Geflüchteter Sänger Aeham Ahmad„Musik hilft gegen das Trauma, heimatlos zu sein“

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Bei seinem vierten Auftritt in Wiehl tritt der palästinensisch-syrische Pianist Ahaem Ahmad mit einem Jazztrio auf. Der Schlagzeuger stammt aus Israel, der Gitarrist aus Weimar.

Bei seinem vierten Auftritt in Wiehl tritt der palästinensisch-syrische Pianist Ahaem Ahmad mit einem Jazztrio auf. Der Schlagzeuger stammt aus Israel, der Gitarrist aus Weimar.

  • Aeham Ahmad ist ein palästinensisch-syrischer Pianist, der vor fünf Jahren durch seine Auftritte im Flüchtlingslager Yarmouk als „Pianist in den Trümmern“ bekannt wurde.
  • Vor seinem Konzert am Sonntag, 1. September, ab 19 Uhr in der evangelischen Kirche Wiehl sprach Katja Pohl mit dem Musiker.
  • Ein Gespräch über Deutschland, Traumata und die Kraft der Musik.

Ist Deutschland im Laufe der Zeit zu einer neuen Heimat geworden?

Heimat ist für mich nicht nur Deutschland. Es sind die Menschen. Heimat ist schwer zu beschreiben. Nachdem ich in Yarmouk in Syrien alles verloren habe, brauche ich noch Zeit, um Warburg als Heimat zu empfinden. Ich versuche, meinen Weg über die Musik zu finden und vermute, dass ich wirklich hier ankomme, sobald ich einen deutschen Pass habe und als Bürger zu diesem Land gehöre.

Hat sich, Ihrer Meinung nach, die Haltung der Deutschen im Laufe der vergangenen Monate gegenüber Flüchtlingen verändert?

Ich habe hier in meinem kleinen Ort nahe Warburg viele Besucher. Ich bekomme so viel Hilfe, habe jetzt einen Deutschlehrer für meinen Vater gefunden. Viele Deutsche, der größte Prozentsatz im Grunde, sind hilfsbereit. Und ich erlebe bei meinen Konzerten in ganz Deutschland Begegnungen mit so vielen wunderbaren Menschen. Sicherlich verbreiten die Nachrichten oft, dass das Verhältnis zu Flüchtlingen von Vorurteilen belastet ist. In der Realität sieht das meiner Meinung nach anders aus.

Sie wollten in Syrien Musiklehrer werden. Gibt es diesen Wunsch noch und wie realisieren Sie ihn?

Musik zu unterrichten, versuche ich auch in Wiehl bei der Familie von Ramadan Zin – denn Musik hilft gegen das Trauma, geflüchtet und heimatlos zu sein. Ich habe auch in Warburg ein paar Schüler, aber noch bin ich fast pausenlos unterwegs. Sobald ich weniger Konzerte gebe – es sind derzeit rund 28 Konzerte im Monat – werde ich mit Sicherheit mehr unterrichten, denn ich liebe diese Arbeit.

Kommt man als Musiker bei einem solchen Terminplan noch zur Ruhe?

Ich sage ungern nein, denn jedes Konzert, meist sind es Benefizkonzerte, ist wichtig – in Synagogen, Kirchen, mit dem Bundeswehr-Orchester. Das ist natürlich anstrengend. Zu Hause ist dann meine Familie, die auch etwas von mir haben möchte. Ich bin müde, klar, aber ich liebe auch all diese unterschiedlichen Menschen aus den vielen Nationalitäten so sehr, dass ich mindestens noch ein Jahr lang die Kraft für dieses Pensum aufbringen möchte.

Wie schöpfen Sie Kraft für Ihre Konzerte?

Die Familie gibt mir Kraft. Mein Freund Achim Schulz aus Wiehl gibt mir Energie, er ist fürsorglich und hilft, wo er kann. Das gibt mir Stärke, trotz all der schlimmen Erinnerungen, die bei jedem Konzert wieder präsent sind. Aber es hilft mir, dass die Menschen in den Konzerten sich für mich und mein Land interessieren, Fragen stellen und die Musik hören wollen.

Lässt sich das Trauma der Flucht mit Musik überwinden?

Die Flucht war sicherlich nicht leicht. Aber diese Zeit war wesentlich weniger schlimm als die Jahre in Yarmouk, in denen wir hungerten, wo uns Bomben bedrohten, mein Freund Niraz Saied, ein Fotograf, getötet wurde und ich meinen Bruder verlor. Manchmal hilft die Musik bei der Verarbeitung, manchmal bringt sie aber die traumatischen Erlebnisse auch wieder an die Oberfläche, die Emotionen kommen so wieder zurück.

Sie treten zum vierten Mal in Wiehl auf. Was verbindet Sie mit der Stadt? Haben Sie hier Freunde gefunden?

Achim Schulz von der Flüchtlingshilfe ist eine Verbindung zu Wiehl. Er hilft mir oft, wenn es mir nicht gut geht. In Wiehl gibt es so nette Menschen und dort lebt auch Mohammad Belal, der Gedichte schreibt. Eins davon habe ich vertont. Die Wiehler sind Menschen, die für die Menschenrechte aufstehen. Es muss nicht Köln sein, um gehört zu werden. Das funktioniert auch in kleinen Orten. Und ich komme gerne immer wieder. Damit es dann nicht langweilig wird, komme ich diesmal mit dem Trio, die Musik ist jazziger, der Schlagzeuger Omry Eshel stammt aus Israel, der Gitarrist Max Löbner aus Weimar. Er ist ein Christ, ich bin Muslim – und wir spielen gemeinsam in einer Kirche. Das ist unsere Botschaft.

Welche Musik berührt Sie persönlich am meisten?

Bach und Chopin mag ich sehr, aber auch Jazz. Ich möchte mehr Musik kennenlernen, denn ich liebe jede Art der Musik und will immer weiter lernen.

Verstehen Ihre Söhne Ahmad und Kinan, warum ihr Vater so viel unterwegs ist?

Für die beiden bin ich zurzeit nur ein Besucher zu Hause, der unglaublich viel arbeiten muss.

Welche Botschaft wollen Sie beim Konzert in Wiehl vermitteln?

Die Europäer denken, es wäre ein Bürgerkrieg in Syrien, aber in Wahrheit ist der Krieg längst durch die Einmischung von Politikern wie Putin und Trump in die Welt getragen worden. Ich möchte, dass die Menschen in meinen Konzerten einen wahren Eindruck vom Leben in Syrien bekommen, nicht nur den, den die Medien vermitteln. Und ich möchte, dass wir positiv denken, dass wir wissen, wir können alles gemeinsam schaffen, wenn wir zusammenkommen und Musik hören.

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