Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Christoph Schindler im Interview„Wir wurden als Absteiger Nummer eins gehandelt“

Lesezeit 7 Minuten

Christoph Schindler kämpfte zum ersten Mal als Sportdirektor gegen den Abstieg.

GummersbachWie viele Steine sind Ihnen nach dem Sieg des VfL gegen Hüttenberg, mit dem der Klassenerhalt feststand, vom Herzen gefallen?

Ganz viele, keine Frage. Obwohl es ja nicht das erste Mal war, dass wir gegen den Abstieg gekämpft haben. Auch im vergangenen Jahr haben wir den Klassenerhalt erst am vorletzten Spieltag geschafft. Und doch war die Situation ganz anders für mich, denn erstmals konnte ich nicht aktiv eingreifen, wie ich es noch als Spieler gekonnt habe.

War die Situation nicht dramatischer als im vergangenen Jahr, als es beispielsweise mit Julius Kühn einen Spieler gab, der nach seiner Verletzung noch rechtzeitig fit wurde und entscheidend eingreifen konnte?

Das stimmt, ihn in der Hinterhand zu haben, gab die entscheidenden Impulse. Nach der Verletzung von Simon Ernst und den Niederlagen gegen die direkten Konkurrenten im Kampf gegen den Abstieg wurde die Aufgabe jetzt von Spieltag zu Spieltag schwieriger. Wir wurden als Absteiger Nummer eins gehandelt und haben dann das eigentlich schwierigste Spiel gewonnen. Auch dank viel Unterstützung.

Wen meinen Sie damit?

Die Sponsoren und Fans, die uns nie fallen gelassen haben, und uns gerade in der schwierigen Zeit unterstützt haben. Die Sparkasse Gummersbach-Bergneustadt und S+C haben Fans eine Auswärtsfahrt finanziert, viele Fans sind auch so nach Hüttenberg gefahren. Darunter der Bürgermeister, der dafür nicht auf dem Schützenfest war, oder Kyung-Shin Yoon, der dafür auf die Champions League in Köln verzichtet hat. Das Motto des VfL „Leidenschaft vereint“ wird gelebt.

DHB-Lehrgang

Bundestrainer Christian Prokop hat das Aufgebot der deutschen Handball-Nationalmannschaft für den am Montag beginnenden Lehrgang und das Länderspiel gegen den WM-Zeiten Norwegen auf zwei Positionen geändert. Für den nach einer Ellbogen-Operation noch nicht wieder vollständig hergestellten Kreisläufer Jannik Kohlbacher rückt der Gummersbacher Moritz Preuss in den Kader. Der Mindener Marian Michalczik nimmt den Platz von Paul Drux ein, der sich wegen anhaltender Sprunggelenksprobleme einem intensivem Rehaprozess unterzieht. (r)

Der Klassenerhalt ist gesichert. Was passiert nun?

Wir haben uns zwei Tage gefreut, dann ging es weiter. Es liegt viel Arbeit vor uns, damit sich eine solche Situation wie jetzt nicht wiederholt.

Woran hat es gelegen, dass die Saison so schlecht verlaufen ist?

Es wurden in der Vergangenheit viele Fehler gemacht, dazu kamen große Verletzungssorgen. Uns hat der ganz große Führungsspieler gefehlt und andere haben der extremen Verantwortung, die auf ihnen lag, nicht standgehalten, was nicht unbedingt eine Qualitätsfrage ist.

Wie wollen Sie verhindern, dass es die selbe Situation in der kommenden Saison wieder gibt? Finanziell ist der VfL ja nach wie vor nicht auf Rosen gebettet.

Wir haben bei der Kaderplanung im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten darauf geachtet, dass die Spieler auch charakterlich zu uns passen, das heißt auf und neben dem Spielfeld zu 100 Prozent zum VfL stehen. Mit Drago Vukovic haben wir einen absoluten Leader verpflichtet, der nicht nur individuelle Stärken hat, sondern die anderen mitziehen kann. Ivan Martinovic ist eins der größten Talente Europas auf der halbrechten Rückraumposition. Mit dem zweiten Mittelmann Pouya Norouzi haben wir einen Spieler mit Champions-League-Erfahrung, der zudem unglaublich ehrgeizig ist.

Alle Positionen sind für die kommende Saison mindestens doppelt besetzt – bis auf Linksaußen. Wird es dafür noch eine Neuverpflichtung geben?

