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Interview„Jetzt bloß nicht weinen“ – Jochen Hörisch über die Chancen der Zeitungen

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„Täglich frisch“ hat der Zeichner diese Karikatur betitelt. Im Umgang mit Fake News sind auch die Zeitungen gefordert.

Professor Hörisch, haben sich in der digitalen Medienwelt die Vorstellungen verändert, was "guter Journalismus" ist?Intern nicht, nach außen aber sehr wohl. Der Anspruch an saubere Recherche und Sorgfalt in der Darstellung ist der gleiche geblieben. Aber die Bereitschaft, solche Qualitäten auch wertzuschätzen, hat abgenommen. Journalisten tun gut daran, den Wert ihrer Arbeit zu bewahren, müssen aber umso mehr fragen: Was ist schief gelaufen, dass es zu einem solchen Wertverlust in der bei uns üblichen Währung gekommen ist - dem Geld?

Wie ist Ihre Antwort darauf?Der Beruf des Journalisten hat dadurch eine Abwertung erfahren, dass heute jeder glaubt, Journalist zu sein. Jeder kann bloggen oder twittern - ob er US-Präsident, Chefredakteur oder Normalsterblicher ist. Auch die Funktion des "Gatekeepers", der mit über die Verbreitung von Nachrichten entscheidet, hat sich im Internet erledigt.

Es heißt, Glaubwürdigkeit und Vertrauen seien das höchste Gut der Journalisten. Spielt dabei auch die persönliche Integrität eine Rolle?Ja, in dem Sinne, dass die Person stärker für ihre Arbeit einstehen muss als früher. Sie sehen es besonders auch in der Wirtschaft. In den Medien spiegelt sich dieser Trend zur Personalisierung. Jede Zeitung hat ihre Kolumnisten, ihre "Edelfedern", die sie gern herausstellt. Namen werden zu Marken.

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Trotzdem stellen beide Seiten - die klassischen Medien wie ihr Publikum - eine wechselseitige Entfremdung fest. Wie lässt sich diese wieder abbauen?Hier ist die "Zeit" ein Positivbeispiel. Die Wochenzeitung legt bei großen Artikeln inzwischen die Entstehungsbedingungen offen und sagt, mit wem sie kooperiert hat, was sie sich eine Recherche hat kosten lassen, an welchen Punkten noch Unklarheiten bestehen. So etwas trägt inhaltlich zur Bindung der Leser an "ihre Zeitung" bei. Es ist ja nicht so, dass die Leute dem Gerede von der "Lügenpresse" tatsächlich Glauben schenkten. Sie wissen, dass gut ausgebildete Vollprofis in Zeitungsredaktionen in aller Regel Vertrauen verdienen. Das symbolische Kapital bei den Kunden der Traditionsmedien ist also hoch, aber die Zahlungsbereitschaft schwindet.

Was folgt daraus?Die disruptive - also die auf Verdrängung angelegte - Entwicklung der Medientechnik ist eine existenzielle Bedrohung für das gedruckte Wort, für Zeitungen, Zeitschriften und Bücher. Ich sage das ungern, weil ich ja selber vom und mit dem gedruckten Wort lebe und emotional daran hänge. Aber analytisch halte ich es nüchtern mit dem Klassiker von Karl Marx: Neue Produktionsmittel bedingen neue Produktionsverhältnisse. Das "Produktionsmittel" Internet zwingt Medienunternehmen dazu, sich mit ihren Produkten und deren Verkauf neu zu orientieren.

Und zwar wie?Mein Vorschlag dazu: Von der Musikindustrie lernen! Diese Branche hat viel früher erleben müssen, wie die Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden abgenommen hat. Die Leute haben sich ihre Musik aus dem Internet geklaubt, genauer gesagt, geklaut. Darauf hat die Industrie mit Streamingdiensten reagiert und medienökonomisch gesehen die Kurve gekriegt. Und ich prognostiziere, dass das auch ein Weg für Zeitungsverlage sein könnte - mit Abo- oder Flatrate-Modellen. Sie können auch Pakete schnüren, Zeitungs-Abos in Verbindung mit Konzert- oder Theaterkarten. Die Zeitung ist ein Kulturgut. Ich bin sicher, dass die meisten Menschen es nicht missen möchten. Es gilt, was Walter Benjamin mit Bezug auf neue Medien gesagt hat: "Nicht weinen!"

Weinen?Ja. Über Jahrhunderte führte das Aufkommen neuer Medien zu Larmoyanz: Der Buchdruck habe die schönen, alten Handschriften deklassiert. Der Film sei das Ende des Theaters, Radio und Fernsehen der Tod des Buchs. Immer die gleiche Litanei. Heute wird sie wegen des Internets angestimmt. Aber ändert sich dadurch etwas? Nein. Deshalb: Nicht weinen, sondern sich auf die neuen Medien einstellen! Das Internet lässt sich nicht ausschalten.

Noch einmal: Was tun?Zum ersten können die klassischen Medien durchaus auf einen Pendel-Effekt setzen: Auf den Siegeszug der CD folgte eine Gegenbewegung zur Vinylplatte. Hochwertig gestaltete Bücher finden ihre Abnehmer. Das ist eine Art „Manufactum für Medien“. Zum zweiten rate ich zum offensiven Werben für die - nachweisliche - Qualität journalistischer Arbeit. Investigative Recherchen, etwa zu den "Panama Papers", stimmen mich ebenso hoffnungsvoll wie der Umgang der großen US-Medien mit Trump. Natürlich hat nicht jede Zeitung diese Ressourcen. Aber mit einem Arbeiten im Verbund, was es auch bei uns schon gibt, können auch kleinere Blätter stark und schlagkräftig sein.

Das Gespräch führte Joachim Frank.

Zur Person

Jochen Hörisch (66) ist Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse in Mannheim. In seiner wissenschaftlichen Arbeit, aber auch in Hörfunk- und Fernsehsendungen beschäftigt er sich mit der Funktion von Medien im weitesten Sinne - Sprache und Bildern ebenso wie Musik oder beispielsweise auch dem Geld als Medium des Tausches. (EB)