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Interview mit Janis McDavid„Mittlerweile hat Wasser für mich etwas total Magisches“

6 min
Janis McDavid trägt eine blaue Haube und eine Schwimmbrille. Neben ihm ein Mann mit blauem T-Shirt. Im Hintergrund ein Schwimmbad.

Janis McDavid ist im Wasser ganz in seinem Element.

Janis McDavid ist Athlet, Autor und vieles mehr. Für die Fachtagung der SHG Handicap besucht er die Stadt Bergheim. 

Janis McDavid ist ohne Arme und Beine auf die Welt gekommen. Er ist 1991 in Hamburg geboren und in Bochum aufgewachsen. Als Schwimmathlet setzte er bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften und einem späteren Wettkampf zwei deutsche Rekorde in seiner Startklasse. Sein neuestes Buch „All Inclusive“ handelt von Barrierefreiheit in Job und Alltag. Am 18. Oktober ist er bei der Fachtagung der SHG Handicap in Bergheim dabei.

Janis McDavid, Sie sind ohne Arme und Beine auf die Welt gekommen. Wie kann man sich Ihr Aufwachsen vorstellen?

Janis McDavid: Das verlief völlig normal. Bei uns Zuhause war der Gedanke dazu: Andere Kinder haben Sommersprossen oder lockige Haare und ich hatte eben einen knallgelben Rollstuhl. Mit etwa acht Jahren begannen meine Schwierigkeiten damit und ich habe einen Kampf gegen mich selbst geführt. Davon haben andere nicht viel gesehen, weil ich der gleiche selbstbewusste Typ geblieben bin. Aber innerlich habe ich mir Fragen gestellt wie: Warum ausgerechnet ich? Ich bin dann mit ungefähr 17 Jahren relativ gut aus der Sache rausgekommen.

Ich habe für mich eine sehr klare Entscheidung getroffen, meinen Körper so anzunehmen, wie er ist.
Janis McDavid

Was hat Ihnen dabei geholfen?

Ausschlaggebend war für mich die Frage, ob ich mein Leben so weiterführen will oder es nicht besser ist, meine Situation anzunehmen. Das war die Kehrtwende. Ich habe für mich eine sehr klare Entscheidung getroffen, meinen Körper so anzunehmen, wie er ist. Damit konnte ich mein Leben ganz anders gestalten, weil dieser Druck plötzlich nicht mehr da war.

Janis McDavid hatte früher Angst vor dem Wasser

Wenn man Sie heute sieht, würde man gar nicht vermuten, dass Sie mal Angst vor dem Wasser hatten. Wie kam das?

Ich bin als Kind mal fast in einem See ertrunken. Die Jahre danach habe mich dann nur noch mit Schwimmweste ins Wasser getraut. Im Schwimmunterricht in der Schule habe ich die Erfahrung gemacht, dass alle mit meinem Körper und vor allem mit meiner Angst überfordert waren. Ich habe dann Nachhilfeunterricht bekommen, weil meine Eltern sagten: Es ist wichtig, dass du schwimmen kannst. Das ging aber komplett nach hinten los und hat die Angst nur verstärkt.

Wann kam die Wende?

Vor anderthalb Jahren begegnete mir „Deutschland Schwimmt“ – eine kleine Stiftung im Nürnberger Raum, die Kindern das Schwimmen ermöglichen will. Eigentlich hatte ich mit dem Thema längst abgeschlossen. Doch ihr Konzept faszinierte mich: Statt Druck oder Leistung geht es darum, Vertrauen zu schaffen, die Angst zu lösen und den Zugang zum Wasser spielerisch zu gestalten. Dieses Umdenken hat mich neugierig gemacht. Also trafen wir uns in einem kleinen Bad, nur für anderthalb Stunden. Und genau dort merkte ich: Ich konnte schwimmen – weil schwimmen lernen gar nicht im Fokus stand.

Janis McDavid trägt ein hellgraues Sakko und darunter ein schwarzes Hemd. Er lächelt.

Janis McDavid hat bereits drei Bücher geschrieben.

Was stand stattdessen im Fokus?

Im Fokus stand am Anfang, dass ich meine Angst vor Wasser abbaue. Das hat so gut geklappt, dass es mich fast schon schockiert hat. Nach anderthalb Stunden bin ich ohne Schwimmhilfe ins Wasser gesprungen und hab mich auf den Rücken in die sichere Position gelegt, sozusagen in den „Seestern“. Das war für mich Wahnsinn, wie schnell sich eine so tiefe Angst am Ende aufgelöst hat. Mittlerweile hat Wasser für mich etwas total Magisches. Und obwohl ich jetzt ständig im Wasser bin, hat sich die Magie bislang noch nicht verbraucht. Ich bin mittlerweile Botschafter von „Deutschland Schwimmt“, was mir natürlich eine große Freude ist.

In Ihrem neuesten Buch „All Inclusive“ geht es um Barrierefreiheit im Job und im Alltag. Was hat Sie dazu bewogen, es zu schreiben?

Ich habe das Gefühl, dass Inklusion in Deutschland aus einer defizitorientierten Perspektive betrachtet wird. Es geht immer nur darum, wie teuer die Rampe ist, ob das mit dem Denkmalschutz geht oder ob man digitale Angebote so gestalten kann, dass auch Menschen mit einer Hör- oder Seheinschränkung daran teilnehmen können. Ich finde, das ist der falsche Ansatz, nur auf die Kosten und Komplikationen zu schauen. Die Initialzündung für dieses Buch war ein potenzialorientierter Blick auf das Thema.

