- Seit März sind Sabine Grützmacher aus Gummersbach und Marc Zimmermann aus Wiehl Kreissprecher der oberbergischen Grünen.
- Frank Klemmer war mit ihnen im Redaktionsgespräch.
- Lesen Sie hier, was die Politiker über den aktuellen Erfolg ihrer Partei und die Auswirkungen auf die Kommunalwahl 2020 im Oberbergischen sagen.
Oberbergischer Kreis – Seit März sind Sabine Grützmacher aus Gummersbach und Marc Zimmermann aus Wiehl Kreissprecher der oberbergischen Grünen. Frank Klemmer sprach mit ihnen nach der Europawahl über den aktuellen Erfolg ihrer Partei und die Auswirkungen auf die Kommunalwahl 2020 im Oberbergischen.
Wenn man das Europawahlergebnis im Oberbergischen liest, stellt man sich eine Frage: Wo bekommen die Grünen bis zur Kommunalwahl 2020 genügend Menschen her, die die Mandate in den Räten wahrnehmen?
Zimmermann: Also, da mache ich mir im Augenblick eigentlich keine Sorgen. Unsere Listen haben wir immer so weit gefüllt, dass das kein Problem sein sollte. In Wiehl zum Beispiel haben wir zurzeit drei Ratsmitglieder. Selbst wenn wir da jetzt so groß werden wie CDU und SPD und sechs oder sieben Sitze hinzukommen, kriegen wir das hin.
Grützmacher: Wenn ich für Gummersbach rechne, dann schaffen wir das auch – zumindest bis zu einem Ergebnis von 30 Prozent. Wir sehen das deshalb auch noch entspannt. Dennoch ist das alles natürlich ein organisatorisches Problem, mit dem wir uns auch als Kreisverband in den nächsten Monaten bis zur Wahl intensiv auseinandersetzen werden.
Machen Sie sich denn schon Gedanken darüber, wen sie als Bürgermeister-Kandidaten ins Rennen schicken?
Zimmermann: Das ist im Moment überhaupt kein Thema. Wir dürfen auch nicht vergessen: Es war eine Europawahl. Ob sich das Ergebnis bei einer Kommunalwahl wiederholt, ist überhaupt nicht klar. Und das Schlimmste, was wir machen könnten, wäre, jetzt Jobs zu verteilen, die es noch gar nicht gibt. Es muss bei uns um Politik gehen, nicht um Posten.
Grützmacher: Und im Augenblick sind wir aber ohnehin ausreichend damit beschäftigt, alle Mitglieder, die neu zu uns kommen, anständig zu begrüßen.
Das heißt: Sie spüren den Trend auch bei den Mitgliederzahlen?
Zimmermann: Auf jeden Fall, das ist so. Wir haben im Mai das 200. Mitglied begrüßen können – die 17-jährige Schülerin Lucy Büser, die im vergangenen Jahr bereits bei einer unserer Veranstaltungen spontan über ihren Versuch berichtet hat, plastikfrei zu leben.
Ein typisches Neumitglied?
Grützmacher: Es ist schon so, dass auf den meisten Beitrittsanträgen der Vermerk „Liebe Grüne Jugend, kümmert Euch drum!“ angekreuzt ist. Wir sind ja froh, dass wir die inzwischen wieder haben und die sich darum kümmern kann.
Zimmermann: Viele, die jetzt Mitglied bei uns werden wollen, das sind engagierte junge Leute. Ich habe einen 18-Jährigen vor Augen, der neulich bei einer Veranstaltung in Oberwiehl war: Dem merkte man an, dass er ganz klare Vorstellungen davon hat, was er erreichen will. Und dass er bereit ist, sich dafür zu engagieren.
Und was sagen die alten Grünen zu den ganzen Neuen in ihren Reihen?
Grützmacher: Zunächst einmal herrscht vor allem Freude. Bis vor kurzem haben wir uns noch über die Politikverdrossenheit des Nachwuchses beklagt. Deshalb sind auch bei uns sicher einige überrascht über das plötzliche Engagement – und jetzt auch schon, dass es so lange anhält. Warum sollte einer von den Alten ein Problem haben? Schließlich heben die Neuen ein Thema auf ihre Fahnen, dessen Bedeutung die Grünen schon seit Jahrzehnten betonen.
Haben Sie trotzdem keine Sorge, Ihre neuen Fans mit Ihrer Politik zwangsläufig enttäuschen zu müssen? Die Grünen haben ja auch in der Vergangenheit schon Kompromisse machen müssen, die Teile ihrer Wählerschaft verprellt haben.
Grützmacher: Ich glaube, dass sich vor allem eines geändert hat: Die Lage bei der Klimafrage ist inzwischen so ernst, dass Realpolitik tatsächlich radikale Maßnahmen verlangt. Und das wird offenbar immer mehr Menschen bewusst. Die „Fridays for Future“ sind ja keine Erfindung der Grünen. Es ist – auch im Oberbergischen – eine unabhängige Bewegung, und wir werden auf keinen Fall versuchen, sie zu vereinnahmen. Wenn sich die jungen Menschen, aber auch ältere wie zum Beispiel die „Parents for Future“ bei uns engagieren wollen, dann müssen wir die richtige Plattform sein.
