Die Region Rhein-Ruhr will sich um die Ausrichtung Olympischer Spiele bewerben. Wie stehen die Chancen? Fragen an Stefan Klett, den Präsidenten des Landessportbundes NRW.
Chef des LandessportbundsKann Rhein-Ruhr Olympia ausrichten, Herr Klett?

Stefan Klett, Präsident des Landessportbundes NRW
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Herr Klett, warum eignet sich Nordrhein-Westfalen als Gastgeber für Olympia?
NRW kann Großveranstaltungen, das haben wir schon gezeigt. In den letzten zehn Jahren haben wir etwa 30 Europa- und Weltmeisterschaften durchgeführt. Großveranstaltungen sind also durchaus nicht unüblich bei uns im Sportland NRW.
Vor zwei Jahren haben wir fantastische Finals in Düsseldorf erlebt. Wir haben etwa Stabhochsprung am Rheinufer erlebt – bei bestem Wetter. Das waren sagenhafte Bilder, die produziert wurden. Und eine tolle Leistung der Sportlerinnen und Sportler.
Wie schätzen Sie die Konkurrenz innerhalb von Deutschland ein?
Wir befinden uns seit der Abgabe der Bewerbungskonzepte in einem Wettbewerb mit Berlin, München und Hamburg. Das ist in Ordnung und gehört dazu. Ich finde aber, wir haben ausgezeichnete Argumente, am Ende die Nase vorn zu haben.
Welche Argumente sind das?
Was nur die wenigsten wissen: Rund 95 Prozent der Sportstätten in NRW wären sofort einsatzfähig, hier muss nicht aufwändig gebaut werden. Was uns fehlt, ist ein Leichtathletikstadion, das internationalen Standards entspricht. Hier reicht das gerade neueröffnete Lohrheide-Stadion in Bochum, das ein riesiger Gewinn für die deutsche Leichtathletik ist, leider nicht aus.
Dafür gibt es aber ein Konzept. Es soll ein temporäres Stadion gebaut werden, das entweder im Norden von Köln Blumenberg oder in Essen entstehen soll, und das nach den Spielen zu einem Wohn- und Geschäftskomplex als Zentrum eines neuen Stadtteils weiterentwickelt werden soll. Das wäre maximal nachhaltig.
Welchen Zustrom erwarten Sie?
Mit der Rhein-Ruhr-Region können wir schon in einem Umkreis von 500 Kilometern 160 Millionen Menschen erreichen. Wir haben ausgerechnet, dass es einen Verkauf von zehn Millionen Tickets geben wird, plus 2,5 Millionen für die Paralympics. Das heißt, wir werden auch das IOC davon überzeugen können, dass so viele Tickets wie noch nie bei Olympischen und Paralympischen Spielen an den Mann gebracht werden.
In NRW leben Menschen aus fast 170 Nationen. Wir sind vielfältig, die Welt ist in NRW im Grunde also schon zu Hause. Und wir haben auch die nötige Logistik.
Ist diese wirklich gewährleistet?
Das steht auf der Agenda ganz oben. Der Transport der Athleten, Gäste und Zuschauer muss natürlich sichergestellt sein. Da wir uns frühestens für 2036, 2040 oder 2044 bewerben, haben wir schon noch ein bisschen Zeit, die vorhandene Infrastruktur aufzupäppeln.
Die Rhein-Ruhr-Region ist relativ kompakt. Wir reden nicht von Dimensionen, wie wir sie bei früheren Spielen gehabt haben, wo teilweise hunderte Kilometer zwischen den Sportstätten lagen. Auch in Los Angeles 2028 und Brisbane 2032 wird es große Entfernungen zu einzelnen Wettkampfstätten geben.
Ist Rhein-Ruhr als Marke gut genug?
Wir brauchen eine Leading City, das sage ich so deutlich. Sie werden mit kleineren Bewerberstädten keinen Hering vom Teller ziehen, schon gar nicht international. Wir brauchen aus meiner Sicht Köln an dieser Stelle. Von den 18 Städten, die bislang Teil des Bewerbungsverfahrens sind, ist Köln die größte und die weltweit bekannteste. Fragen Sie Menschen auf der Welt, ob sie viele andere Städte kennen in NRW. Köln, da bin ich sicher, steht an erster Stelle.

Temporäres Olymiastadion, möglicherweise in Köln-Kreuzfeld: Nach den Spielen wird das Stadion zum grünen Stadtzentrum umgebaut
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Wie steht es um die politische Unterstützung?
