Nach MesserattackeJunger Syrer aus Euskirchen in Psychatrie untergebracht

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Der Euskirchener musste sich vor dem Bonner Landgericht verantworten.

Bonn/Euskirchen. – Zunächst erschien der Messerangriff eines 20-Jährigen gegen seinen älteren Bruder in Euskirchen wie ein Familien-Streit unter Geschwistern, der blutig eskalierte: Beim Zwiebelschneiden für das Abendessen war der Jüngere am 2. September 2021 plötzlich auf den 29-Jährigen losgegangen und hatte wahllos zugestochen - bis der Angegriffene die Flucht ergriff und sich zu einer Nachbarin retten konnte.

Er habe Angst vor seinem Bruder gehabt, der ihm Vorwürfe wegen seines Kiffens gemacht habe, hatte der 20-Jährige zu Beginn des Unterbringungsprozesses vor der Jugendkammer berichtet. Aber je länger der junge Syrer sprach, desto mehr wurde allen Prozessbeteiligten klar: Er lebt in einer Wahnwelt, hört Stimmen, fühlt sich bedroht und verfolgt. Auch von seinem Bruder, der ihn vier Monate zuvor in seiner kleinen Wohnung in Euskirchen aufgenommen und sich um ihn gekümmert hatte.

Angeklagte sei „tickende Zeitbombe“

Das Landgericht hat nun die Unterbringung des jungen Mannes in einer psychiatrischen Klinik angeordnet. Da er an einer paranoiden Schizophrenie sowie Traumatisierungen nach Flucht und Verfolgung leide, sei er für die Tat wegen Schuldunfähigkeit nicht zu verurteilen.

Der Angeklagte sei eine „tickende Zeitbombe“, so Kammervorsitzender Wolfgang Schmitz-Justen, mithin für die Allgemeinheit gefährlich. Trotz starker Psychose-Medikamente und hoch dosierten Beruhigungsmitteln sei sein Wahnerleben nicht zu beruhigen: Er höre Stimmen, die ihm erzählten, dass sein Bruder ihn heimlich im Meer ertränken wolle. Dass ihm die syrische Polizei fünf Kugeln in den Kopf geschossen habe. Dass er König von Syrien sei.

Syrer hat Traumatisches erlebt

Seine Wahnwelt sei gar nicht so weit weg von der grausamen Realität, die seine Familie durch die politische Verfolgung getroffen habe, so das Gericht. Mit zwölf Jahren musste er erleben, dass sein Vater von Scharfschützen getötet werden sollte. Dieser überlebte schwer verletzt, starb aber nach anderthalb Jahren an den Folgen. Mit 14 Jahren flüchtete der Junge mit seiner älteren Schwester: 6000 Dollar zahlten sie an Fluchthelfer, auf dem Mittelmeer kenterte das Boot, sie strandeten auf einer griechischen Insel, wo sie unversorgt fast verhungerten.

Als der Junge schließlich via Balkan-Route in Hamburg landete, war seine Seele zerstört. Er beging Straftaten, kiffte und – „ein Markenzeichen“, so Schmitz-Justen – er biss andere Menschen, bis er über viele unglückliche Umwege von seinem älteren Bruder aufgenommen wurde.

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Der wiederum hält trotz des Messerangriffs zu ihm. „Ich liebe meinen Bruder“, sagte er, er werde immer für ihn da sein. Das sei eine „furchtbar traurige Geschichte“, kommentierte Schmitz-Justen die Biografie im Urteil. Aber für alle Prozessbeteiligten war klar, dass es keine andere Möglichkeit gibt, als den jungen Syrer unterzubringen. Auch zu seinem eigenen Schutz.

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