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Prozess in KölnOpfer von Missbrauch fordert eine Million Euro vom Erzbistum Köln

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„Hardy“ (r.) und Rechtsanwalt Manfred Schmitz am Donnerstag vor der Presse in Köln.

„Hardy“ (r.) und Rechtsanwalt Manfred Schmitz am Donnerstag vor der Presse in Köln.

Hardy war jahrelang als Messdiener missbraucht worden und fordert nun eine ungewöhnlich hohe Entschädigung. Seine Anwälte setzen auf neue Rechtsprechung.

Es ist eine bedrückende Stimmung bei der Pressekonferenz mit „Hardy“. Der Mann, dessen realer Name nicht in den Medien genannt werden soll, sitzt im Rollstuhl, leidet sichtbar, bricht zwischendurch immer wieder in Tränen aus. Als Kind und Jugendlicher war er Messdiener und ist nach eigenen Angaben über Jahre hinweg durch katholische Priester missbraucht worden. Nun stellen seine Anwälte eine ungewöhnlich ambitionierte Klage gegen das Kölner Erzbistum vor: Sie verlangen für ihren Mandanten eine Million Euro Schmerzensgeld.

Explizite Schilderungen über erschütternde Praktiken

Die Erinnerungen und somit Vorwürfe, die Hardy mit Hilfe seiner Anwälte Manfred Schmitz und Lothar Jaeger nun erhebt, sind dramatisch. Als junger, minderjähriger Messdiener soll er in den Jahren 1964 bis 1973 mehr als 2000 Mal missbraucht worden sein. Federführend sei ein Pfarrer aus Refrath gewesen sein, auch Geistliche aus den Kölner Stadtteilen Porz und Bilderstöcken sollen sich beteiligt haben.

Darüber hinaus klingt es nahezu unglaublich, was bald vor dem Kölner Landgericht verhandelt werden könnte: An einen silberfarbenen Mercedes sei von einem Pfarrer ein Wohnwagen-Anhänger angebracht worden. Damit sei Hardy an Orte wie den bekannten Wallfahrtsort Kevelaer gebracht und dort unter Zwang gegen Zahlung von 100 D-Mark Geistlichen zum Missbrauch zur Verfügung gestellt worden. Tatorte seien zudem unter anderem Aachen, Essen und Freiburg sowie Belgien und die Niederlande gewesen.

Köln: Der Kölner „Hardy“ (Name geändert) trocknet sich das Gesicht auf einer Pressekonferenz zur Entschädigungsforderung über eine Million Euro gegen die katholische Kirche.

Köln: Der Kölner «Hardy» (Name geändert) trocknet sich das Gesicht auf einer Pressekonferenz zur Entschädigungsforderung über eine Million Euro gegen die katholische Kirche.

Eindrücklich werden in der Pressekonferenz seine körperlichen Schäden beschrieben, die er davongetragen hat und unter denen er noch heute leidet. Es sind erschütternde Praktiken, die explizit geschildert werden und für Entsetzen bei den Anwesenden sorgen. Eine dieser Praktiken soll bei Hardy zur Unfruchtbarkeit geführt haben. „Die Taten waren so schlimm und so widerwärtig, dass man das alles kaum verarbeiten kann“, beschreibt Anwalt Jaeger. Auch psychisch ist der Betroffene labil – ein Aspekt, der bei der rechtlichen Beurteilung eine besondere Rolle spielen dürfte. Denn die Schmerzensgeldforderung von einer Million Euro ist durchaus ungewöhnlich hoch.

Gespräche mit dem Erzbistum ohne Einigung

Es habe Gespräche mit dem Erzbistum über eine gütliche Einigung gegeben, führen die Anwälte aus. Aber eben ohne zufriedenstellendes Ergebnis. Deshalb nun die beabsichtigte Klärung vor Gericht. Im Laufe der Jahre hat sich die Rechtsprechung schließlich weiterentwickelt.

So seien psychische Schäden vom Bundesgerichtshof als gleichwertig zu körperlichen Folgen eingeordnet worden, berichtet Anwalt Lothar Jaeger, der als Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Köln früher selbst über Opferentschädigungen zu entscheiden hatte.

Dadurch ließen sich deutlich höhere Entschädigungszahlungen einklagen als in der Vergangenheit. Bisher sei diese Grundsatzentscheidung in niedrigeren Instanzen aber nicht berücksichtigt worden – insofern könnte der Fall Hardy vor dem Kölner Landgericht nun Rechtsgeschichte schreiben.

Auch die für die katholische Kirche zuständige Berufsgenossenschaft haben die Anwälte für ihren Mandanten nach eigenen Angaben eingeschaltet. Das Kölner Erzbistum habe damals seine Pflichten verletzt, sei durch die Institution festgestellt worden, sie habe Hardy deshalb eine geringe Rente zugesprochen. Damit sei belegt, so die Juristen, dass das Erzbistum weder seiner Schutz- noch seiner Anzeigepflicht nachgekommen sei.

„Wir bitten um Verständnis, dass das Erzbistum keine Auskünfte zu konkreten Betroffenen erteilt“, erklärte die Pressestelle des Erzbistums auf Anfrage: „Der Fall ist dem Erzbistum grundsätzlich bekannt und wird von den zuständigen Stellen sorgfältig behandelt.“ Zu laufenden Verfahren äußere man sich nicht.

Zeitweise wirkt Hardy gefasst, kann von seinen Erlebnissen kurz berichten, mit einer Therapeutin an seiner Seite. Immer wieder aber muss er abbrechen, bricht in Tränen aus. „Ich möchte erreichen, dass andere aufstehen“, heißt es schließlich in einer Erklärung, die er von seinem Rechtsbeistand verlesen lässt: „Ich weiß, dass es nicht einfach ist, sich zu outen. Aber das Unrecht muss sichtbarer werden.“

Kritik an niedrigen „Anerkennungs“-Zahlungen

Kritik üben seine Anwälte auch an der Arbeit der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA), die Missbrauchsfälle für die katholische Kirche prüft und Zahlungen vorschlägt. Mit dem Fall Hardy hätten sie sich auch befasst, geringe Zahlungen bewilligt, aber es seien wichtige Unterlagen nicht vom Erzbistum weitergeleitet worden. Die Anerkennungs-Zahlungen schließen das Erstreiten von Schmerzensgeld nicht aus.   Nach dem aktuellen UKA-Tätigkeitsbericht sind seit Bestehen im Jahr 2021 bis Ende vergangenen Jahres rund 77 Millionen Euro in etwa 2500 Fällen zugesprochen worden.

In Fall Melanie F., einer früheren Pflegetochter eines Priesters, sind kürzlich 360.000 Euro vom Kölner Erzbistum an die Betroffene gezahlt worden, bestätigte deren Rechtsanwalt Eberhard Luetjohann. Hier hatte das Kölner Landgericht ein Schmerzensgeld in einem Prozess abgelehnt. Laut Luetjohann hat er dagegen bereits Einspruch vor dem Oberlandesgericht eingelegt. Auch wenn die Umstände inhaltlich anders liegen als bei Hardy, könnte auch dieser Fall für die katholische Kirche noch ziemlich teuer werden.