Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Landgericht in KölnKeine Haftung des Erzbistums Köln in Missbrauchsfall

Lesezeit 4 Minuten
Der Schatten eines Priesters, der am Karfreitag bei einer Zeremonie ein Kreuz trägt, fällt auf das Pflaster.

Der Schatten eines Priesters, der am Karfreitag bei einer Zeremonie ein Kreuz trägt, fällt auf das Pflaster. (Symbolbild)

Das Gericht stellte fest, dass Priester U. als Privatperson handelte. Das Erzbistum Köln hafte nicht für seine Verbrechen.

In einem viel beachteten Schmerzensgeldprozess einer Missbrauchsbetroffenen auf 830.000 Euro gegen das Erzbistum Köln, hat das Landgericht die Klage am Dienstag abgewiesen. Die heute 58 Jahre alte Melanie F. war von Ende der 1970er Jahre Pflegetochter des Geistlichen Bernhard U., der sie in den 1980er Jahren wiederholt massiv sexuell missbraucht hatte.

Gerichtsurteil: Keine Amtshaftung des Erzbistums

Das Landgericht kam zu der Überzeugung, dass U. die Sexualverbrechen als Privatperson beging, das Bistum hierfür nicht in Amtshaftung genommen werden könne. Der Priester habe „mehr oder weniger als Privatperson“ gehandelt, sagte der verkündende Richter Jörg Michael Bern am Dienstagmorgen auf Saal 240 des Kölner Justizzentrums. Darüber hinaus gebe es auch ansonsten keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Erzbistums. „Es hat keine Hinweise gegeben, dass Mitarbeiter des Bistums von dem Missbrauch wussten“, sagte Bern weiter.

Kein Zusammenhang zwischen kirchlichem Amt und Verbrechen

Nicht jede Handlung eines Amtsträgers einer Kirche ist somit aus Sicht der 5. Zivilkammer eine Amtshandlung. „In dem zur Entscheidung stehenden Fall sei nach Auffassung der Kammer der erforderliche Zusammenhang zwischen den Missbrauchstaten und dem kirchlichen Amt des Täters nicht gegeben“, sagte Landgerichtssprecherin Diana Renk. Vielmehr habe im vorliegenden Fall die Besonderheit bestanden, dass die Klägerin dem ehemaligen Priester als Pflegekind anvertraut gewesen sei. Die Sorge für ein Pflegekind sei jedoch durch einen staatlichen Akt begründet worden. Ein Zusammenhang zur kirchlichen Tätigkeit scheide aus Sicht der Kammer bereits deshalb aus, so Renk weiter. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob Vorgesetzte oder möglicherweise der Täter selbst die Betreuung des Pflegekindes als Teil der Ausübung des Priesteramtes angesehen hätten.

Alles zum Thema Erzbistum Köln

Hintergrund der Missbrauchsfälle durch Bernhard U.

Ende der 70er Jahre hatte der damalige Kaplan Bernhard U. die damals zwölfjährige Melanie F. und einen zwei Jahre älteren Jungen aus einem Heim bei sich aufgenommen. Autorisiert wurde die Übernahme des Sorgerechts vom damaligen Kölner Kardinal Joseph Höffner. In ihrer Zeit bei U. wurde F. über Jahre schwere sexuelle Gewalt angetan. 2022 war U. vom Landgericht wegen 110-fachen, zum Teil schweren sexuellen Missbrauchs an neun Mädchen in der Zeit von 1993 bis 2018 zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Die Verbrechen zu Lasten von Melanie F. waren da längst verjährt. Das Erzbistum bestreitet die Taten auch nicht, will aber nicht dafür haften.

Kritik der Anwälte und Betroffenenorganisationen

F.´s Anwalt Eberhard Luetjohann zeigte sich von der Argumentation des Gerichts auf Rundschau-Anfrage entsetzt: „U. hat die Taten als Pflegevater begangen. Dass er das überhaupt werden konnte, lag daran, dass er Kleriker war“, so Luetjohann. Kein anderer alleinstehender, junger Mann hätte Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre ansonsten das Sorgerecht für ein zwölfjähriges Mädchen bekommen. Auch sei es ihm ein völliges Rätsel, wo die Grenze zwischen der Privat- und Amtsperson eines Priesters verlaufe, angesichts des umfassenden Amtsverständnisses der katholischen Kirche, was er mit einem drastischen Beispiel verdeutlichte: „U. vergewaltigt meine Mandantin auf ekelhafteste Weise in der Badewanne und nimmt ihr anschließend, noch in der Badewanne, die Beichte ab. Wo ist da der magische Moment, wo aus einer Privatperson ein Priester wird?“ Ob seine Mandantin vorm Kölner Oberlandesgericht in Berufung gehe, sei noch nicht entschieden, so Luetjohann weiter. Zuvor müsse das schriftliche Urteil studiert werden, erst dann könne eine Entscheidung getroffen werden.

Matthias Katsch, Geschäftsführer der Betroffenenorganisation Eckiger Tisch e.V. übte scharfe Kritik an der Entscheidung: „Dieses Urteil ist ein Schlag für alle Missbrauchsbetroffenen, die ihre Hoffnungen in den Rechtsstaat gesetzt haben“, sagte Katsch im Gespräch mit der Rundschau. Die „Kaltschnäuzigkeit der Begründung“ mache ihn „ziemlich sauer“. Dass ein solches Urteil ausgerechnet in einer katholischen Hochburg wie Köln so gefällt werden konnte, irritierte Katsch besonders. „Als wenn man in dieser Stadt nicht um das besondere Amtsverständnis der katholischen Kirche wüsste“, meinte Katsch. Anders als mit einer tiefgreifenden „Voreingenommenheit für diese alte, ehrwürdige Institution hier in Köln“ sei das Urteil eigentlich nicht zu erklären, sagte Katsch.

Frühere Urteile und anhängige Verfahren

Dabei waren vom Landgericht Köln juristisch auch schon ganz andere, wegweisende Signale ausgegangen. Im Juni 2023 hatte es hier das erste Schmerzensgeldurteil eines staatlichen Gerichts zu sexualisierter Gewalt in der Kirche gegeben. Das Landgericht entschied des Missbrauchbetroffenen Georg M., dass das Erzbistum Köln 300 000 Euro Schmerzensgeld zahlen muss. Das zum Prozesszeitpunkt 64-jährige Opfer war zwischen 1972 und 1979 von einem inzwischen verstorbenen Priester mehr als dreihundertmal vergewaltigt worden.

Noch zu entscheiden hat das Landgericht über die Klage einer Frau, die in den 1990er Jahren als Kind wiederholt Opfer sexueller Übergriffe durch einen Messdiener-Gruppenleiter geworden sein soll und 830.000 Euro Schadenersatz vom Erzbistum verlangt. In dem Prozess geht es auch um die Frage, ob das Erzbistum für die Taten ehrenamtlicher Messdiener haftet.