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NachrufThomas Oppermann war ein Haudegen der Sozialdemokratie

5 min
Thomas_Oppermann

Thomas Oppermann (SPD) am Rednerpult des Bundestages

  1. Der ehemalige Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, ist am Sonntag überraschend gestorben.
  2. Oppermann war 15 Jahre lang einer der herausragenden Politiker der SPD im Bund.
  3. Sein Ziel, Bundesinnenminister zu werden, erreichte er jedoch nie. Ein Nachruf.

Berlin – Am Berg machte ihm keiner etwas vor. Thomas Oppermann wanderte wie selbstverständlich vorweg. Jeans, feste Schuhe, Funktionsjacke, darunter ein T-Shirt. Atemberaubendes Tempo, die Teilnehmer eines Sommerausflugs kamen kaum hinterher.

Die verschiedenen Routen hoch zum Brocken kannte er auswendig. Unzählige Male wanderte er sie, Thomas Oppermann liebte die Aussicht von diesem historisch so bedeutsamen Gipfel im Harz.

Die deutsche Teilung und Wiedervereinigung war für den Mann aus Südniedersachsen, wo die Grenze sehr nah war, eine prägende Erfahrung. Oben angekommen sagte er nur, er sei angenehm erschöpft. Kurz danach marschierte er alles wieder bergab. 

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Bei Dreharbeiten mit dem ZDF zusammengebrochen

Bis zuletzt war der 66-Jährige fit, stand mitten im Leben. Am Sonntag brach er bei Dreharbeiten für die ZDF-Sendung „Berlin direkt“ zusammen. Nach Angaben des Senders kurz bevor er live in die Sendung geschaltet werden sollte. Er sei in die Uniklinik Göttingen gebracht worden und dort gestorben, hieß es.

Mit ihm verliert Deutschland einen herausragenden Demokraten, einen kämpferischen Sozialdemokraten. Nicht nur für seine Angehörigen, für seine Freunde ist sein überraschender Tod ein Schock – auch für seine Partei.

Bevor er eine politische Karriere begann, war Oppermann Richter in Hannover und Braunschweig. Als erstes Kind eines Molkereimeisters machte Oppermann 1975 in Einbeck bei Göttingen Abitur. Er verweigerte den Wehrdienst und ging stattdessen in die USA, um dort für die Organisation „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ zu arbeiten.

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Seitdem war Oppermann überzeugter Transatlantiker, ein Kenner und kritischer Freund der Vereinigten Staaten. Anfang der 1980er Jahre legte er sein Erstes Juristisches Staatsexamen ab, 1986 das Zweite. Seine Tätigkeit als Richter beendete er für ein Abgeordnetenmandat im niedersächsischen Landtag, Oppermann stieg schnell auf.

Kultusminister unter Gerhard Schröder in Niedersachsen

Rechtspolitischer Sprecher, später unter Ministerpräsident Gerhard Schröder Kultusminister. Oppermann zog 2005 erstmals in den Bundestag ein und gewann seitdem seinen Wahlkreis Göttingen danach immer direkt.

In der Bundespolitik konnte er sein Talent des scharfzüngigen Redners voll ausspielen. Kaum ein anderer Politiker vermochte es so geschickt, komplizierte Sachverhalte auf den Punkt zu bringen, dabei druckreif zu formulieren. Er liebte das Angriffsspiel, sparte nicht mit Seitenhieben, parierte Attacken scheinbar spielend, weil er die Materie durchdrang.

Oppermann machte sich von 2007 bis 2013 als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums einen Namen als Innenpolitiker. In den Koalitionsverhandlungen 2013 buhlte er offen um den Posten des Bundesinnenministers – sein politischer Traum.

Zum Zug kam er jedoch nicht, Oppermann hatte verloren. Für ihn war das ein herber Schlag. Denn mit dem damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel als Vizekanzler und Wirtschaftsminister war bereits ein männlicher Sozialdemokrat aus Niedersachsen am Kabinettstisch vertreten.

Fremdeln mit der Rolle des Fraktionschefs

Gabriel wollte Oppermann als langjährigen, loyalen Parteifreund an die Spitze der Fraktion setzen, damit der als überzeugter Mann in der Sache die eigenen Truppen im Regierungsgeschäft zusammenhalten sollte – auch wenn es mit der Union mal heftigen Streit gab. Dabei haderte Oppermann mit der Rolle zunächst, es brauchte eine Weile, bis Gabriel ihn überredet hatte.

Und Oppermann vermochte die Fußstapfen eines Herbert Wehner, Franz Müntefering oder Peter Struck anfangs auch nicht so recht auszufüllen. Plötzlich konnte er nicht mehr der scharfzüngige Angreifer sein. In Oppositionszeiten hatte er sich noch als Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion mit spitzen Angriffen gegen die schwarz-gelbe Regierung fast zum Generalsekretär aufgeschwungen. Er war die rhetorisch geschickte Speerspitze der Sozialdemokraten, ein gern gesehener Gast in den Talkshows der Republik.

Als Fraktionschef in einer großen Koalition musste er nun jedoch moderieren statt zu attackieren. Sein taktisches Gespür musste kaum mehr vor Kameras, sondern vor allem im Fraktionssaal funktionieren, um hitzige Debatten und negative Schlagzeilen zu vermeiden. Doch dabei machte sich der konservative Sozialdemokrat immer wieder bei linken SPD-Abgeordneten Feinde.

Vielen aus dem Lager galt er als machtbewusster, kühler Manager ohne ausgeprägte Empathie. Zugleich war auf ihn Verlass, Oppermann lieferte zuverlässig.

Aber den Tiefpunkt seiner Karriere erlebte Oppermann während der Affäre um Sebastian Edathy. Der damalige SPD-Abgeordnete hatte Bilder nackter Knaben bestellt und besessen. Monatelang war Oppermanns politisches Schicksal unklar, Gerüchte über Verstrickungen in die Affäre machten die Runde, er musste sich vor einem Untersuchungsausschuss rechtfertigen. Am Ende wurde ihm nichts nachgewiesen, Oppermann hatte gewonnen, es blieb nichts hängen.

Wegbegleiter erlebten ihn danach jedoch als veränderten Politiker. Er machte sich weiterhin für Innenpolitik stark, entwarf ein Einwanderungsgesetz und kämpfte dafür. Doch erst nach seinem Wechsel ins Bundestagspräsidium 2017 konnte er wieder freier aufspielen.

Kämpfer für die Wahlrechtsreform

Als Andrea Nahles die Fraktionsführung übernahm, füllte Oppermann das Amt des Bundestagsvizepräsidenten voll aus. Er trieb die eigene Fraktion an, als es etwa um eine Wahlrechtsreform ging. Intern wie öffentlich war Oppermann ein scharfer Kritiker fauler Kompromisse bei dem Thema.

Der passionierte Fußballspieler und Fan des Basketballteams BG Göttingen wollte bei der nächsten Bundestagswahl etwas Neues beginnen. Im August hatte er angekündigt: „Nach 30 Jahren als Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag und im Deutschen Bundestag ist für mich jetzt der richtige Zeitpunkt, noch einmal etwas anderes zu machen und mir neue Projekte vorzunehmen.“

Was genau er machen wollte, schrieb er nicht. Doch Thomas Oppermann hatte immer einen Plan. Er hinterlässt zwei Töchter aus einer früheren Ehe sowie eine Tochter und einen Sohn aus seiner heutigen Partnerschaft. Thomas Oppermann wird fehlen.