Zukunft der KVB„Jeder muss seine Hausaufgaben machen“

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: Straßenbahnen der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) stehen im Anschluss an die Bilanzpressekonferenz zu «Ein Jahr Deutschlandticket» im Betriebshof in der Hauptverwaltung.

Straßenbahnen der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB).

Stefanie Haaks (57) leitet seit 2019 die Kölner Verkehrs-Betriebe. Manfred Richter (54, Grüne) wurde am 16. April zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt.

Frau Haaks, der Vorstand der KVB hat dem Aufsichtsrat ein Minimalszenario vorgelegt, bei dem wegen Geldmangels zahlreiche Projekte für die Verkehrswende gestrichen werden. Wollten Sie mit diesem Papier aufschrecken?

Haaks: Wir sind der Dienstleister der Stadt Köln in Sachen Mobilität und machen dies ausgesprochen gern. Aufgrund der Struktur können wir unsere Kostensteigerungen nicht 1:1 an unsere Kunden weitergeben. Wenn nun der Leistungsauftrag an die KVB und die daraus resultierenden Defizite die wirtschaftliche Ausgleichsfähigkeit des Konzerns zu überschreiten drohen, haben wir meines Erachtens die Pflicht, dies unserem Aufsichtsrat sowie unseren Gesellschaftern umgehend aufzuzeigen.

Herr Richter, Sie haben den Vorsitz des Aufsichtsrates von Herrn Hammer übernommen. Die erste Sitzung, Ihre Amtseinführung und dann dieses Papier: Schon bereut, den Job angenommen zu haben? Zumal die Verkehrspolitik bisher nicht im Fokus Ihrer politischen Laufbahn stand.

Richter: Nein, ich habe den Aufsichtsratsvorsitz der KVB sehr gerne übernommen! Verkehrspolitik ist in Köln immer ein zentraler Bestandteil der Politik. Egal ob Finanzen, Stadtentwicklung oder Sicherheit Mobilität muss immer mitgedacht werden. Die KVB stehen unter den Verkehrsbetrieben bundesweit nicht alleine mit dem Problem da, dass der ÖPNV auf der einen Seite zum Rückgrat der Verkehrswende ausgebaut werden soll, aber auf der anderen Seite das Geld dafür massiv fehlt. Was erwarten Sie nun von den Geldgebern?

Haaks: Bisher konnte das Defizit der KVB über den Ergebnisabführungsvertrag und somit den steuerlichen Querverbund im Stadtwerkekonzern ausgeglichen werden. Wir haben einen leistungsstarken Konzern, aber so, wie sich der Ausgleichsbedarf für das politisch gewollte Wachstum der KVB entwickelt, überschreitet dies mittelfristig die Leistungsfähigkeit unseres Konzerns. Da bedarf es einer Entscheidung.

Herr Richter, Sie sind nicht nur KVB-Aufsichtsratsvorsitzender, sondern auch stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Ratsfraktion. Einer Partei, die Copyright-Ansprüche auf die Verkehrswende erheben könnte. Doch muss nun nicht bei der Verkehrswende ein Gang zurückgeschaltet werden?

Richter: Der ÖPNV ist das Rückgrat der Verkehrswende – und die Verkehrswende liegt im Interesse von uns allen. Deshalb hat die KVB auch eine besondere Bedeutung für das Erreichen der Klimaneutralität bis 2035. Für diese Aufgaben muss sie aber ausreichend finanziert sein. Im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir diskutieren, was wir uns wie leisten wollen und können. Die Einnahmen aus den Ticketverkäufen sinken – nicht zuletzt, wegen des Deutschlandtickets. Wer einst bei den KVB ein Monatsticket für 130 Euro hatte, kann nun für 49 Euro im Monat fahren. Dafür gibt es zurzeit zwar Zuschüsse aus Bund und Land, aber wie es langfristig mit der Finanzierung des Deutschlandtickest weitergehen soll, steht in den Sternen. Wäre es Ihnen lieber gewesen, das Deutschlandticket wäre nie gekommen?

