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Thallium-ProzessBeamtin spricht über Ermittlungen – „Es war ein grauenvoller Anblick“

Lesezeit 3 Minuten
Der Angeklagte steht hinter einem Stuhl im Gerichtssaal. Er trägt eine schwarz-weiße Jacke, neben ihm steht ein Justiz-Beamter. Das Gesicht des Angeklagten ist gepixelt.

Der Angeklagte im Thallium-Prozess schweigt bislang.

Ein Hürther Krankenpfleger ist wegen Mordes angeklagt. Er soll seine Ehefrau, seine schwangere Freundin und deren Großmutter mit Thallium vergiftet haben. Vor Gericht berichteten Ermittler von der Festnahme des Angeklagten.

Dienstag, 30. November 2021, kurz nach 6 Uhr am Morgen: Es ist noch stockdunkel, als die sechsköpfige Mordkommission der Kölner Kripo in die kleine Seitenstraße in Alt-Hürth einbiegt. An einem der Einfamilienhäuser sind die Rollläden heruntergelassen, der Hausherr schläft noch. Sämtliches Klingeln und Klopfen hilft nichts, doch die Beamten haben sich einen Zweitschlüssel besorgt und öffnen die Haustür.

Auf der Treppe kommt ihnen der derzeit vor dem Kölner Landgericht angeklagte Krankenpfleger im Schlafanzug entgegen. Er darf sich noch anziehen, danach eröffnen ihm die Beamten den Durchsuchungsbeschluss mit den Tatvorwürfen. Er gilt als Beschuldigter, soll seine Ehefrau sowie die schwangere Freundin und deren Großmutter mit Thallium vergiftet haben.

Angeklagter aus Hürth: „Das ist ein Scherz“

Zwei Tage, nachdem das Krankenhaus im Blut der Schwangeren das Gift nachgewiesen hat, haben die Beamten bei Gericht den Durchsuchungsbeschluss erwirkt. „Das ist ein Scherz“, wiederholt der Krankenpfleger „mit leichtem Zittern in der Stimme“ den Satz. Der Hürther scheint zunächst noch geschockt, wenige Minuten später habe er sich allerdings gefangen, wie sich ein Ermittlungsbeamter vor Gericht im Zeugenstand am sechsten Verhandlungstag erinnert. „Er war sichtlich damit beschäftigt zu begreifen, was ihm vorgeworfen wurde.“

„Ich bin doch kein Mörder, würde niemals einen Menschen umbringen“, habe er den Beamten entgegnet und beteuert: „Ich rette als Krankenhaus-Hygieniker Leben, praktiziere doch nicht das Gegenteil.“ Dabei habe er „ruhig und gefasst gewirkt, sich kooperativ verhalten“.

Das ist doch verrückt. Ich bringe doch nicht meine Frau um.
Angeklagter aus Hürth

Für die Vernehmung muss er mit zum Polizeipräsidium, darf noch eine Zahnbürste und Wechselkleidung einpacken, dann geht es schon ab in den Polizeitransporter. Auf einen Anwalt verzichtet er ausdrücklich. „Das ist doch verrückt. Ich bringe doch nicht meine Frau um, auch nicht meine Freundin. Ich liebe doch beide“, habe er im Auto immer wieder von sich aus das Gespräch angefangen.

Thallium-Prozess: Ermittler finden Hinweis auf Datenträgern

Während der Krankenpfleger im Präsidium stundenlang verhört und im Anschluss daran festgenommen wird, durchsucht das Team der Mordkommission (MK) die Wohnung.

Anhand der gesicherten Beweise wird bereits am Nachmittag „aus dem Anfangs- ein dringender Tatverdacht“, begründete MK-Leiter Jens Müller im Prozess die Festnahme am selben Tag. Die Beamten hatten insgesamt 36 Datenträger, darunter das Arbeitslaptop des Beschuldigten und mehrere Handys sichergestellt, darauf neun Terabyte Datenvolumen durchforstet. Und einen Treffer gelandet.

Kripobeamtin spricht von einem „verstörenden Bild“

Vier Wochen vor dem Tod der Ehefrau im Mai 2020 hatte der Krankenpfleger über seinen Dienstlaptop 25 Gramm Thallium bei einer Fachfirma bestellt. Geliefert wurde das Gift an seinen Arbeitgeber, ein Krankenhaus, die Rechnung ging an seine Privatadresse.

Im Flur des Eingangsbereichs hängt am Tag der Durchsuchung seine Jacke, in der rechten Tasche eine „Einmalspritze, zwei Drittel mit einer milchigen Flüssigkeit gefüllt“, sowie eine Dose mit der Aufschrift „Tavor“. Doch es ist kein Sedativum, sondern Thalliumpulver, wie das LKA noch am selben Tag bestätigt. Damit konfrontiert, schweigt der Hürther und verlangt einen Anwalt.

Eine Kripobeamtin, die ebenfalls Mitglied der Mordkommission ist, hatte die schwangere Freundin drei Wochen danach auf der Intensivstation besucht und spricht von einem „verstörenden Bild“, das sich ihr im Krankenzimmer geboten habe. „Man sah ihr die körperlichen Qualen an, es war ein grauenvoller Anblick, ihr die Schmerzen nicht nehmen zu können.“

Der nächste Prozesstag ist der 23. November.

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