SchlafmedizinerHilft „eine Nacht drüber schlafen“ wirklich bei Entscheidungen?

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Frau im Bett Getty

Was hilft besser: Grübeln oder schlafen?

Köln – Bekomme ich einen guten Schulplatz für meinen Sohn? Soll ich meinen Job kündigen und mich selbstständig machen? Habe ich beim Streiten mit dem Partner vorhin überreagiert? Unzählige Fragen und Gedanken wandern tagtäglich durch unseren Geist, lassen uns wachliegen und grübeln. Manche davon mögen kleine Entscheidungen sein. Andere wiederum haben langfristige Auswirkungen auf unser Leben. Umso schwerer fällt es dann, einen Entschluss zu fassen. Wer ihn noch nicht selbst gegeben hat, hat folgenden Ratschlag in solch einem Entscheidungsdilemma sicherlich schon einmal bekommen: „Schlaf‘ doch noch mal eine Nacht darüber!“. Gesagt, getan. Und plötzlich sind am nächsten Morgen einige der Sorgen bereits erledigt. Die Schulwahl des Sohnes steht ja erst in drei Jahren an. Die Einstellung zum Jobwechsel hat sich gefestigt. Und beim Streit mit dem Partner hat sich die Gemütslage über Nacht beruhigt. Wie kann das sein?

Gehirn sortiert Eindrücke in Schubladen

„Sobald die Jalousien abends runter gehen, wird im Gehirn alles verpackt, sortiert und in Schubladen geordnet“, sagt Schlafmediziner Dr. Michael Feld. Denn erst wenn sich die Lider schließen und der Tag offiziell beendet wird, hören auch die Sinnesorgane auf, all ihre Eindrücke auf uns einprasseln zu lassen. Rationales kann sich nun mit Emotionalem vermengen und bewertet werden. Einige dieser Schubladen gehen dabei zu oder werden gelöscht, es können aber auch ganz neue entstehen. Und so eben auch neue Argumente, die uns plötzlich zu einem Entschluss bringen, obwohl er uns am Vortag doch noch so viel Kopfzerbrechen bereitet hat.

Schlafmediziner Dr. Michael Feld, CC Uwe Schmitz

Schlafmediziner Dr. Michael Feld hat eine Praxis mit Schlaflabor in Frechen.

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Beim nächsten Problem sollte man also gar nicht erst grübeln, sondern lieber gleich versuchen, die Entscheidung auf den nächsten Tag zu verschieben? Ganz so einfach ist es leider doch nicht, sagt Feld. Wie gut unser Gehirn die Informationen in all die Schubladen sortieren und verpacken kann, hängt auch von unseren Schlafphasen, der Schlafdauer und -tiefe ab.

Zunächst zu den Schlafphasen: Neben dem Leicht- und Tiefschlaf – vor allem letzterer dient Körper und Geist zur Regeneration – ist vor allem der Traumschlaf relevant. Denn hier werden nicht nur Informationen, sondern auch insbesondere Emotionen verarbeitet. Fakt am Rande: „Menschen mit kreativen Berufen wie Künstler oder Schriftsteller haben oft einen intensiveren Traumschlaf – und können sich außerdem besser an ihre Träume zurückerinnern als beispielsweise Mathematiker oder Beamte mit striktem Bürojob“, sagt der Schlafmediziner.

Schlaf hilft nur bis zu einem gewissen Belastungspunkt

Fällt diese Phase aufgrund verschiedenster Umstände geringer aus, beeinflusst das auch die Möglichkeiten des Gehirns, die Einflüsse des Tages zu verarbeiten. Wie viel Schlaf dafür notwendig ist, hängt von der individuellen Person ab. „Spitzenmanager und die Bundeskanzlerin kommen dauerhaft mit fünfeinhalb Stunden pro Nacht aus. Während andere Politiker, die mit Angela Merkel in nächtlichen Konferenzen sitzen, irgendwann schlicht nicht mehr können, weil Bewusstsein und Gehirn Regenerationszeit benötigen“, sagt Dr. Michael Feld.

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Helfen kann Schlafen bei Sorgen oder Problemen außerdem nur so lange, wie diese uns nicht so großem, inneren Druck aussetzen, dass wir uns in einer einzigen Negativschleife befinden – „Oder körperliche Beschwerden hinzu kommen. Und dazu zählt etwa auch Schnarchen. Denn dadurch wird Erholungsschlaf verhindert und es kann teilweise sogar zu Atemaussetzern kommen“, sagt Feld.

Warten auf die Stimmungsaufheller des nächsten Tages

Geht aber die Strategie des „Drüber Schlafens“ auf: Wie kann es sein, dass wir uns binnen einer Nacht gänzlich umentscheiden und -orientieren können – obwohl wir doch noch immer die gleiche Person sind?

Ein gutes Beispiel ist laut Feld der Chemiker August Kekulé. Lange arbeitete dieser erfolglos an einer chemischen Formel, bis ihm der Aufbau des Benzol-Moleküls schließlich im Traum erschien – in dem sich offenbar all seine Gedanken und Ideen ordneten. „Auch die unterschiedlichen Stimmungen des Tages spielen dabei eine Rolle. Morgens weiß jeder wer er ist, wie er heißt, und was er will. Abends, wenn die Stimmung seliger wird, verändern sich bereits unsere Hirnbotenstoffe, wir werden nostalgischer, emotionaler“, sagt der Schlafmediziner. „Und im Traum schließlich kann man eventuell fliegen oder ohne Reue Fremdgehen, denn es ist ja nur ein Traum.“ Schuld am nächtlichen Grübeln sind die fehlenden stimmungsaufhellenden Hormone. Die sind nachts weniger vorhanden als tagsüber und lassen unsere Sorgen deshalb größer erscheinen – vor allem dann, wenn wir zur Ruhe kommen und einschlafen wollen. Ein Teufelskreis, denn nächtliches Wachliegen führt im Umkehrschluss häufig zu schlechter Stimmung am Tag.

Ein Warten auf diese Stimmungsaufheller des nächsten Tages, eine „Nacht drüber zu  schlafen“, das lohnt sich laut Dr. Michael Feld aber auf jeden Fall. Solange man dabei im Kopf behalte: „Aus einem Hausschwein wird kein Lipizzaner. Bei manchen Problemen kommt Schlaf als Problemlöser eben auch an seine Grenzen.“

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