Plötzlich selbst OpferFrauenrechtlerin Sonja Bläser wird in Wipperfürth attackiert

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200 Menschen sind es im Durchschnitt, die jedes Jahr in der Beratungsstelle Hennamond in Köln Hilfe bei Sonja Bläser und ihren Mitarbeitenden suchen. In Wipperfürth wurde sie nun selbst attackiert.

200 Menschen sind es im Durchschnitt, die jedes Jahr in der Beratungsstelle Hennamond in Köln Hilfe bei Sonja Bläser und ihren Mitarbeitenden suchen. In Wipperfürth wurde sie nun selbst attackiert.

Wipperfürth – Gewalt hat Sonja Fatma Bläser in ihrem Leben schon oft erlebt. Rund 200 Menschen hilft die 56-Jährige mit der Beratungsstelle Hennamond bundesweit jedes Jahr in Fällen von drohender Zwangsheirat, Gewalt in der Familie und auch den sogenannten Ehrenmorden.

Am Vormittag des 15. März dieses Jahres wird sie selbst Opfer von Gewalt. An der Türe der Wohnung ihres Bruders in einem Mehrfamilienhaus in Wipperfürth. „Erst war es ein zaghaftes Klopfen, fast schüchtern“, erinnert sie sich. Sie öffnet die Türe und was dann geschieht, wird nun von der Polizei ermittelt.

Die Polizei ist am 15. März mit drei Streifenwagen im Einsatz. Als Tatzeit notieren die Beamten 11.15 Uhr, rufen den Rettungsdienst und nehmen die Personalien von allen Beteiligten auf. Ermittelt wird unter anderem wegen schwerer Körperverletzung: Konkrete Beschuldigte gibt es noch nicht. Derzeit werden alle Beteiligten vorgeladen und ihre Aussagen aufgenommen.

Polizei mit drei Streifenwagen im Einsatz

Sonja Bläser hat ihre Aussage schon gemacht. „Ich hatte Todesängste“, sagt sie, als sie die Vorfälle nun unserer Zeitung schildert. Sie berichtet, wie sie drei Frauen vor der Türe gesehen habe und sich sicher gewesen sei: „Die wollten mich totschlagen“. Sie erinnert sich an Schläge, Tritte und wie sie zu Boden gerissen worden sei.

Die drei Frauen, die an dem Vorfall beteiligt gewesen sein sollen, kennt Bläser: „Nur zu gut, es ist Familie“, sagt sie. Eine der drei Frauen habe „eine Eisenstange in der Hand gehabt, vielleicht 40 bis 50 Zentimeter lang, die andere so etwas Kürzeres, vielleicht eine Klinge“, berichtet Bläser. Nach dem Vorfall kam sie ins Kreiskrankenhaus Gummersbach. Im Befund stehen Prellungen an Schulter, der Hüfte und an der Halswirbelsäule.

Dass ihre Arbeit in Teilen der muslimisch-kurdischen Exilgemeinde für Unruhe sorgt, weiß Bläser. „Dieses vermeintlich auf den Islam gestützte Weltbild ist bei manchen Menschen festgefahren“, berichtet sie. Das sei auch einer der Gründe für den Angriff gewesen. „Die Täter meinen, dass ich ihre Ehre beschmutzt habe“, sagt sie. Sie habe gegen einen archaischen Ehrenkodex verstoßen, der auch vor Gewalt nicht zurückschrecke.

Drohungen sind alltäglich

Bläser hält in ihrer Arbeit mit Hennamond Vorträge, berät Polizei und Behörden im Umgang mit Zwangsheirat, Ehrenmorden und Gewalt in Familien. Vor allem innerhalb des muslimischen Milieus, aber auch in anderen Fällen, wo „patriarchalische Familienstrukturen vorherrschen“, berichtet sie.

Bläser setzt sich für Mädchen und Frauen ein, die aufgrund ihrer Herkunft Familien ausgeliefert sind, die zuschlagen. Nach Vorträgen wird sie fast regelmäßig bedroht. Einmal stand sie mit ihrem Mann und ihren Kindern für Monate unter Polizeischutz.

