Zweites Urteil im FallEuskirchenerin hilft verletztem Schwiegervater nicht – Haft auf Bewährung

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Das Amtsgericht Euskirchen.

Eine 59-Jährige ist vom Amstsgericht Euskirchen zu einer Haftstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt worden.

Wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen ist eine 59-Jährige nun verurteilt worden. Sie hatte ihrem gestürzten Schwiegervater medizinische Hilfe verweigert.

Manfred G. (Namen geändert) war hilflos und litt offenkundig unter starken Schmerzen, als Mitarbeiter der Kreisverwaltung ihn am 21. Januar 2021 in seinem Bett auffanden. Der damals 85-Jährige lag in einem verwahrlosten Zimmer – mit Schimmelpilz an Decke und Wänden, Uringeruch und Tierfäkalien auf dem Boden. Wie sich herausstellte, hatte der alte Mann fünf Tage vorher bei einem Sturz einen Splitterbruch des rechten Oberarms erlitten.

Sohn und Schwiegertochter, in deren Haushalt und unter deren Obhut er in einem Euskirchener Ortsteil lebte, sorgten aber nicht dafür, dass er in ärztliche Behandlung kam. Der Sohn wurde im Dezember 2022 vom Euskirchener Schöffengericht wegen der Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Am Donnerstag saß seine Frau Marlene G. (59) auf der Anklagebank. Gegen sie verhängte das Gericht unter dem Vorsitz von Dr. Wolfgang Schmitz-Jansen eine Freiheitsstrafe in gleicher Höhe, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Angeklagte: „Ich weiß, ich hätte den Krankenwagen rufen müssen“

Warum und wo der mehrfach vorerkrankte, unter anderem demente Senior gestürzt war, wurde nie geklärt. Da er im Januar 2021 plötzlich nicht mehr im Dorf zu sehen war, wo er sonst seine Runden drehte, machten die Nachbarn sich Sorgen. So kam es, dass der Sozialpsychiatrische Dienst des Kreises Euskirchen eine Mitarbeiterin und einen Mitarbeiter zu Familie G. schickte. Marlene G. ließ sie erst ins Haus, als sie drohten, die Polizei hinzuzurufen.

Beim Anblick des Verletzten wurde ihnen gleich klar, dass sie den Rettungsdienst alarmieren mussten. Am Arm des Mannes waren Hämatome zu erkennen, Knochenfragmente drückten laut Anklageschrift gegen die Haut und drohten die Arterie zu beschädigen. Die Angeklagte sagte: „Ich weiß, ich hätte den Krankenwagen rufen müssen.“ Sie habe ihrem Schwiegervater gesagt: „Du musst zum Arzt, sonst wird das schlimmer!“ Er aber habe abgelehnt. Einmal „hatte ich ihn schon halb angezogen“, daraufhin er: „Lass mich in Ruhe!“

Angeklagte fühlte sich von Ehemann alleingelassen

So blieb es dabei, dass sie ihn mit Mahlzeiten versorgte, ihm mit ihrer Tochter beim Toilettengang half, ihm die Schulter einrieb und ihm einen Verband anlegte – allerdings an der Hand anstatt am verletzten Oberarm. Sie habe sich in dieser Situation alleingelassen gefühlt, sagte die Angeklagte, die damit Vorwürfe gegen ihren Ehemann erhob.

Eher beiläufig sagte sie, dass ihr Mann sie öfter verprügelt, ihr unter anderem mehrere Zähne ausgeschlagen habe. Dies sei auch der Grund gewesen, weshalb sie ihn im Oktober 2021 verlassen habe. Wegen der Folgen dieser Gewaltausbrüche sei sie nun in neurologischer Behandlung, sagte sie.

Verteidigerin Susanne Haiminger führte Denk- und Sprachverzögerungen ihrer Mandantin auf die Schläge des Ehemanns zurück. Mit ihren Schilderungen zeichnete Marlene G. ein Bild von einer Familie, die unter bedauernswerten Umständen lebte und mit der Pflege des kranken Seniors überfordert war. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft wertete die Einlassungen der Angeklagten als Geständnis.

Er sah aber keinen Grund, von einem minderschweren Fall auszugehen, und keinen Anlass, ihre Schuld anders zu beurteilen als die ihres Mannes. So forderte er neun Monate auf Bewährung, während Haiminger eine milde Strafe beantragte. Das Gericht schloss sich der Staatsanwaltschaft an. Die Angeklagte hätte „die Zeitspanne, in der ihr Schwiegervater schlimme Schmerzen hatte, deutlich verringern können“, resümierte Schmitz-Jansen. Manfred G. wurde in mehreren Krankenhäusern behandelt und zweimal operiert. Heute lebt er in einem Pflegeheim.

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