Abo

Interview

Bibliothekarin Franzis Steinhauer
„Wir erleben Kinder, die buchfrei groß werden“

6 min
Franzis Steinhauer ist Leiterin der Bücherei Bücherbrücke.

Franzis Steinhauer ist Leiterin der Bücherei Bücherbrücke.

Franzis Steinhauer leitet die Bücherei „Bücherbrücke“. Im Interview spricht sie über ihre Arbeit in Alfter und Meckenheim und das Ehrenamt.

Im August 2024 war der Brückenschlag vollendet: Die landesweit erste interkommunale Bücherei startete in Meckenheim, in Alfter schon einige Tage zuvor. Damit begann auch für Franzis Steinhauer, die bis dato die kirchliche Bücherei in Alfter geleitet hatte, eine neue Doppelfunktion unter neuer Trägerschaft. Wie sich das Tandem eingespielt hat, sagt die Diplom-Bibliothekarin hier.

Frau Steinhauer, wie läuft's?

(lacht herzlich) Gut! Richtig, richtig gut! Spannend, herausfordernd, unglaublich lebendig, und zwar an beiden Standorten.

Wie schaffen Sie das, beide Standorte zu betreuen?

Das frage ich mich auch oft! Ich gebe zu, es gibt Tage, an denen ich denke, boa, hast Du Dir da nicht zu viel zugemutet. Aber dann merke ich wieder, dass gerade die Ehrenamtlichen und beide Fördervereine so motivierend sind, weil sie so tolle Ideen haben und unser hauptamtliches Team sowieso. Das ist der Energiebringer, weshalb ich das durchhalte.

Sie sind doch schon so ein Energiebündel ...

Aber es stimmt! Heute Morgen kommt eine Kindergartengruppe herein, ich begrüße sie und dann blühe ich auf! Lese- und Sprachförderung ist für mich das Größte. Es ist eine Lebensphilosophie für mich, ich möchte auf der einen Seite Bibliotheken sichtbar machen, dass jeder in der Bevölkerung weiß, es ist ein unverzichtbares Angebot, das brauchen wir. Aber ich möchte auch, dass jeder weiß, hier bekomme ich geprüfte Information. Deshalb setzen wir an beiden Standorten mit frühkindlicher Lese- und Sprachförderung an. Wir erleben Kinder, die buchfrei groß werden und erst in der Kita mit Büchern in Berührung kommen. Das stachelt mich an.

Also den Grundstein legen für den Leser von morgen?

Ja, unbedingt. Wenn wir nicht mit Kindergartenkindern anfangen, dann hab ich sie auch nicht als Jugendliche. Wenn wir Kitas und Grundschulen hier halten, haben wir sie in vier Jahren auch als junge Leute. Natürlich sind sie dann auf Insta oder TikTok unterwegs. Aber wenn sie uns als positive Einrichtung erlebt haben, kommen sie zurück. Das merken wir an den Jugendlichen, die hier sind, die schon als Kita-Kinder in der Bibliothek waren.

Was möchten Jugendliche denn lesen?

Sie lesen anders. Romantasy (ein populäres Buch-Genre, das Romantik und Fantasy mischt, die Red.) zum Beispiel. Sie wollen lesen und wollen ein echtes Buch in der Hand haben, weil sie schon soviel am Handy daddeln. Sie wollen das haptische Gefühl, wollen umblättern. Das alles ist für mich Motivation, es lohnt sich. Wenn wir damit irgendwo in Meckenheim und Alfter die Zahl der faktischen Analphabeten reduzieren können, dann haben wir schon genug getan. Da müssen wir mit Schulen zusammenarbeiten.

Was würden Sie aus der Erfahrung von eineinhalb Jahren sagen, wo liegt der Unterschied zwischen den Standorten Alfter und Meckenheim?

Meckenheim ist bunter! Bunter in der Bevölkerung, Alfter ist gleichbleibender. Wir haben in Alfter eine große Gruppe von Eigenheimbesitzenden, Alfter ist zergliederter, Meckenheim ist konzentrierter. An beiden Standorten sind viele Familien da. Alfter hat einen Einbruch erlitten, weil erstmalig Jahresgebühren eingeführt worden sind, das kannten sie 30 Jahre nicht. Daran müssen sich die Erwachsenen erst gewöhnen. Nach Erfahrungen der Bibliotheken dauert es drei bis vier Jahre, bis sich das wieder geregelt hat. In Meckenheim ist es einfach nur ein anderer Betrag geworden. Da Kinder und Jugendliche kostenfrei lesen können, ist diese Gruppe stärker geworden.

Wie hat sich der Bestand verändert?

In Alfter ist er ähnlich fortgeführt worden, in Meckenheim haben wir die Kinderbibliothek ausgeweitet, es ist viel in den Kindersachbuchbestand investiert worden. Dasselbe auch bei den Jugendbüchern, da sind wir in Meckenheim richtig stark reingegangen, dasselbe planen wir auch für Alfter. Das ist ja das Schöne: Das Personal, das es an einem Standort schon gemacht hat, kann es am anderen Standort auch. Jeder von uns darf, muss wechseln, und das tun wir auch.

Gilt das auch für die Ehrenamtler?