Zimmermann: Natürlich ist es aber auch unsere Aufgabe zu vermitteln, dass Kompromisse ein Teil der politischen Abläufe in unserem Land sind. Wenn wir das transparent und basisdemokratisch machen, kann das auch gelingen.
Eine andere Gefahr, auch aktuell: Nicht alles, was nach Umweltpolitik klingt, ist auch wirklich begründete Sorge. Wie stellen Sie sicher, dass grüne Politik nicht über das Ziel hinausschießt – gerade im kommunalen Bereich, wo Sie auf jedes Engagement angewiesen sind?
Zimmermann: Da sind die Grünen schon lange sehr gut aufgestellt. Wir haben eine ganze Menge Fachleute in unseren Reihen, die das sehr gut unterscheiden können. Das müssen wir auch – schließlich ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit von Politik.
Was bedeutet denn das Thema Klimawandel konkret für die Grünen im Oberbergischen?
Zimmermann: Damit haben wir uns auch beschäftigt und versucht, die Agenda 2030 der Vereinten Nationen auf das Oberbergische herunterzubrechen. Ein wichtiger Punkt ist dabei sicherlich die Frage, wie sich weitere Flächenversiegelung verhindern lässt. Die Debatte um das neue Industrie- und Gewerbegebiet in Lindlar-Klause zeigt: So geht es einfach nicht mehr weiter. Wir können nicht noch mehr Flächenversiegelung zulassen.
Das Industrie- und Gewerbeflächenkonzept des Oberbergischen Kreises, das ja noch zu Zeiten der rot-grünen Landesregierung präsentiert wurde, ist ja schon ein Kompromiss. Wenn Sie sich da querstellen, kann das in einer stark industrialisierten Region wie Oberberg nicht auch ein Risiko sein?
Zimmermann: Das ist ein Risiko, das wir eingehen müssen. Die Flächenversiegelung, die auch dieses Konzept vorsieht, kann so einfach nicht weitergehen.
Ein Blick in die anderen Ortsverbände
Bergneustadt: Axel Krieger rät dazu, den Ball flachzuhalten. Angesichts des aktuellen Personalbestandes könne man die großen Erwartungen nicht erfüllen und werde vermutlich auch Menschen enttäuschen müssen. Bergneustadt werde alle Wahlbezirke besetzen können, auch eine Erhöhung der Ratsmandate von zwei auf vier oder fünf wäre möglich. Einen Bürgermeister-Kandidaten aufzustellen, hält Krieger aber für vermessen. (kn)
Engelskirchen: „Ich habe noch nie einen so angenehmen Wahlkampf erlebt wie jetzt zur Europawahl“, sagt Ortsverbandssprecher Dr. Notker Schneider. Während es früher oft Vorbehalte gab, schienen die Menschen jetzt offener für grüne Themen zu sein. Zurzeit haben die Grünen etwa 25 Mitglieder, mit einem deutlichen Zuwachs in den vergangenen Monaten, und drei Ratsmandate. (sül)
Marienheide: Die Mitgliederzahl hat sich laut Ortsvereinssprecher Detlev Rockenberg binnen zwei Jahren auf 22 verdoppelt. Vor der Wahl an den Ständen war der Aufschwung spürbar: Eine 84-Jährige habe gesagt, sie habe ihr Leben lang CDU gewählt, wolle nun aber im Sinne ihrer Enkel eine Partei für den Umweltschutz unterstützen. Derzeit haben die Grünen zwei Ratsmitglieder. Der Ortsverband bereitet sich auf mehr Mandate vor. Ein 17-Jähriger zeige Interesse, ein Mandat zu übernehmen – er wäre rechtzeitig volljährig. (ag)
Morsbach: Angelika Vogel, eine der zwei Vertreterinnen im Rat, ist zurückhaltend. Entscheidungen für die Kommunalwahl fielen erst in der ersten Hälfte 2020. Die Morsbacher seien aber gut aufgestellt. „Auch bei enormen Stimmengewinnen können wir unsere Listenplätze im zweistelligen Bereich besetzen.“ Falls erforderlich seien die Grünen auch in der Lage, eine eigene Bürgermeisterkandidatin aufzustellen: „Wir haben eine aktive Frauenpower von 100 Prozent.“ (höh)
Nümbrecht: Die Konkurrenz in der Gemeinde sieht Andrea Saynisch, Fraktionsvorsitzende im Rat, auf die Klimadebatte nicht gut vorbereitet: „Noch bei den Debatten über den Haushalt sind wir als Hysteriker abgetan worden.“ Bei Gesprächen mit Bürgern sei das anders. Auf künftige Erfolge sei der Ortsverband vorbereitet: „Wir haben schon länger begonnen, junge Leute aufzubauen.“ Auch die Bürgermeister-Wahl hat Saynisch im Blick, drei mögliche Kandidaten seien im Gespräch. Denn: „Wir sollten vorbereitet sein.“ (kmm)
Reichshof: Ruhiger angehen lassen will es Ortsverbandssprecher Wim Weber-Weingarten in Reichshof. Die Frage nach einem Bürgermeister-Kandidaten stelle sich im Moment nicht. „Und wenn, finden wir wieder eine kreative Lösung wie vor der Europawahl, als wir auf Plakate verzichtet haben“, sagt er schmunzelnd. 16 Mitglieder habe der Ortsverband, sechs bis sieben davon aktiv: „Die schmeißen den Laden.“ Das reiche auch für bessere Ergebnisse 2020, meint Weber-Weingarten. (kmm)
Waldbröl: Bei den Waldbröler Grünen ist noch offen, ob sie einen Bürgermeisterkandidaten aufstellen. „Darüber beraten wir zurzeit“, berichtet Claudia Hein, Vorstandsmitglied des Ortsverbands. Zurzeit stellt die Partei zwei Vertreter im Waldbröler Stadtrat und einige Sachkundige Bürger, die aber nicht Mitglied der Partei sein müssen, um in der grünen Politik mitzuwirken.
