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Lebendiges OberbergEin furchtloser Nachfahre der Dinosaurier

3 min
Das Rotkehlchen.

An Kehle, Brust und im Gesicht ist das Rotkehlchen orange gefärbt.

Was rennt da über die Wiesen, was blüht am Wegesrand, was schwirrt über den See in Oberberg? Heute stellen wir das Rotkehlchen vor.

Die meisten wilden Tierarten ergreifen die Flucht, sobald Homo sapiens ihnen zu nah kommt. Die Fluchtdistanz, also der Mindestabstand, den ein Tier zu einem anderen, potenziell bedrohlichen Lebewesen wahrt, ist von Art zu Art, aber auch zwischen Individuen der gleichen Art und in Abhängigkeit der jeweiligen Situation unterschiedlich. Ein heimischer Vogel, der Gärtnern bei Erdarbeiten in diesem Zusammenhang auffällt, ist das Rotkehlchen (Erithacus rubecula).

Ein zutraulicher Vogel

Dieser an Kehle, Brust und im Gesicht orange gefärbte und weniger als 20 Gramm leichte Singvogel gilt als zutraulich, hat also eine geringere Fluchtdistanz als andere Singvögel wie Haussperling oder Heckenbraunelle. Es ist keine Seltenheit, dass sich ein Rotkehlchen vorwitzig auf dem Handgriff eines in den Boden gesteckten Spatens niederlässt, während man in gebückter Haltung den Gartenboden bearbeitet.

Natürlich verhält sich das Rotkehlchen nur entsprechend, weil es auf Nahrung in Form an die Oberfläche beförderter Bodenlebewesen spekuliert. Dennoch ist man als gärtnernde Person froh, dass einem ein so schöner Moment zuteilwird.

Melancholisch vorgetragener Gesang

Wer sich in der Vorweihnachtszeit noch im Garten aufhält oder zum Jahresende Ruhe und Erholung im Freien sucht, hört vielleicht den silbern-plätschernden, melancholisch vorgetragenen Gesang des Rotkehlchens. Aber dient denn der Vogelgesang nicht eigentlich dem Anlocken von Partnerinnen und zur Markierung des Reviers während der Brutzeit, also im Frühjahr?

Tatsächlich wunderten sich Ornithologen früher über das widersinnige territoriale Verhalten von Rotkehlchen in Winterrevieren. Man sollte annehmen, dass Brutpaare ihre Reviere nur dazu benötigen, während der Eiablage und Aufzucht der Jungen ein kleines Hoheitsgebiet zu behaupten, das von dem Männchen beansprucht und unter hohem Energieaufwand gegen konkurrierende Artgenossen verteidigt wird. Wozu also mitten im Winter Reviere besetzen, die im Sommer von anderen Artgenossen als Bruthabitat genutzt werden?

Nicht alle Dinosaurier sind ausgestorben

Eine Erklärung bot der spanische Biologe Mariano Cuadrado 1995, indem er die Funktion von Revieren außerhalb der Brutzeit anhand einer Rotkehlchenpopulation untersuchte, die in Südspanien überwinterte. Dabei wollte er zwei Hypothesen überprüfen. Erstens, dass es an den guten Futterplätzen liegt. Diese Annahme wurde von der Studie nicht bestätigt, da sich Körperkondition und Futteraufnahmerate bei Rotkehlchen mit Revierverhalten nicht von anderen, nicht-territorialen Artgenossen unterschieden. Zweitens überprüfte er die „Antiprädationshypothese“, wonach Rotkehlchen geschützte Gebiete mit guter Deckung auswählen und Artgenossen fernhalten, um ihr Sterberisiko durch Beutegreifer zu minimieren. Dies stellte sich als die korrekte Hypothese heraus. Einige Rotkehlchen verteidigen im Winter ein Territorium mit guten Versteckmöglichkeiten und markieren es durch ihren Gesang, um sicher durch den Winter zu kommen.

Es war sicher nie die Intention der Vögel, dass wir Menschen den Gesang als schön empfinden. Und obwohl immer wieder darauf hingewiesen wird, wie beliebt das Rotkehlchen bei vielen Menschen ist, da es sich zutraulich und liebreizend verhält, darf man eines nicht außer Acht lassen: Beruft man sich entsprechend dem aktuellen, wissenschaftlichen Standard bei der Klassifizierung von Arten auf die gemeinsame evolutionäre Herkunft zählen Vögel mit den Reptilien zu den Sauropsiden. Somit sind nicht alle Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren ausgestorben, sondern mit den Vögeln überlebte bis heute eine spezielle Entwicklungslinie der Dinosaurier.

Ja, das Rotkehlchen ist ein Nachkomme der gewaltigen Echsen und näher mit Tyrannosaurus Rex und einem Krokodil verwandt als mit einer Maus oder einem Frosch. Die kleinen Bodenorganismen, welche ein Rotkehlchen zahlreich in der herbst- und winterlichen Laubstreu erbeutet, werden das bestätigen können.