Wenn sie wollen gerne, aber wir nötigen niemanden dazu. Oberstes Prinzip ist nur: Die Öffnungszeiten müssen besetzt sein. Das kann bedeuten, dass ich morgens in Alfter bin, mittags nach Meckenheim fahre und abends wieder nach Alfter. Das ist bei unserer engen Personaldecke manchmal nötig. Viele Ehrenamtliche unterstützen uns, übernehmen auch mal die Ausleihe.

Sie mussten aber noch nicht sagen, die Bücherei ist zu, oder?

Nein. Das hatten wir noch nicht einmal bei Fortbildungen oder Betriebsausflügen der Stadt.

Stichwort Stadt. Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Meckenheimer Verwaltung? Bekommen Sie Unterstützung?

Ich bin gerne städtische Angestellte von Meckenheim! So entspannt ist das! Meine Chefin Silvia Klemmer, Leiterin des Fachbereichs 40   Bildung, Kultur und Sport, ist großartig, sie hat ein Ohr für mich. Dasselbe gilt für den Ersten Beigeordneten Hans Dieter Wirtz. Sogar der neue Bürgermeister war schon mit seinem Sohn hier und hat sich alles zeigen lassen.   Vorher hab ich das anders erlebt. Die Unterstützung ist insgesamt großartig. Hier musste erstmal die Infrastruktur wieder aufgebaut werden, Telefon war abgemeldet, Internet lief nicht, das war in Alfter alles vorhanden und ging natürlich schneller.   Wir müssen Bedingungen der Bezirksregierung erfüllen, die das Projekt auch fördert. Wir müssen zum Beispiel an beiden Standorten 20 Stunden Öffnungszeiten haben, im Moment haben wir 17,5 mit jeweils zwei Teilzeitkräften. Noch scheint mir das utopisch. Da müssen wir noch basteln.

Was wünschen Sie sich noch für die Bücherei?

Damit die Bücherei auch zukunftsfähig ist, wie es die Bezirksregierung möchte, haben wir die sogenannte RFID eingeführt, ich nenne es Selbstverbucherterminal, ähnlich den SB-Kassenautomaten. Sie nehmen stapelweise Bücher, legen sie auf das Gerät und zack werden sie zurückgebucht. Dann nehmen Sie sich wieder zehn Bücher, Karte drunter halten und zack sind sie gebucht. Das geht ratzfatz und es erleichtert unsere Arbeit und wir haben mehr Zeit, zu beraten. Diese Anlage haben wir in Alfter eingeführt und Meckenheim kommt im nächsten Jahr dran. Das ist unser großes Projekt, das noch viel Zeit kostet, weil wir jedes Buch in die Hand nehmen und mit einem Funkchip versehen müssen. Wir haben hier 24.000 Medien, die packen wir alle mindestens einmal an. Ehrenamtliche aus Alfter haben sich schon bereit erklärt, mitzuhelfen. Wir werden dafür ein bisschen zurücktreten, wenn es um Veranstaltungen für Erwachsene geht, um Sonderveranstaltungen. Bibfit, unser Bibliotheksführerschein für Kinder, ist unser Kerngeschäft und läuft an beiden Standorten weiter. Es kann sein, dass wir mal schließen müssen, weil wir hier einscannen oder einkleben. Aber wir schaffen das! Nächstes Jahr im Dezember werden wir die RFID hier haben.

Die Ehrenamtler sind unverzichtbar ...

Ich arbeite mit 70 Menschen an beiden Standorten, die wir koordinieren und einplanen. Mir ist es wichtig, die Talente der Ehrenamtler herauszukitzeln und einzusetzen. Wir haben 70 verschiedene Biografien und 70 Ressourcen. Die Menschen haben tolle Ideen, auch die Fördervereine haben tolle Ideen. Es ist eine Bereicherung und sie retten mich vor einer Betriebsblindheit. Dennoch bremse ich manchmal, dies hier ist kein 50-Meter-Lauf, sondern ein Marathon.

Ist das Angebot an Veranstaltungen und an Lesestoff eigentlich an beiden Standorten gleich?

Wir haben festgestellt, manche Angebote werden in Meckenheim gerne angenommen, in Alfter nicht, und umgekehrt. Dann müssen wir einen anderen Weg gehen. Es ist ganz wichtig, da auch flexibel zu reagieren. Ich kann vielleicht bei 60 Prozent der Bücher sagen, die kaufe ich für beide Standorte. Hier werden andere Romane gelesen als in Alfter, hier werden andere Sachbücher abgefragt. Wir haben in Meckenheim viele verschiedene Kulturen, in Alfter haben wir die Alanus Hochschule und damit einen Schwerpunkt der Steiner-Philosophie. Das macht es für mich gerade so spannend.

Ihr erklärtes Ziel?

Zu vermitteln, wir haben das große Glück, eine Bücherei zu haben! Wachtberg hat sie nicht, Much auch nicht. Deutlich zu machen, Meckenheim und Alfter sind klamm ohne Ende, leisten es sich aber trotzdem! Jeder kann uns kostenfrei nutzen, indem er hereinkommt und liest. Wo gibt es sonst eine konsum- und kostenfreie Einrichtung? Darauf sollte man stolz sein.