Wir haben eine unglaubliche Unterstützung durch die Landesregierung, durch den Ministerpräsidenten persönlich, der auch unser Sportminister ist. Das Parlament unterstützt die Bewerbung mit großer Mehrheit. Das heißt, wir haben auch politischen Rückenwind. Gut 70 Prozent der Bevölkerung an Rhein und Ruhr können sich die Spiele hier gut vorstellen. Das geht aus Zahlen hervor, die Meinungsforscher erhoben haben.
Wie schätzen Sie den Einfluss des LSB auf Bundesebene ein?
Wir sind der größte Landessportbund und nach dem Deutschen Fußball-Bund das zweitgrößte Mitglied im DOSB von mehr als 100 Sportorganisationen. Unser Wort hat Gewicht. Wir stehen in einem sehr regelmäßigen, guten Austausch mit dem DOSB und sind im Bewerbungsprozess jetzt an den entscheidenden Stellen aktiv. Welche Lehren wurden aus der gescheiterten Bewerbung von NRW für Olympia 2032 gezogen?
Der LSB hat sich nicht beworben, aber wir haben natürlich den Prozess beobachtet. Ich glaube, die größte Lehre daraus war, dass es keine gute Kommunikation zwischen dem bundesdeutschen Dachverband, also dem DOSB, und dem IOC gab. Am Ende entscheiden die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees.
Es hat nicht an politischer Unterstützung gemangelt oder an der Fähigkeit der Region. Sondern daran, dass zu Beginn des Prozesses nicht sofort der Dialog gesucht wurde.
Wir haben eine unglaubliche Unterstützung durch die Landesregierung, durch den Ministerpräsidenten persönlich, der auch unser Sportminister ist. Das Parlament unterstützt die Bewerbung mit großer Mehrheit.
Woran lag das?
Ich glaube, man hat über viele Jahre der Tatsache viel zu wenig Beachtung geschenkt, dass wir mit Thomas Bach einen deutschen IOC-Präsidenten hatten, der einen richtig guten Job gemacht hat, der eine neue Agenda aufgelegt hat und der gerade auch in Deutschland viel mehr Wertschätzung verdient hätte.
Warum war das so?
Aus persönlichen Gesprächen mit Thomas Bach weiß ich, dass ihn das geärgert hat. Das kann ich auch nachvollziehen. Warum auch immer hat es ausgerechnet zwischen Deutschland und dem IOC eine große Distanz gegeben.
Ist das jetzt anders?
Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass wir auch über Michael Mronz (Sportmanager aus Köln; Anm d. Red.) wieder eine sehr gute Anbindung nach Lausanne (Sitz des IOC; d. Red.) haben. Das kann im Bewerbungsprozess auf jeden Fall helfen.
Ist NRW durch die gescheiterte Bewerbung vorbelastet?
Ich sehe eher das Gegenteil. Wir haben mit den World University Games kürzlich gezeigt, dass es geht. Wir hatten 7.500 Volunteers und mehr als 8.500 Sportler plus Begleitung zu Gast. Die Wettbewerbe liefen reibungslos. Es gab kein Verkehrschaos. Die Stimmung war gut. Das war eine wirklich tolle Veranstaltung, die uns große internationale Anerkennung gebracht hat. Wir sind ja auch nicht der einzige Bewerber, dessen Bewerbung mal gescheitert ist. Es gibt immer viele Bewerber.
Wir brauchen eine Leading City, das sage ich so deutlich. Sie werden mit kleineren Bewerberstädten keinen Hering vom Teller ziehen, schon gar nicht international. Wir brauchen aus meiner Sicht Köln an dieser Stelle.
Droht NRW ein Imageschaden, sollte es erneut zu einem Scheitern kommen?
Es ist wie im Sport: Man kann trainieren, so lange wie man Lust hat und fit ist – und sich weiter bewerben. Die Frage ist vielmehr: Was lernt man aus der Summe der gescheiterten Bewerbungen?
Welche Chancen sehen Sie?
Wir haben knapp 5,5 Millionen Mitgliedschaften in 17.300 Sportvereinen. Wir können die Akzeptanz erhöhen. Wir können die Menschen, die sich für Sport begeistern, bitten, dieses Projekt zu unterstützen und auch für positive Stimmung zu sorgen.
Ist auch Überzeugungsarbeit zu leisten?
