Clankriminalität in NRWBanden größer als bislang bekannt

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Polizisten beschlagnahmen während einer Razzia in Essen am vergangenen Samstag einen Spielautomaten. 

  • Die Zahl der von Mitgliedern von Familienclans begangenen Straftaten hat in NRW deutlich zugenommen.
  • Vier Fünftel der Straftäter sind junge Männer.
  • Schwerpunkt dieser Form der Kriminalität ist weiterhin das Ruhrgebiet. Aber auch im Rheinland sind die kriminellen Clans aktiv.

Düsseldorf – „Als ob ich Angst vor Ihnen hätte. Ich steche hier alle ab. Ich haue Sie kaputt“, soll Ömer (Name geändert) als Elfjähriger zu Beginn seiner kriminellen Karriere zu seinen Lehrern in der Schule gesagt haben. Der heute 19-Jährige hat nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) seitdem 72 Straftaten begangen – und das sind nur die polizeibekannten.

Die Liste seiner Verfehlungen reicht von Ladendiebstahl, Raub und gefährlicher Körperverletzung bis zu Erpressung, Unterschlagung und Sozialbetrug. In diesem Jahr ist er zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Ömer ist Mitglied eines kriminellen arabischen Familienclans in NRW, dessen Mitglieder im vergangenen Jahr laut dem LKA-Lagebild zu Clankriminalität landesweit 6104 Straftaten begangen haben – und damit 584 mehr als im Jahr davor; ein Anstieg um 12,7 Prozent.

Hinzu kommen 925 sogenannte Verkehrsstraftaten wie Fahren unter Drogen- und Alkoholeinfluss und illegale Autorennen, die von Clan-Mitgliedern begangen worden sind; diese Zahlen sind erstmalig ins Lagebild eingeflossen. Die Liste der begangenen Straftaten wird angeführt von Rohheitsdelikten (31, acht Prozent) wie gefährlicher Körperverletzung. Es folgen Betrug (15,4 Prozent) und Diebstahl (14 Prozent).

Ein Drittel mehr Tatverdächtige

Nach Darstellung des 35 Seiten umfassenden Berichts hat die Polizei 3779 Tatverdächtige ermitteln können – und damit 33,4 Prozent mehr (inklusive Verkehrsdelikte) als in der vorherigen Erhebung. Etwa 80 Prozent der Tatverdächtigen sind männlich und meist zwischen 26 und 30 Jahre alt.

Mehr als die Hälfte (51,1 Prozent) der Tatverdächtigen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit; es folgen Libanesen (16,9 Prozent), Türken (12,4 Prozent) und Syrer (12,2 Prozent).

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Während einer Razzia am vergangenen Samstag sicher Polizisten das Gelände vor einem Wettbüro in Essen. 

Schwerpunkt der Clankriminaliät sind nach wie vor das Ruhrgebiet (Essen, Duisburg, Gelsenkirchen, Bochum, Recklinghausen und Oberhausen), mit Abstrichen das Rheinland (Düsseldorf und Köln) sowie Teile des Kreises Mettmann sowie neuerdings auch Wuppertal. Es geht um Macht und Einfluss.

„Die Familienehre gilt es um jeden Preis zu verteidigen. Es gilt das Gesetz des Stärkeren. Der Stärkere setzt sich durch“, erklärt LKA-Chefermittler Thomas Jungbluth. „Wer die Familie nicht verteidigen kann, bei dem schwindet das Ansehen innerhalb des Clans“, sagt er.

Die Tatverdächtigen verteilen sich auf 111 Clans – sieben mehr als im Jahr davor. Die Sicherheitsbehörden leiteten gegen sie 15 Ermittlungsverfahren wegen Organisierter Kriminalität (OK) ein; ein Fünftel aller OK-Verfahren in NRW. „Die Clans spielen in der gleichen Liga wie die italienische Mafia“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).

Ruf nach Gesetzesänderungen

Erich Rettinghaus, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in NRW, wünscht sich im Kampf gegen die kriminellen Strukturen mehr rechtliche Möglichkeiten. Vorrangig muss das Vermögen nachhaltig abgeschöpft werden, beschlagnahmte Vermögenswerte unterliegen dem Verfall und dürfen nicht wieder ausgehändigt werden“, sagte Rettinghaus. Außerdem sprach er sich für eine konsequentere Rückführung von Straftätern ohne deutsche Staatsbürgerschaft aus.

Auch Michael Mertens, NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, fordert mehr gesetzliche Möglichkeiten für die Polizei. „Dringend erforderlich ist vor allem eine Beweislastumkehr. Wer ein dickes Auto fährt oder Immobilien kauft, obwohl er von Hartz IV lebt, muss beweisen, dass er das Geld für den Kauf ehrlich erworben hat, und nicht umgekehrt“, so Mertens.

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Die SPD nannte das Lagebild enttäuschend. „Bisher ist kein einziger Boss verhaftet worden. Es geht jetzt darum, die richtigen Schlüsse aus der Lage zu ziehen“, sagte Sven Wolf, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag. „Das bedeutet: Innenminister Reul darf sich nicht nur auf die Laufburschen konzentrieren. Er muss endlich auch bei den Bossen an der Tür klingeln und ihnen den Geldhahn zudrehen.“

Innenminister Reul behandelt das Thema als Chefsache

Herbert Reul hat den Kampf gegen die Clans zur Chefsache erklärt; seit etwa zwei Jahren gehen die Sicherheitsbehörden in NRW entschieden gegen die Strukturen vor; regelmäßig finden Razzien und Durchsuchungen statt wie zuletzt am vergangenen Wochenende.

Die Sicherheitsbehörden versuchen, insbesondere Frauen und Jugendliche aus den Familien-Strukturen herauszuholen, damit sie nicht solche kriminellen Karrieren wie Ömer einschlagen. „Bisher haben wir 21 Personen für unsere Aussteigerprogramme gewinnen können“, so Innenminister Reul.

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