In seiner Gedenkrede zum 9. November rückte Journalist F.A. Heinen das geschichtsträchtige Haus in Kalenberg in den Mittelpunkt.
Gedenkfeier in SchleidenErinnerungen an das „Judenlager“ im ehemaligen Haus Risa

Am Mahnmal in Schleiden versammelten sich die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung, bei der F.A. Heinen (r.) an die ermordeten und vertriebenen jüdischen Mitbürger erinnerte.
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Immer weiter rückt das Ereignis, an das alljährlich am 9. und 10. November erinnert wird, in die Vergangenheit, doch das Gedenken bleibt. Und nicht nur das: Immer tiefer dringen die Recherchen, sodass neue Puzzlestücke dem Wissen über das Schicksal der einstigen Nachbarn und Mitbürger, der in der Nazi-Diktatur von den Machthabern vertriebenen, verschleppten und ermordeten Juden, hinzugefügt werden können.
Aber es gehen auch Dinge verloren, wie der Journalist F.A. Heinen in seiner Gedenkrede am Montagabend deutlich machte. Vor den rund 60 Teilnehmern, die sich zu der Veranstaltung am Mahnmal vor dem Alten Rathaus eingefunden hatten, informierte er über die Arbeit des früheren Arbeitskreises „erinnern – bedenken – handeln“, der mittlerweile in einen gemeinnützigen Verein übergegangen ist.
Juden aus dem Schleidener Land mussten in das Haus in Kalenberg
So wurde das Haus Risa in Kalenberg in diesem Sommer abgerissen, das ein durchaus geschichtsträchtiger Ort war. Denn aus dem Gebäude, das ursprünglich der Bergbauverwaltung diente, wurde 1941 das sogenannte „Judenlager“. „Die letzten noch im Schleidener Land lebenden Juden wurden damals gezwungen, ihre eigenen Häuser in den Orten zu verlassen und unter außerordentlich beengten Verhältnissen zu leben“, so Heinen. Das sei eine vorbereitende Maßnahme auf die letzten Deportationen gewesen, habe den Bürgermeistern aber auch ermöglicht, ihre Orte als „judenfrei“ zu deklarieren. Darüber hinaus, wie in Mechernich das Schicksal der Familie Herz aus der Heerstraße verdeutlicht, konnten die Immobilien von den Kommunen übernommen und verwertet werden.

Aus dem abgerissenen Haus Risa konnten die Fliesen gerettet werden, über die einst die Juden aus dem Kreis Schleiden vor ihrer Deportation gingen.
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Vor dem Geschäft von Martin Haas marschierte die Hitlerjugend auf. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme stammt aus dem Jahr 1937.
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Davon betroffen seien auch die Geschwister Julie und Martin Haas gewesen, die in der Steinstraße eine kleine Metzgerei betrieben hätten, führte Heinen aus. Sie seien am 30. April 1941 zum Umzug ins Haus Risa gezwungen worden. Laut Gedenkbuch des Bundesarchivs sei Julie am 21. März 1942 von dort aus an einen unbekannten Ort deportiert worden. Sie wurde später für tot erklärt. „Martin Haas wurde Monate später ins Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo sich seine Spur verlor“, erklärte Heinen. Er sei nach 1945 ebenfalls für tot erklärt worden.
Das Haus Risa sei später ausgebaut und in ein Pflegeheim umgewandelt worden, was nunmehr abgerissen werden sollte. Eine Ortsbesichtigung kurz vorher habe ergeben, dass im Flur des Erdgeschosses noch der gleiche Fußboden gewesen sei wie zu der Zeit der Bergbauverwaltung, sagte er. Heinen: „Damit war klar, dass die letzten Juden des Kreises Schleiden über genau diesen Fußboden gehen mussten, als sie in die Vernichtungslager deportiert wurden.“
Viele der Fliesen konnten vor dem Abbruch des Hauses gerettet werden
Durch eine Kooperation zwischen dem LVR-Freilichtmuseum Kommern, der Gruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“ aus Mechernich, dem Jugend-Rot-Kreuz Mechernich, Denkmalschutz und den Eigentümern sei eine Notbergung eines Großteils der Fliesen gelungen. Diese seien inzwischen im LVR-Museum zwischengelagert und sollen für Ausstellungszwecke zur Judenverfolgung genutzt werden. Zwei Fliesen habe der Verein mit nach Schleiden nehmen dürfen, so Heinen.
Anschließend wechselte die Gruppe in die Stadtbibliothek, wo eine interessante Ausstellung der Stolperstein-AG des Johannes-Sturmius-Gymnasiums eröffnet wurde. Denn die Schüler widmeten sich jeweils einem Schicksal eines während der Nazi-Diktatur verfolgten oder vertriebenen Juden. Dabei handelte es sich zum einen um ehemalige Schüler des Gymnasiums oder seiner Vorläuferschule wie die drei Brüder Erich, Richard und Oskar Kaufmann, zum anderen aber auch um Menschen, deren Schicksal die Jugendlichen gepackt hatte.
Großmutter einer Schülerin wohnte neben der Jüdin Julia Katz
Hier forschten sie nach Max Moses Wolff aus Gemünd, dessen Stolperstein während der Flut durch Bauarbeiten beschädigt worden war, oder auch der Familie Löwenstein aus Hellenthal, über die noch wenig bekannt ist. Auch familiäre Beziehungen spielten eine Rolle, wie bei der Aufarbeitung des Schicksals von Julia Katz, die eine Nachbarin der Großmutter einer der Jugendlichen gewesen sei, berichtete Heike Schumacher, Geschichtslehrerin am Gymnasium, die die Ausstellung eröffnete.
Dabei hätten auch neue Erkenntnisse gewonnen werden können: Bei der Recherche zu Hanna Kaufmann aus Oberhausen sei aufgefallen, dass eine Reihe von jüdischen Mitbürgern, die im Gedenkbuch des Bundesarchivs dem Schleidener Stadtteil zugeordnet gewesen seien, eigentlich aus der Stadt im Ruhrgebiet stammten.
Auf sechs Tafeln, die in Kooperation mit Vogelsang IP entstanden sind, wird die Lebensgeschichte der ermordeten oder vertriebenen Juden dargestellt. Die Tafeln sind für drei Wochen während der Öffnungszeiten der Bücherei zu besichtigen – montags von 15 bis 18 Uhr, dienstags von 10 bis 14 Uhr, donnerstags von 13 bis 19 Uhr und freitags von 15 bis 18 Uhr.