Haaks: Das Deutschlandticket hat dazu beigetragen, dass der ÖPNV wieder mehr in den Fokus gerückt ist. Für die Kunden ist der Zugang zum ÖPNV deutschlandweit einheitlich und einfach geworden. Das alles ist gut so. Aber natürlich hätte ich mir gewünscht, dass wir erst den Ausbau unseres Streckennetzes voranbringen und die Gelder dafür einsetzen. Dies ist meines Erachtens notwendig, um die Kapazitäten zu schaffen, die – neben Qualität und Zuverlässigkeit – eine wichtige Voraussetzung für unser Wachstum sind. Die Politik hat hier aber einen anderen Weg beschlossen.

Frau Haaks, Herr Richter, auch wenn Sie nun wahrscheinlich den jeweils anderem für die Antwort zuständig sehen, ich will es dennoch versuchen: Welche Ausbauprojekte im Schienennetz der KVB haben aus Ihrer Sicht Priorität, für welche sehen Sie noch eine realistische Chance der Realisierung in einem absehbaren Zeitraum?

Haaks: Wir haben als KVB einen Daseinsvorsorgeauftrag hinsichtlich der Mobilität und sind – wie bereits erwähnt das Rückgrat der Mobilitätswende zur Erreichung von Klimaschutzzielen. Die Ausbauvorhaben richten sich nach den politischen Beschlüssen im Rat sowie dem Zielnetz 2032 der Stadt. Wenn wir als KVB aus wirtschaftlichen Zwängen heraus priorisieren müssen, betrachten wir den sogenannten verkehrlichen Nutzen unter Beachtung des Daseinsvorsorgeauftrages. Das bedeutet: Dort wo wir mit ressourcenschonendem finanziellen Einsatz die meisten Fahrgäste hinzugewinnen können, ist unsere Präferenz für einen Ausbau. Je nach Gegebenheiten und Aufwand ist das dann ein Stadtbahnausbau oder eine Buslinienerweiterung. Man muss aber berücksichtigen, dass wir als KVB nur unsere eigenen Kosten abschätzen können, nicht aber die Baukosten, die zum Beispiel bei der Stadt bei Stadtbahnausbauten anfallen.

Richter: Politisch kümmern wir uns um die finanziellen Rahmenbedingungen und die Stadtentwicklung, zu der auch die Mobilitätsanbindung gehört. Daher schauen wir als Politik auf das eine oder andere Ausbauvorhaben auch aus einem anderen Blickwinkel als die KVB. Den umfangreichen Diskussionen kann und will ich jetzt aber nicht vorgreifen.

Frau Haaks, die Ertüchtigung der Ost-West-Achse steht auch bei dem Minimalpapier außer Frage – und wenn es nach Ihnen geht mit einem Tunnel zwischen Heumarkt und Aachener Straße. Herr Richter, die Grünen im Kölner Stadtrat lehnen den Tunnel rundweg ab. Wäre es nicht besser, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende und die Vorstandsvorsitzende der KVB in dieser wichtigen verkehrspolitischen Frage an einem Strang ziehen?

Richter: Das muss man hinsichtlich der Rollen klar unterscheiden. Grundsätzlich wird die KVB die im Rat beschlossene Variante umsetzen. Die Grünen setzen sich dabei für den oberirdischen Ausbau ein. Diese Variante ist – bei vergleichbarem verkehrlichen Nutzen – günstiger, nachhaltiger und kann schneller umgesetzt werden als der unterirdische Ausbau. Außerdem sparen wir uns jahrzehntelange Baustellen in der Innenstadt. Ich glaube, das ist vielen gar nicht so bewusst.

