Gewalt in EuskirchenSchutzhaus für Frauen klagt über Zunahme an Bürokratie

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Die Mitarbeiterinnen Kristina Friedrichs (l.) und Silvia Alt sowie Vorstandsfrau Ulla Kreutz (r.).

Die Mitarbeiterinnen Kristina Friedrichs (l.) und Silvia Alt sowie Vorstandsfrau Ulla Kreutz (r.).

Euskirchen-Euenheim – Ein Nordrhein-Westfalen-Pakt gegen Gewalt – grundsätzlich begrüßt das Team des Euskirchener Schutzhauses für Frauen und Kinder den Entwurf des Landes dazu sehr (siehe „Pakt gegen Gewalt“). Aus diesem wird deutlich, wie nötig eine verbesserte Infrastruktur für Menschen ist, die Opfer häuslicher und partnerschaftlicher Gewalt werden. Immerhin fanden Schutz- und Frauenhäuser in den letzten Jahren wenig Berücksichtigung seitens des Landes und des Bundes – vor allem, was die personelle Ausstattung angeht.

So klingt das nun vorgelegte Konzeptpapier des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung zwar ermutigend, es hat jedoch einen Schönheitsfehler: An keiner Stelle taucht die Aufstockung von Stellen auf. „Mit unserem jetzigen Stellenschlüssel arbeiten wir konsequent am Limit“, sagt Silvia Alt, Mitarbeiterin des Schutzhauses in Euenheim.

Keine Änderung des Stellenschlüssels

Fakt ist: Im Frauenhaus Euskirchen, das sich im vergangenen Jahr in Schutzhaus für Frauen und Kinder umbenannt hat, hat sich der Stellenschlüssel seit nunmehr 25 Jahren nicht geändert. Das Team arbeitet zurzeit mit vier vollen Stellen, aufgeteilt auf sieben Mitarbeiterinnen. Die Arbeit hingegen hat sich im Laufe der Jahre drastisch verändert und vervielfacht. Das liegt zum einen an den weitaus komplexeren Problemlagen der Zuflucht suchenden Frauen, aber auch an dem enormen Zuwachs bürokratischer Vorgänge.

Silvia Alt, die seit den Anfängen des Frauenhauses dabei ist: „Früher mussten wir etwa 30 Prozent unserer Zeit in bürokratische Arbeiten stecken und hatten 70 Prozent für die sozialpädagogische Arbeit mit den Frauen. Heute ist es umgekehrt.“ Dieser Batzen an Bürokratie, der sich hinter jedem einzelnen Fall verberge, gehe „zu Lasten der Entlastung der betroffenen Frauen“, meint auch Kollegin Kristina Friedrichs.

Euskirchener Schutzhaus musste ablehnen

„Unsere Befürchtung ist, dass die Landesregierung zwar die Plätze in den Schutzhäusern aufstockt, die Personalkosten aber gleichzeitig nicht anpasst“, so Alt. In der Vergangenheit sei dies schon geschehen – die Anzahl der Plätze hätte seitens des Landes erhöht werden können, gleichzeitig aber wäre der Zuschuss für die dann nötige personelle Aufstockung so niedrig ausgefallen, dass das Euskirchener Schutzhaus ablehnen musste. Dabei wären weitere Plätze dringend nötig: Seit Jahren ist die Einrichtung, die Platz für maximal acht Frauen und bis zu 16 Kinder hat, fast durchgehend belegt. Verzweifelte Anrufe von Frauen, die sich und ihre Kinder vor häuslicher Gewalt in Sicherheit bringen wollen, jedoch nirgends im Land unterkommen können, gehören zum Alltag der Mitarbeiterinnen.

Seit Jahren weisen sämtliche Frauenhäuser in NRW auf die stark veränderten Arbeitsbedingungen und den immens gestiegenen bürokratischen Arbeitsaufwand hin, der zulasten der originären Arbeit in den Einrichtungen geht: Schutz der Frauen und Kinder, aber auch die Entwicklung einer Perspektive auf ein eigenständiges Leben ohne Gewaltstrukturen. Die oftmals traumatisierten Frauen und Kindern benötigen viel Unterstützung, doch eine auf Vertrauen basierende Beziehungsarbeit benötigt Zeit, die wiederum im Alltag des Schutzhauses sehr knapp bemessen ist.

Flut an Anträgen und Formularen

Wie 70 Prozent bürokratische Arbeit zustande kommen, erklärt sich durch die Flut an Anträgen und Kontakten zu Behörden, die auf jede einzelne Bewohnerin zukommt: Beantragung von Sozialleistungen, Kindergeld und Unterhaltsvorschuss, Anträge bei Gericht, Kontakte mit Jugendamt, Verfahrensbeistand oder Anwälten. Bei der hohen Anzahl migrantischer Frauen kommen ausländerrechtliche Unterstützungsbedarfe hinzu. Diese Frauen, die oftmals wenig oder keine Deutschkenntnisse haben, benötigen sehr viel mehr Begleitung seitens des Teams zum Verständnis deutscher Systeme. „Hinzu kommt, dass für fast alle Bewohnerinnen fehlende Dokumente besorgt werden müssen, die Frauen nehmen so etwas in der Regel nicht mit, wenn sie fliehen“, erklärt Silvia Alt.

Viel mehr in den Vordergrund stellen würde das Team des Schutzhauses gerne die Stabilisierung der Frauen mittels durchgehender psychosozialer Entlastungsgespräche zur Bewältigung der Krise, die Aufarbeitung der erlebten Gewalt, das ressourcenorientierte Arbeiten an den Stärken und Fähigkeiten der Frauen sowie verschiedene Gruppenangebote. Bei Migrantinnen spielt auch die kultursensible Beratung hinsichtlich von Rollenbildern, Werten und Normen eine bedeutende Rolle.

Selbstbestimmtes Leben ermöglichen

Kristina Friedrichs betont, dass man unbedingt nachhaltig arbeiten wolle, „die Frauen sollen bemächtigt werden, selbstbestimmt zu leben“ – etwas, von dem sie in ihren Beziehungen oftmals bewusst ferngehalten wurden. Dazu gehöre auch zwingend eine gute Nachbetreuung, wenn die Frauen das Schutzhaus eines Tages verlassen und in ihre eigenen vier Wände ziehen.

„Eigentlich könnten wir viel effektiver sein mit unserer Arbeit“, da ist sich Silvia Alt sicher. Wenn es denn mehr Personal und damit mehr Zeit gebe. Seit Jahren stellt die Einrichtung in Euenheim regelmäßig beim Land Anträge auf zusätzliche Stellen, die unbedingt notwendig wären, „um den Umfang, die Professionalität und damit die Nachhaltigkeit unserer Arbeit gewährleisten zu können“.

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Bisher blieben die Anträge sämtlich ohne Erfolg. „Glücklicherweise steht der Kreis Euskirchen unserer Arbeit wohlwollend und unterstützend gegenüber“, so Alt. „Ansonsten wären wir schlechter dran.“

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