Reportage von der Grenze USA/MexikoVom weiten Weg ins gelobte Land

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Grenze zu Mesiko

Kein Hindernis: Zwei Jugendliche überqueren nahe El Paso den Grenzfluss Rio Grande.

  • Sie fliehen vor Gewalt und Armut in ihren Heimatländern, alleine im Mai fast 133.000 Menschen.
  • Ihr Ziel: die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Grenzstädte sind mit der Situation heillos überfordert.
  • Ein Besuch im texanischen El Paso

Deming, eine Stadt mit 14 000 Einwohnern, liegt mitten in der Chihuahua-Wüste, im Süden New Mexicos. Bis zur Grenze zu Mexiko sind es, quer durch die braunkahle Einöde, fünfzig Kilometer. Dass die Zahl der Immigranten, die ohne Einreisegenehmigung über diese Grenze kommen, neuerdings auf Rekordwerte gestiegen ist, war auch in Deming ein Thema. Allerdings ein eher abstraktes, denn konkrete Folgen hatte es nicht. Dazu lag die kleine Oasenstadt zu weit vom Schuss.

Das änderte sich mit dem Tag, an dem die Grenzpolizei in zwei Bussen 123 Migranten nach Deming brachte, weil ihre eigenen Unterkünfte aus allen Nähten platzten. Chris Brice, der City-Manager, der Cheforganisator an der Seite des ehrenamtlichen Bürgermeisters, ein Praktiker ohne jede Neigung zum Drama, funktionierte kurzerhand einen im Zweiten Weltkrieg erbauten ungenutzten Flugzeughangar zum Transitcamp um. Ein Gebäude mit Wellblechdach und zerbrochenen Fenstern, weit und breit die größte leerstehende Halle.

El Paso (1)

El Paso: Dieses von der Zoll- und Grenzschutzbehörde der USA zur Verfügung gestellte Foto zeigt Migranten, die die Grenze zwischen den USA und Mexiko überschritten haben.

„Okay, dachten wir, wir haben es mit einer Ausnahmesituation zu tun, nach kurzer Zeit ist es wieder vorbei”, sagt er. „Bald dämmerte uns, wie gründlich wir uns getäuscht hatten.” Mittlerweile gibt es ein weiteres provisorisches Auffanglager, sind es über 300 Menschen, um die sich Brice zu kümmern hat, ein stämmiger Mann, der einst bei der Kriegsmarine diente und danach als Berater in arabischen Ländern arbeitete. In der Regel bleiben sie nur für ein paar Tage, bis ihre in den USA lebenden Bürgen, meist Verwandte, ein Ticket für sie gebucht haben. Mit dem Greyhound-Fernbus oder dem Flugzeug geht es ans Ziel, wo irgendwann ein Gericht über ihr Asylgesuch befindet.

Vom Lager am Rande der Stadt

Bis die Weiterreise organisiert ist, bis ihre Namen mit dem Strafregister abgeglichen sind, werden die Migranten von Ärzten untersucht, sie können duschen, für viele ist es das erste Mal seit Wochen, und ihre dreckigen Sachen gegen frische eintauschen. Bei den meisten handelt es sich um Eltern, oft entweder um Mütter oder Väter jeweils solo, mit Kindern. Das Gros kommt aus El Salvador, Guatemala und Honduras.

El Paso

Nach Angaben der Zoll- und Grenzschutzbehörde haben 1036 Menschen die Grenze überschritten, so viel wie noch nie zuvor.

Anfangs, erinnert sich Brice, habe es einigen Aufruhr gegeben wegen des Lagers am Rande der Stadt. „Aber jetzt, was soll ich sagen, es läuft.” Eine Welle der Hilfsbereitschaft habe Deming erfasst. Wolldecken, Babywindeln, Shampoo – an Spenden herrsche kein Mangel. Jemand hat einen defekten Großküchenherd repariert, sodass sie nunmehr kochen können, am liebsten Reis und Bohnen. Jemand hat Kühlschränke beigesteuert, jemand Fußballtore.

