Kein Schadenersatz für die Missbrauchsbetroffene Melanie F.: Nach Auffassung des Gerichts haftet das Erzbistum Köln nicht für Taten, die ihr Pflegevater an ihr begangen hatte - auch wenn dieser katholischer Priester war. Die Rundschau hat Kirchenrechtler Thomas Schüller um eine Bewertung gebeten.
Kirchenrechtler SchüllerKölner Urteil zum Missbrauch „anmaßend und skandalös“

Eine „nicht katholische Auffassung über das Priestertum“ hält der Kirchenrechtler Thomas Schüller (Universität Münster) den Anwälten des Kölner Erzbistums vor.
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Überrascht Sie das Kölner Urteil?
Nein, das überrascht mich nicht. Die Position des Gerichts wurde ja bei der Verhandlung sehr deutlich. Das Gericht meint tatsächlich feststellen zu können, wann ein katholischer Priester als Privatperson handelt. Das ist das Anmaßende und Skandalöse an dem Urteil: Das Gericht legt säkulare Parameter an den religiös konnotierten amtlichen Dienst des katholischen Priesters an und folgt kirchenrechtlichen Gutachten nicht. Dabei ging gerade in diesem Verfahren aus den Dokumenten, die aus der Zeit von Joseph Kardinal Höffner vorliegen, auch noch eindeutig hervor, dass die Pflege der beiden Pflegekinder ausdrücklich Teil des Dienstauftrages war. Das Gericht missachtet die katholische Lehre und folgt damit den Anwälten des Erzbistums, die – und das ist für mich der zweite Skandal – eine nicht katholische Auffassung über das Priestertum vorgetragen haben.
Einspruch: Das Bundesverfassungsgericht hat 2000 im Fall der Zeugen Jehovas festgestellt, dass der religiös neutrale Staat Glauben und Lehre nicht zu bewerten hat. Dann darf das Gericht die Lehre über den sakramentalen, wesensverwandelnden Charakter des Priesteramtes doch gar nicht zur Grundlage eines Urteils machen, sondern muss einen Priester so einstufen wie zum Beispiel einen Bundesbeamten, oder?
Die Gerichte dürfen nicht über religiöse Inhalte befinden, müssen sie aber zur Entscheidungsgrundlage säkularer Rechtsfindung machen. Sie dürfen also gerade nicht selbst ein Verständnis des Priesteramtes entwickeln und es rein privatrechtlich definieren, sondern sie müssen davon ausgehen, was im Katechismus steht. Darauf muss dann im Zweifel auch die Gerichtsaufsicht, also letzten Endes NRW-Justizminister Benjamin Limbach, achten, denn Gerichte und Staatsanwaltschaften haben hier offensichtlich in Köln eine Beißhemmung. Mich verletzt das in meinem Glauben. Seit 40 Jahren bilde ich Priester aus und sage den jungen Männern, dass sie sich in eine ganzheitliche Hingabe begeben, 24 Stunden am Tag in der Nachfolge Christi. Und jetzt erfahren wir von Anwälten des Erzbistums, dass Priester einen Privatbereich haben, in dem sie machen können, was sie wollen, und in dem eine Aufsichtspflicht des Erzbistums entfällt.
Man darf nicht wie das Kölner Gericht die Eigenheiten des Priesteramts komplett ignorieren.
Die Kirche verlangt von ihren Priestern aber doch auch im Alltag ein Leben nach ihren Normen. Die Frage ist nur: Haftet die Kirche, wenn der Priester dagegen verstößt?
Richtig – aber in diesem Fall wusste die Bistumsleitung ja durchaus, dass das Leben eines Kindes in einem Pfarrhaus eine Grenzsituation darstellt. Da hat sie eine Sorgfaltspflicht. Wie weit die geht, darüber kann man im Einzelfall streiten. Aber man darf nicht wie das Kölner Gericht die Eigenheiten des Priesteramts komplett ignorieren. Es muss vielmehr die religiösen Normen beachten und mit den staatlichen Normen korrelieren.
Die Einsetzung des Priesters als Pflegevater war ein staatlicher Akt, das haben die Richter festgestellt. War es da klug von den Anwälten der Klägerin, nur die Kirche in Haftung zu nehmen?
Ich hoffe zunächst mal, dass die Anwälte der Klägerin in die nächste Instanz gehen – aber in der Tat, sie haben es nicht richtig gut gemacht. So wäre es glaubwürdiger und effizienter gewesen, wenn die Anwälte auch das zuständige Jugendamt verklagt hätten, das ja augenscheinlich nicht regelmäßig kontrolliert hat, was mit dem Pflegekind geschah.