Janis McDavid will einen anderen Blick auf Inklusion

Wie sieht dieser Blick aus?

Der stellt die Frage danach, was wir als Gesellschaft gewinnen, wenn wir Möglichkeiten der Teilhabe für alle Menschen schaffen. Ein Zug ist am Ende des Tages für uns alle komfortabler, wenn keine drei Treppenstufen am Eingang sind. Sprachassistenzsysteme, die ursprünglich mal für Menschen mit Sehbehinderung entwickelt wurden, sind heute in jedem Smartphone installiert. Aus dem Bereich kommen also auch Innovationen, von denen wir am Ende alle profitieren. Mich hat aber auch gewundert, dass wir Inklusion sehr oft als soziales Thema sehen. Die ökonomische Betrachtung des Themas kommt mir in der Debatte viel zu kurz. Deshalb habe ich mir für mein Buch Interviewpartnerinnen und -partner aus der deutschen Wirtschaft gesucht und mir angeschaut, wie inklusiv die deutsche Wirtschaft im Moment ist.

Beim Thema Fachkräftemangel denken vermutlich noch die wenigsten an Barrierefreiheit als mögliche Lösung. Woher kommt das?

Es fehlt der Blick dafür, dass wir es auch bei Menschen mit Behinderung mit teils hochqualifizierten Fachkräften zu tun haben. Das hat viel mit Vorurteilen zu tun. Es gibt Studien dazu, dass Menschen in Unternehmen dazu tendieren, Leute einzustellen, die ihnen ähnlich sind, also ähnlich aussehen, denken und ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Menschen finden sich dadurch sympathischer und entwickeln ein Gefühl von Zugehörigkeit. Menschen mit Behinderung machen aber ganz andere Erfahrungen, sehen vielleicht anders aus oder haben eine andere Meinung zu bestimmten Themen. Mit so einem Ähnlichkeitsprinzip können wir im Grunde genommen nur verlieren. Dazu kommen dann aber auch viele Ängste und Sorgen der Unternehmen, die auf Falschinformationen basieren, zum Beispiel dass man einen Mitarbeiter mit einer Behinderung nicht mehr loswird oder dass sie weniger leisten.

Haben Sie das Gefühl, dass der Gesellschaft ein positiver Blick allmählich besser gelingt?

Ein Fazit zu finden, erwies sich für mich als schwer. Einerseits schien eine Anklageschrift nahezuliegen – all die Missstände schreien förmlich danach. Gleichzeitig hätte ein solcher Ton den vielen Menschen Unrecht getan, die längst unterwegs sind, die voller Energie und Motivation zeigen, dass Veränderung möglich ist. Diese Menschen gibt es in den großen Dax-Konzernen, in Familienunternehmen und anderen mittelständischen Unternehmen. Aber die große Erfolgsmeldung können wir nicht verkünden. Vor allen Dingen nicht, wenn wir feststellen, dass die Arbeitslosenquote unter Menschen mit Behinderung doppelt so hoch ist wie unter Menschen ohne Behinderung, bei gleicher oder tendenziell sogar höherer Qualifikation.

Dieser Aspekt verdeutlicht, Menschen mit Behinderung sind keine Bittsteller, sondern können etwas für die Gesellschaft leisten.
Janis McDavid über Inklusion

Ist es nicht auch traurig, dass man für die Wahrung der Menschenrechte erst mit einem ökonomischen Nutzen argumentieren muss?

Das ist es. Es ist absurd und ehrlich gesagt nicht menschenwürdig, das zu machen. Wir haben nun mal Menschenrechte, und die gehören umgesetzt. Im Bereich der Inklusion haben wir die UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland ratifiziert hat. Dazu sind wir also unabhängig von irgendwelchen Argumenten verpflichtet. Gleichzeitig hat es mir nicht gereicht, dass immer nur sozial argumentiert wird. Das war für mich sozusagen der „rebellische Ansatz“, den Spieß umzudrehen und andere Argumente zu finden, mit denen wir die Debatte befeuern können. Denn dieser Aspekt verdeutlicht, Menschen mit Behinderung sind keine Bittsteller, sondern können etwas für die Gesellschaft leisten.

Im Oktober sind Sie bei der Fachtagung der SHG Handicap in Bergheim. Warum sollte man das sich nicht entgehen lassen?

Alle Menschen sollten sich mit dem Thema Inklusion beschäftigen. Das Thema geht uns alle an. Menschen wie ich, die mit einer Behinderung geboren wurden, sind mit 3 Prozent in der absoluten Minderheit. 97 Prozent der Behinderungen werden erst im Laufe des Lebens erworben. Daher ist es sinnvoll, sich vorher mit dem Thema zu beschäftigen. Das nimmt im Fall der Fälle unheimlich viel Druck und Stress. Aber der Hauptgrund ist: Man kann dort wahnsinnig spannende Leute treffen. Und gerade Menschen mit Behinderung haben oftmals schon viel erlebt und viel zu erzählen, weswegen es auch unheimlich spannend ist, ihnen zuzuhören.

Zur Veranstaltung

Die Fachtagung der SHG Handicap findet am Samstag, 18. Oktober im Medio Rhein Erft statt, Konrad-Adenauer-Platz, Bergheim. Es moderiert Dr. Winfried Kösters. Infos und Anmeldung unter 0174/5272861 oder per E-Mail.

info@shghandicap.de