Geboren wurde sie 1964 in Ostanatolien als Tochter in einer kurdischen Familie. Damals trug sie noch einen anderen Namen. Die deutschen Namen nahm sie nach ihrer Heirat an. Der Name Fatma blieb als Erinnerung an ihre Herkunft. Denn auf die kurdische Herkunft ist sie nach wie vor stolz.

Anfang der 1970er Jahre kam sie als Kind nach Wipperfürth. Schon in der Jugend bricht sie mit vorgelebten Traditionen. Während der Ausbildung bekommt sie über ihre Kolleginnen und Kollegen Einblicke in ein selbstbestimmtes Leben, stellt die überlieferten Lebensweisen in Frage. Sie heiratet einen deutschen Mann und baut sich ein neues Leben auf.

Aus Wipperfürth ist Sonja Bläser zu diesem Zeitpunkt längst weggezogen. In Köln beginnt sie 1987 türkisch-kurdischen Frauen zu helfen. Heute ist die Beratungsstelle Hennamond eine feste Größe in der Präventionsarbeit. „Wir haben Menschen aus 42 verschiedenen Nationen, die wir betreuen“, berichtet sie. 2013 wird ihr für diese Arbeit das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Auch wenn sie aus Wipperfürth weggezogen ist, bestehen weiter Bande ins Bergische. Mit vielen Familienmitgliedern hat sie sich im Laufe der Jahre ausgesöhnt. Einer ihrer Brüder ist auf Hilfe im Alltag angewiesen und braucht Betreuung für den Kontakt zu Ämtern oder Pflegestellen. Das war bisher Sonja Bläser. Doch nun soll eine professionelle Betreuungsperson übernehmen, jemand der das hauptberuflich macht und vor Ort ist. Weil die Übergabe persönlich erfolgen soll, setzt sich Sonja Bläser ins Auto.

Aufgewachsen in einer Parallelwelt in Wipperfürth

Sonja Fatma Bläser wurde 1964 in der Türkei geboren. Sie stammt aus dem Ort Kars in Ostanatolien und lebte dort bis zum Alter von fünf Jahren. 1973 kommt sie nach Wipperfürth und lebt in der Stadt zunächst in einer geschlossenen Parallelgesellschaft. Als junge Frau sollte sie gegen ihren Willen in der Türkei verheiratet werden. Sie emanzipierte sich aus dem Milieu und berät und hilft seit 1987 vor allem Frauen und Mädchen, die von Zwangsheirat, Ehrenmord und Gewalt in der Familie bedroht sind. In Köln gründete sie eine eigene Beratungsstelle.

Hennamond ist heute ein eingetragener Verein, der in Köln vor allem Präventionsarbeit leistet gegen Extremismus, für Demokratie und Menschenrechte. Für ihre Arbeit erhielt sie neben weiteren Auszeichnungen auch das Bundesverdienstkreuz am Bande. (r) www.hennamond.de

Auf der Fahrt habe sie ein beklommenes Gefühl gehabt. Denn nicht alle Teile der Familie haben sich mit ihr versöhnt. „Einige sehen in mir immer noch eine Gefahr. Sie glauben, dass ich ihre Lebensweise verraten habe“, so Bläser. Schon früher habe es neben Drohungen auch körperliche Übergriffe aus derselben Familie gegeben. „2009 und 2010 haben sie es schon versucht“, erinnert sich Bläser an Gewalt.

Es sei nicht der erste Vorfall

Doch die beiden Vorfälle seien noch vergleichsweise harmlos verlaufen und liegen schließlich schon mehr als zehn Jahre zurück. „Ich habe mich im Auto damit selbst beruhigt, dass ja niemand weiß, dass ich zu Besuch komme“, sagt Bläser. Wie die drei Frauen trotzdem von dem Besuch erfahren haben, kann sich Bläser nicht erklären: „Vielleicht hat mich einer der anderen Mieter in dem Haus erkannt.“ Auf jeden Fall dauert es nach der Ankunft in der Stadt keine 30 Minuten, bis es an der Türe klopft. Erst zaghaft, fast schüchtern.

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