Dass Deming überhaupt aushelfen muss, liegt an erschütternden Berichten über die Zustände in den Zentren der Grenzpolizei. Im Mai, fanden Kontrolleure des Heimatschutzministeriums heraus, mussten sich 41 Festgenommene in El Paso eine Zelle teilen, die für maximal acht Personen gedacht ist. Im gesamten Komplex hausten 900 Migranten, sieben Mal so viele wie zugelassen. Im März hatte die Einwanderungsbehörde ICE Hunderte unter einer Brücke campieren lassen. Es sind die Notlösungen eines völlig überforderten Apparats.

Nach der offiziellen Statistik wurden im Mai 132 887 illegal Eingewanderte an der Grenze zu Mexiko aufgegriffen, so viele wie seit 2007 nicht mehr. Das Annunciation House, ein kirchliches Netzwerk, hat neulich 500 Klappliegen in eine kurzfristig geräumte Lagerhalle gestellt. Die Halle ist nur eine von zwei Dutzend Notunterkünften in El Paso.

Migranten als Zielscheiben für Drogenkartelle

Brinkley Johnson (23) , angehende Lehrerin aus Südkalifornien, für zwei Freiwilligenjahre hier, spricht von chronischer Erschöpfung. Und von theoretischen Lösungsansätzen, die in Wahrheit keine sind. Der Theorie nach, auf Druck von Präsident Donald Trump, müssten Asylbewerber in Ciudad Juárez, El Pasos mexikanischer Zwillingsstadt, ausharren, bis in den USA der Gerichtstermin ansteht – was Monate dauern kann. Manche warten geduldig, eine große Mehrheit zieht den illegalen Weg vor, den Weg über den Rio Grande.

In der Hoffnung, am anderen Ufer möglichst einer Grenzpatrouille in die Arme zu laufen – die sie nicht zurückschicken darf. Auf absehbare Zeit, glaubt Brinkley Johnson, wird sich daran nichts ändern. In Ciudad Juárez, weiß sie, sind Migranten Zielscheiben für Drogenkartelle, bisweilen werden sie entführt, um Lösegeld zu erpressen. „In Juárez ist es genauso schlimm wie zu Hause”: Den Satz hat sie schon oft gehört von Guatemalteken, Honduranern, Salvadorianern.

Ein Stück Mauer in Privatinitiative

Sind Sie Reporter?", ruft Jeff Allen am Telefon, noch bevor man sich richtig vorstellen kann. "Kein Kommentar!" Ob er das etwa noch buchstabieren solle, wimmelt er jede Nachfrage ab. Allen betreibt eine Ziegelfabrik am Rio Grande, zufällig genau an der Stelle, ab der der Fluss die Staatsgrenze bildet. Eine Privatinitiative aus Florida ("We Build The Wall Inc.") hat dort sechs Meter hohe Stahlsegmente in die Landschaft gerammt und damit eine achthundert Meter breite Lücke im Grenzzaun geschlossen. Gegründet von Brian Kolfage, einem beinamputierten Luftwaffen-Veteranen, beraten vom Rechtspopulisten Steve Bannon, hat sie sechs Millionen Dollar an Spenden gesammelt.

Um, nach Kolfages Worten, zu zeigen, was effizientes Handeln bedeutet. Es dauerte nur ein Wochenende, dann war der Zaun fertig. Allerdings muss sich nun der Bürgermeister von Sunland Park, der Industriestadt, zu der das Gelände der Ziegelfabrik gehört, heftige Kritik gefallen lassen. Die Bürger wollen wissen, warum er dem Zaunprojekt von heute auf morgen grünes Licht gab, während sie eine halbe Ewigkeit auf eine Genehmigung warten müssen, wenn sie ein Mäuerchen an ihre Grundstücksgrenze setzen wollen.

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