Hein erwartet, dass in Kürze neue Mitglieder und Interessierte hinzustoßen. Seit 30 Jahren stehe ihre Partei in der Marktstadt für eine ökologische, nachhaltige Politik und den Klimaschutz: „Das hat sicher auch die Wählerinnen in Waldbröl überzeugt.“ (höh)
Was steht noch auf ihrer oberbergischen Agenda?
Grützmacher: Da ist vor allem die Verkehrspolitik zu nennen. Dazu gehört nicht nur die Ertüchtigung des öffentlichen Nahverkehrs. Wir brauchen im Oberbergischen auch ein Radwegesystem, das diesen Namen auch verdient hat.
Zimmermann: Wir werden die Berge nicht flacher machen – das will ich auch gar nicht. Aber wenn ich zum Beispiel abends mit dem Rad im Dunkeln von unserer Kreisgeschäftsstelle in Niederseßmar nach Drabenderhöhe mit dem Fahrrad fahre, dann wird mir am Anstieg durch die Kurven in Hunstig schon angst und bange, wenn ich hinter mir einen Lkw höre. Wir brauchen einfach vernünftige Radwege, wie in den Niederlanden.
Die Konkurrenz auch im Oberbergischen merkt offenbar, dass sich etwas tut. Bodo Löttgen sagte zum Hype um die Grünen schon im Wahlkampf: „Alle elf Minuten verliebt sich ein Hauptstadtjournalist in Robert Habeck . . .
Zimmermann: (schmunzelt) Den kannte ich noch nicht.
. . . und der CDU-Vorsitzende Dr. Carsten Brodesser sprach unmittelbar nach der Wahl davon, die Christdemokraten müssten erkennen, dass die Grünen ihr ärgster politischer Gegner sind. Fühlen Sie sich jetzt ernst genommen?
Grützmacher: Also, als politischen Gegner würde ich die CDU jetzt nicht bezeichnen. Seit ich 2014 in den Gummersbacher Rat gekommen bin, habe ich die Zusammenarbeit in der Kommunalpolitik eigentlich immer als kollegial wahrgenommen.
Die Wahl und die Umfragen, so erfreulich sie für die Grünen sind, zeigen aber auch andere Trends, die Sie nicht so freuen dürften. Die AfD bleibt stark, auch im Oberbergischen. Was ändert sich da gerade in der politischen Landschaft? Ist die Stimmung aggressiver geworden?
Zimmermann: Ich weiß nicht, ob sich da wirklich etwas geändert hat. Gerade wir Grünen kennen es ja, im Wahlkampf auf der Straße für unsere Ansichten angefeindet zu werden. Aber ja: Auch ich hatte vor der Europawahl auf dem Waldbröler Vieh- und Krammarkt jetzt wieder so ein Erlebnis.
Grützmacher: Ich kenne das aus meiner Arbeit als Geschäftsführerin beim VSB gGmbh, einem Träger vor Berufsorientierungs- und Bildungsprojekte. Wir planen zum Beispiel in Waldbröl ein Projekt, dass sich nicht nur um Flüchtlinge kümmert, sondern auch Aussiedler und andere Waldbröler miteinbezieht. Wir dürfen nicht übersehen, dass Integration nur gelingen kann, wenn auch diejenigen, die integrieren sollen, Teil der Gesellschaft sind.
Zimmermann: Am Ende ist es aber vor allem eine Frage der bisher großen Parteien CDU und SPD und des Verlustes ihrer Glaubwürdigkeit. Die Menschen sind frustriert, deshalb wählen sie jetzt gerade etwas anderes – viele uns, aber viele eben auch die Rechtspopulisten.