In Hamburg und in München sind die Dinge zuletzt schiefgegangen, weil die Bevölkerung am Ende nicht mitgezogen hat. Man muss es schaffen, den Menschen zu verdeutlichen, dass eine solche Veranstaltung einen Mehrwert hat. Die Region profitiert von der Verkehrsinfrastruktur, der Sport von der Sportinfrastruktur. Es wird nur funktionieren, wenn der Sport auch in der Breite profitiert. Dieses Signal muss an der Basis ankommen.
Ist ein Bürgerentscheid geplant?
Die Bevölkerung muss voraussichtlich am 19. April 2026 entscheiden, was sie will. Es wäre natürlich schlecht, wenn Städte wie Köln und Düsseldorf mehrheitlich dagegen sind. Dann können wir die Bewerbung direkt einstellen, zumindest für Rhein-Ruhr. Aber ich gehe davon aus, dass es in den großen Städten eine klare Mehrheit geben wird.
Besteht die Gefahr, dass eine Olympia-Bewerbung zulasten des Breitensports gehen könnte?
Ganz im Gegenteil. Es muss sichergestellt werden, dass die Sportstätten für den Breitensport und die 17.300 Sportvereine saniert werden; dass wir uns auf den Weg begeben und innerhalb der nächsten zehn Jahre einen erheblichen Anteil der Sportstätten saniert haben. Das wird nötig sein, um auch hier Akzeptanz zu schaffen.
In welchem Zustand befinden sich die Sportstätten in NRW?
Da muss man differenziert hinschauen. Wir haben wie gesagt viele Top-Sportstätten in NRW. Aber eine große Zahl der kommunalen Anlagen für den Schul- und Vereinssport ist in einem katastrophalen Zustand. Da wird es auf dem Weg zu Olympischen und Paralympischen Spielen ganz klare Schritte nach vorn geben müssen.
Können Sie das genauer beziffern?
Wir haben bei Sportstätten einen Sanierungsbedarf von ungefähr 3,6 Milliarden Euro. Die eine Hälfte betrifft Schwimmbäder, die andere Hälfte Sporthallen und -plätze. Wir haben schon einmal ein starkes Signal erhalten, als die schwarz-gelbe Regierung in NRW bis 2022 ein Sportstätten-Programm für vereinseigene Sportstätten aufgelegt und 300 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat. Das war megawichtig.
Die Vereine haben priorisiert, wo das Geld hingehen soll. Das hat einen unheimlichen Schwung in die Sanierungsplanung gebracht. So etwas brauchen wir jetzt auch wieder. Heißt im Klartext: Das Land muss in den nächsten Jahren in Sachen Sportstätten und Infrastruktur Geld zur Verfügung stellen.
Allerdings sind die Kassen leer.
An dieser Stelle kommt ganz aktuell das Sondervermögen des Bundes ins Spiel. Der DOSB hat eine Forderung aufgestellt, dass zehn Prozent des Sondervermögens in die Sportinfrastruktur gesteckt werden sollen. Sehr enttäuscht bin ich diesbezüglich von der Bundesregierung. Sie hat im Koalitionsvertrag eine Sportmilliarde zur Sanierung von Sportstätten versprochen - übrig geblieben sind 160 Millionen Euro im Etat des Bauministeriums. Das dürfen der DOSB und seine Mitglieder so nicht hinnehmen, da werden wir dranbleiben.
Klingt nicht gerade ermutigend..
In NRW ist es anders. Wir haben klare Signale, dass die Landesregierung aus diesem Sondervermögen ab nächstem Jahr 50 Millionen Euro in die Sportstätten steckt. Der Rest muss über die Kommunen verhandelt werden.
Wie akut ist die Lage?
Allein in NRW sind von 1.400 Schwimmbädern in den letzten zehn Jahren 600 geschlossen worden. Unsere Kinder können nicht mehr schwimmen. Können keinen Purzelbaum mehr. Können mit geschlossenen Augen nicht mehr auf einer geraden Linie gehen. Das alles hängt auch damit zusammen, dass wir keine funktionierenden Sportstätten haben oder dass sie einfach nicht mehr da sind.
Früher hatten viele Schulen ein Lehrschwimmbecken. Heute sind sie geschlossen. Jetzt aber ist eine Chance da. Wenn die Sportstätten saniert werden und wieder zur Verfügung stehen, dann werden wir auch eine große Akzeptanz für den Leistungssport und die Olympia-Bewerbung haben. Davon bin ich zutiefst überzeugt.
Interview: Tobias Carspecken, Raimund Neuß, Simon Westphal