Interview mit Jacques Berndorf„Berndorf - In der Eifel neu erfunden“
7 min
Bestseller-Autor Jacques Berndorf (Bild: Larmann)
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Der 75. Geburtstag - ist das ein freudiges Ereignis oder ist das eher doof?
Ach Gott, Jung! Es ist ein bisschen doof, weil alle Leute jetzt darauf abheben. Aber nein, es ist eigentlich okay. Ich bin wirklich erstaunt, dass ich noch lebe, sagen wir mal so. Ich erinnere mich an eine Wahrsagerin in München-Haar. Die hat mir geweissagt: „Junge, du wirst nicht 45.“ Ich bin also der lebende Beweis dafür, dass Wahrsagerinnen nicht immer die Wahrheit sagen.
Wenn Sie zurückblicken, könnten Sie doch sagen, Sie hätten ganz elegant die Kurve gekratzt...
Ich hatte auch Schwein, wissen Sie! Die Kurve zu kriegen aus einem Leben, wie ich es gelebt habe - ich glaube nicht, dass man das aus eigenem Antrieb kann. Denn ich bin damals ja aus einem Leben weggegangen, einfach weg, und wollte irgendwo neu anfangen.
1976 gab es bei Ihnen einen Bruch. Vorher waren Sie Tageszeitungsredakteur, haben für Stern, Quick, DM, Ferenzcy-Presse gearbeitet. Könnte man Sie, aus der damaligen Sicht betrachtet, als einen Draufgänger bezeichnen? Sie waren ja auch in vielen Krisengebieten...
Ja, ich war ein Draufgänger. Es war damals für mich wie für einen kleinen Jungen ganz wichtig, keine Angst zu zeigen, auch wenn ich sie hatte.
Das war eine verrückte Zeit, kurz nach den 68ern...
Als die Amis in Vietnam aufkreuzten, habe ich natürlich auch gesagt, da will ich hin. Aber ich habe es ohne Hirn gesagt. Und wenn ich irgendetwas nicht kontrolliert betrachten konnte, wie das Durcheinander an einer Front oder weiß der Teufel was, dann habe ich etwas getan, was ein vernünftiger Mensch nicht tut - ich habe mir einen halben Flachmann genehmigt. Es war auf eine gewisse trostwürdige Art und Weise krank.
Waren Sie mehrfach in Vietnam?
Ja, oft. Die Amerikaner flogen uns
in Militärmaschinen hin, um den Journalisten aus Europa klar zu machen, wie man ganz schnell einen Krieg gegen die Kommunisten gewinnt. Natürlich wurde uns gesagt, du bleibst beim Press-Corps in Saigon und dass man uns zu „Platoons“ (taktische Kampfeinheiten, d. Red.) nicht mitnehmen könne. Aber wir versuchten, den Mann an der Hand zu haben, der ein Platoon leitet. Der sollte dann sagen, wo man sich in zehn Kilometern Entfernung vom Einsatzort aufhalten konnte. Das war eine Welt, die ich manchmal nur im Suff ertragen konnte. Sie war ja so grausam. Wir sind damals durch Gegenden gekommen, in denen ganze Dörfer ausradiert waren. Wenn du da vor kleinen Kindern stehst, die so alt sind wie deine Tochter, aber tot, verbrannt, da kommst du dir vor wie ein „lonesome Wolf“.
Ich habe das Gefühl, dass diese Bilder immer noch sehr stark in Ihnen sind?
Ja. Das kann man nicht verlieren. Wenn du einen Traum hast, träumst du ihn möglicherweise mit diesen Toten. Das passiert zwar selten, ich muss dann aber sofort mit meiner Frau Geli darüber reden.
Sie haben damals trinken müssen. Was waren die höchsten Dosen, die Sie brauchten?
Ich endete mit zwei Flaschen Whiskey am Tag.
Kann man das denn überhaupt aushalten?
Nein. Natürlich nicht. Du weißt ja auch genau, du machst dich kaputt. Möglicherweise endest du im Delirium und frisst irgendwelche Tabletten.
Wie haben Sie sich aus diesem Sumpf herausgezogen? Da muss es eine starke Überlebenskraft gegeben haben.
Ich war in Tel Aviv bei einem alten Arzt, als dort gerade ein hoher Spannungszustand herrschte. Ich wollte nur, dass er mir Valium verschrieb. Der Mann hat gesehen, dass es mir beschissen ging. Ich war der einzige, der im Wartezimmer saß, und unten im Erdgeschoss war eine Kneipe. Der hat mich zwei Stunden da schmoren lassen und mir kein einziges Valium verschrieben. Dann hat er einfach gesagt: „Du hast jetzt die Chance, nach Hause zu fahren und nüchtern zu werden. Wenn du die nicht ergreifst, wirst du noch in diesem Jahr sterben.“ Ich war wohl so weit unten, dass ich gesagt habe, ich mach das.