Haaks: Uns ist durchaus bewusst, dass die Ertüchtigung der Ost-West-Achse für die Entscheider mehr als ein reines Verkehrsprojekt ist. Wir als Verkehrsunternehmen bewerten die Varianten für uns nach den betrieblichen Konsequenzen. Bei einer unterirdischen Variante könnte der Betrieb störungsfreier und mit weniger Unfällen verlaufen. Denn dort würde die Bahn ja ausschließlich auf eigenem Bahnkörper fahren und keine Kreuzungen mit anderen Verkehrsteilnehmern haben. Aber ich habe auch immer betont, dass dies für unsere Stadt wirtschaftlich abbildbar sein muss. Am Ende entscheidet hier der Rat der Stadt Köln, wie der Kapazitätsausbau erfolgt. Wichtig wäre mir, dass wir ausbauen unabhängig davon, ob oberirdisch oder unterirdisch, denn auf dieser Achse stoßen wir bereits heute phasenweise an Kapazitätsgrenzen, und eine weitere Taktverdichtung ist auf der bestehenden Infrastruktur schlichtweg nicht möglich.

Herr Richter, das Minimalszenario zu Ihrer Amtseinführung ist nur eines von vielen Problemfeldern, für die Sie nun zuständig sind. Die KVB haben Personalprobleme. Der Fahrplan des Betriebs ist seit über einem Jahr ausgedünnt. Der Vorstand hat sich schon einem Mediationsverfahren unterzogen, weil die Zusammenarbeit auf der Führungsetage nicht immer reibungsfrei war und vielleicht auch noch ist. Zurzeit ist dem Vorstand eine Unternehmensberatung zur Seite gestellt, die dabei helfen soll, mehr Effizienz bei der Arbeitsaufteilung zu erzielen. Um nur mal ein paar Problemfelder zu benennen. Geben Sie doch mal bitte einen Zustandsbericht der KVB aus Ihrer Sicht ab.

Richter: Die operative Verantwortung für das Unternehmen liegt ganz klar beim Vorstand. Kurzfristig gilt es, das Vertrauen der Bürger in die Zuverlässigkeit der KVB wieder zu stärken. Damit das gelingt, hat hier jeder seine Hausaufgaben zu machen. An diesem Vertrauensaufbau werden wir in den kommenden Wochen und Monaten gemeinsam arbeiten. Darüber hinaus sind die bundesweiten Rahmenbedingungen für den ÖPNV aktuell schwierig. Da nenne ich nur die Veränderung in der Tarifsystematik durch den Bund mit der Einführung des Deutschlandtickets, ohne dessen dauerhafte Finanzierung abzusichern.

Interne Streichliste verdeutlicht dramatische Finanzierungslücke

339 Millionen Euro Zuschussbedarf pro Jahr erwarten die Kölner Verkehrs-Betriebe im Jahr 2035, wenn die im Zuge der Verkehrswende geplanten Netzerweiterungen realisiert werden. Im laufenden Jahr rechnen die KVB bereits mit einem Defizit von 188 Millionen Euro. Die Stadtwerke Köln (SWK), die bislang die Verluste über Gewinne der Rheinenergie ausgleichen, können aber nur 160 Millionen Euro pro Jahr aufbringen. Angesichts der Lücken in der Finanzierung hat der KVB-Vorstand dem Aufsichtsrat eine mögliche Streichliste präsentiert (die Rundschau berichtete exklusiv). Demnach würden ohne neue Finanzquellen von elf Schienenausbauprojekten nur noch drei übrig bleiben. Und zwar die Ertüchtigung der Ost-West-Achse, der Ausbau der Nord-Süd-Stadtbahn bis zum Verteilerkreis Süd und die Verlängerung der Bahnsteige auf den Linien 4, 13 und 18. Acht Schienenprojekte würden demnach vorerst nicht mehr weiterverfolgt.

In der Kölner Politik sorgte die Streichliste für einen Aufschrei. Man dürfe die Verkehrswende nicht vor die Wand fahren, hieß es über Parteigrenzen hinweg. An Bund und Land wurden Appelle gerichtet, mehr Geld für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bereitzustellen. Die Linke forderte eine Nahverkehrsabgabe von Unternehmen wie in Wien, Volt eine City-Maut.

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