweiligen Klasse passend ist“, so Reschke. „Es wird auch in den kommenden Tagen ausreichend Raum gegeben, um das Geschehene zu besprechen, Trauer zuzulassen.“ Schulsozialarbeiterinnen, Seelsorger und Psychologen seien vor Ort.

Alle stellen sich Fragen. Warum? Wie konnte das passieren? Warum tun Kinder einander solche Gewalt an? Fragen, auf die es vielleicht nie eine zufriedenstellende Antwort gibt. (mit dpa)

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