Russische AktienWelchen Anlegern jetzt der Totalverlust droht

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Aktienhandel

Ein Aktienhändler beobachtet auf dem Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse seine Monitore. 

Köln – Deutsche Anleger, die Anteile an russischen Unternehmen haben, haben derzeit ein Problem. Sie werden von ihrer Depotbank aufgefordert, ihre sogenannten Hinterlegungsscheine innerhalb einer bestimmten Frist umzutauschen. Klingt einfach, ist es aber nicht. Doch der Reihe nach.

Wenn deutsche Anleger Wertpapiere russischer Unternehmen halten, handelt es sich in aller Regel um Hinterlegungsscheine, sogenannte ADRs (American Depository Receipts) oder GDRs (Global Depository Receipts). Diese Hinterlegungsscheine verbriefen das Eigentum an einer Aktie und werden stellvertretend für diese gehandelt.

Hinterlegungsscheine

Dabei werden die Hinterlegungsscheine häufig von US-amerikanischen Kreditinstituten ausgegeben. Dort liegen auch die eigentlichen Aktien hinter den Verbriefungen. Der Grund für diese Vorgehensweise: Es erleichtert den internationalen Handel. Nun aber hat das russische Parlament im April 2022 fast alle russischen Aktiengesellschaften dazu verpflichtet, ihre meist mit US-Banken abgeschlossenen Hinterlegungsprogramme für Aktien zu kündigen. „Gazprom hat daher zum Beispiel das ADR-Programm bei der Bank of New York Mellon zum 3. August gekündigt“, so Daniel Bauer, Vorstandsvorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger SdK.

Umtausch möglich

Laut den Verträgen, die diesen Programmen zugrunde liegen, beginnt mit der Kündigung eine Frist, die in der Regel drei Monate beträgt. „Sie kann aber durchaus auch länger ausfallen“, sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Für ADR- bzw. GDR-Besitzer bedeutet das, dass sie innerhalb dieser Frist ihre Hinterlegungsscheine bei der zuständigen, in der Regel US-Bank einreichen müssen. Im Gegenzug erhalten sie dafür die entsprechende Anzahl der russischen Originalaktien. Informiert werden Anleger darüber von ihren jeweiligen Depotbanken. Laut Bauer liegen die Umtauschgebühren je Bank zwischen 15 und 20 Dollar. Zudem wird je Hinterlegungsschein eine zusätzliche Gebühr von 0,05 Dollar fällig.

Russisches Depot nötig

Der Haken ist ein anderer. Denn ob die Einreichung und Umwandlung funktioniert, ist derzeit mehr als unklar. Den Experten zufolge gibt es zwei große Probleme: Zunächst würden manche Einreichungsfristen bald auslaufen, einige bereits Mitte Juli. Vor allem aber brauchen die Kunden wegen der gegen Russland verhängten Sanktionen ein Depot bei einer russischen Bank. „Dieses Depot ist Stand jetzt notwendig, weil die Originalaktien nur bei einer russischen Lagerstelle verwahrt werden können“, so SdK-Vorstand Bauer. Deutsche Depotbanken lehnen hingegen die Verwahrung ab.

Zudem ließen sich die Aktien wohl auch nicht auf eine deutsche Lagerstelle übertragen. „Für einen Normalanleger ist es aber fast unmöglich, ein Depot bei einer russischen Bank zu eröffnen“, stellt Kurz klar. So gäbe es zwar einige russische Anwaltskanzleien mit Sitz in Deutschland, die gegen Honorar bei der Eröffnung von Depots bei der Gazprombank und anderen Instituten behilflich seien. „Ob das ein gangbarer und vor allem bezahlbarer Weg für Normalanleger ist, kann ich nicht wirklich beurteilen“, so Kurz. „Klar ist allerdings, dass damit ein Totalverlustrisiko verbunden ist, sollte sich der russische Staat irgendwann für einen großflächigen Enteigungszugriff auf von Ausländern gehaltene Depots entscheiden.“ SdK-Vorstand Bauer zufolge wäre eine Alternative, dass die Depotbanken ein Treuhandkonto in Russland eröffnen und dorthin alle Originalaktien ihrer Kunden transferieren. Dann wäre keine individuelle Kontoeröffnung nötig.

Große Verluste drohen

Die Handlungsoptionen für ADR- bzw. GDR-Besitzer sind damit begrenzt. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Wertpapiere zu verkaufen. Laut Kurz von der DSW bekämen viele der betroffenen Anleger bereits von wenig transparenten Adressen Übernahmeangebote für ihre Hinterlegungsscheine. Geboten werde dabei aber nur ein Bruchteil des realen Wertes. „Wer solche Angebote annimmt, muss dann in der Regel Verluste in Höhe von 95 Prozent und mehr hinnehmen“, so Kurz.

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Verglichen damit ist das Risiko, erst einmal abzuwarten, kaum höher. Denn werden die Hinterlegungsscheine nicht eingereicht, wird die US-Bank nach Ablauf der Frist die Papiere zum nächstmöglichen Zeitpunkt verkaufen und den Erlös, abzüglich Kosten und Gebühren, an die ADR- bzw. GDR-Besitzer überweisen. „Es ist allerdings völlig unklar, wann ein solcher Verkauf stattfinden kann“, so Kurz. Aktuell ist der Handel mit russischen Aktien aufgrund der Sanktionen nicht möglich, auch nicht für US-Banken. Dennoch empfiehlt Kurz Anlegern abzuwarten und auf den Verkaufserlös aus den Aktien zu hoffen.

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