Ich bin zu Hause übergangslos in einen klinischen Entzug gegangen. Der dauerte acht Wochen. Es war unangenehm und angstbesetzt. Gleichzeitig verlor ich meine Familie, weil meine Frau nach 17 Jahren die Schnauze voll hatte. Du verlierst also alle Geländer, an denen du dich festhalten kannst. Hoffnung hast du auch keine. Du musst dein Leben neu strukturieren, wozu du aber wegen der Wirrnis im Hirn überhaupt nicht kommst.
Wie haben Sie es denn hinterher durchgehalten, auf Dauer trocken zu bleiben?
Ja, das ist sehr schwer. Ich habe mir ein Verbot ausgesprochen: Und du trinkst jetzt nicht! Und du hast jetzt keinen Rückfall! Und du beginnst zögerlich, dumm zu lächeln, weil das plötzlich funktioniert. Nach einer Woche bist du der King und nach zwei Wochen eine Serie von Königen. Du wirst plötzlich auf eine Weise stark, von der du nicht gewusst hast, dass es so was gibt. Du musst dich auf dich selbst verlassen, hast Angst vor jeder Nacht. Aber du gewöhnst dich daran, allein zu sein, nicht zu schlafen, was das Schlimmste überhaupt ist. Du musst am Tag mindestens drei Liter Cola saufen, furchtbar.
Wieso sind Sie dann in der Eifel zum Einsiedler geworden?
Sie kennen den Begriff der so genannten Co-Sucht der Familie? Du machst die Erfahrung, dass die Familie bei jeder Gelegenheit sagt: Oh Gott, jetzt säuft er wieder! Aus dem Ding kommst du nie wieder raus. Ich sitze zum Beispiel mit Quick-Chefredakteur Gerd Braun zusammen und trinke mit dem Cola. Da geht mein Agent Josef von Ferenzcy draußen vorbei, sagt „Morgen Jungs“ und geht weiter. Am Nachmittag ruft mich Josef von Ferenczy an und fragt: Warum trinkst du schon wieder Cola mit Cognac? Der hat doch totsicher seiner Runde Bewunderer im Bayerischen Hof gesagt: „Der säuft wieder!“
Sie haben sich also komplett abgenabelt, sind in die Eifel gezogen. Dazu gehört natürlich was...
Ja, aber das ist die einzige Möglichkeit zu überleben.
Wie kam es zum ersten Eifel-Krimi?
Ich saß in der Eifel und mir war stinklangweilig. Ich hatte sechs oder sieben Interviews angemeldet, aber die angefragten Interviewpartner waren alle weg. Ich konnte nichts machen und habe in tiefer Langeweile den Krimi „Eifel-Blues“ geschrieben. Ich hatte nicht daran gedacht, das Ding zu veröffentlichen.
Kann man sagen, Sie sind die Hauptperson Siggi Baumeister?
Ja sicher. Ich hab gedacht, ich mache ihn 20 Jahre jünger. Kein Mensch hätte damals sagen können, dass wir damit mal fünf Millionen Auflage machen würden. Das ist doch völlig beknackt. Wer will so etwas wissen?
Und dann haben Sie das ja wohl dem grafit-Verlag angeboten...
Nein! Neben mir wohnte der Kinderarzt Werner Floss aus Köln-Nippes. Der kam samstags zu mir und fragte: Hast du was zu lesen? Dann hab ich dem den entsprechenden Aktenordner gegeben.
Bei Werner Floss im Haus wohnte auch ein Redakteur des Pahl-Rugenstein-Verlags, was ich allerdings nicht wusste. Der Floss hält die Schnauze, sagt keinen Ton, und 14 Tage später ruft mich ein Mann namens Dr. Rutger Booß an und fragt mich: „Hätten Sie was dagegen, wenn wir dieses Buch machen?“ Und ich habe darauf in dieser typischen Arroganz geantwortet: „Wenn Sie das unbedingt wollen...“ Gedacht habe ich mir dabei nichts. 1989 gründete Booß den grafit-Verlag in Dortmund. Und ich war einer der Autoren, die er automatisch mitnahm.
Wann war zum ersten Mal klar, dass das ein Renner wird?
Erst beim dritten oder vierten Krimi. Das war am Anfang nicht der Bringer. Ich wusste allerdings, dass diese Art zu schreiben, diese etwas linksliberale Note, die ich wahrscheinlich noch vom Spiegel habe, ankommen konnte, weil die Leute diese Sprache mochten.
Und irgendwann stieg die Auflage...
Die explodierte. Das ist wirklich ein Märchen. So viel Schwein kann man gar nicht haben.
Sie sind prominent geworden. Angeblich der meist gelesene Krimiautor Deutschlands...
Das ist Werbung. Glauben Sie so einen Scheiß nicht.
Jetzt kommen die Medien auf Sie zu...
Manchmal ist das gut, manchmal ist das scheiße. Schlimmer wird es, wenn das Fernsehen diese berühmten 3 Minuten und 10 Sekunden Interviews macht. Dann frage ich mich, warum werde ich bloß 75. Kann das nicht 74 oder 76 sein? Dann komme ich zu dem Schluss, ich feiere gar nicht.