Nachdem sich die Situation in den vergangenen Wochen immer weiter zugespitzt hatte, war alles Denken auf den Liga-Verbleib gerichtet. Wir brauchten erst Planungssicherheit, um zu handeln. Wir werden auch dort in Kürze reagieren. Ich möchte nicht wissen, wie unsere drei Neuzugänge zu Hause vor dem Live-Ticker gezittert haben.

Dann ist noch die Frage, ob Kreisläufer Moritz Preuss, der ab 2019 einen Vertrag beim SC Magdeburg hat, bleibt oder gegen eine Ablösesumme schon früher gehen kann. Es geht das Gerücht, in dem Fall käme im Austausch der Magdeburger Kreisläufer Zelijko Musa nach Gummersbach.

Stand jetzt ist, dass Moritz Preuss einen gültigen Vertrag hat und in der kommenden Saison mit Alexander Becker am Kreis spielen wird.

Mit Blick auf die finanzielle Situation des VfL: Ist da bereits das letzte Wort gesprochen?

Es ist ja bekannt, dass wir nicht zu den finanziell stärksten Vereinen der Liga zählen. Wir mussten ja auch in der Vergangenheit Spieler wie Raul Santos oder Julius Kühn verkaufen. Unter rein sportlichen Gesichtspunkten bekäme Moritz Preuss das Prädikat unverkäuflich. Doch es sind immer verschiedene Faktoren, die da reinspielen. Es ist kein Geheimnis, dass Magdeburg ihn gerne früher verpflichten würde.

Im Tausch mit dem eigenen Kreisläufer?

Im Moment beschäftige ich mich nur mit Moritz Preuss.

Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf die kommende Saison?

Ich hoffe auf eine Qualitätssteigerung durch die Neuzugänge und dadurch, dass die Spieler, die in diesem Jahr hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, sich steigern. Es müssen alle Spieler einen Schritt nach vorne machen. Konzeptionell sind in der abgelaufenen Saison einige Dinge geändert worden, die aber erst in ein oder zwei Jahren greifen.

Welche Entwicklungen meinen Sie damit?

Das betrifft zum einen die Vertragssituationen des aktuellen Kaders, aber auch die Akademie.

Mit Alois Mraz haben Sie einen neuen Trainer für die erfolgreiche A-Jugend verpflichtet. Was zeichnet ihn aus?

Er soll die U19 übernehmen und sich in dem Bereich um die Anschlussförderung kümmern, damit es nicht noch schwieriger wird, Talente für die Bundesliga zu gewinnen. Ich bin sehr froh, dass er sich für uns entschieden hat. Er ist ehemaliger Bundesliga- und Nationalspieler, war in Hüttenberg nicht nur Co-Trainer der Bundesliga-Mannschaft, sondern auch der U23 und der U19 in der Bundesliga. Er kann all diese Erfahrungen einbringen.

Maik Thiele bleibt Trainer der U23. Wie sind die weiteren Posten in der Akademie besetzt?

Wir werden in zwei Wochen das neue Konzept detailliert vorstellen. Das sollte eigentlich schon längt geschehen sein, wurde aber auch hinter den Kampf gegen den Abstieg zurückgestellt. Wir werden die Akademie professionalisieren, sie soll ja nicht nur Bestand haben, weil sie fürs Jugendzertifikat vorgeschrieben ist. Wir wollen mittelfristig mehr Spieler wie Pierre Busch hervorbringen, der auf Rechtsaußen in den Bundesligakader gerückt ist.

Vor einem Jahr feierten Sie noch als Führungsspieler den Klassenerhalt mit der Mannschaft. Anschließend sind Sie als Sportdirektor an den Schreibtisch gerückt. Wie sehen Sie das Jahr?

Es war ein sehr hartes Jahr, das von vielen Rückschlägen geprägt war. Eine Woche nach meinem Arbeitsantritt hat sich mit Simon Ernst der wichtigste Spieler verletzt, dazu sind wir mit Max Hermann und Kevin Schmidt mit zwei Handballern im Kader gestartet, die nicht spielfähig waren. Es war relativ früh klar, dass wir uns von Trainer Dirk Beuchler trennen mussten. Nach einem kleinen Hoch, an dessen Ende der Sieg gegen Kiel stand, mussten wir bis zum Saisonende zittern.

Was haben Sie daraus für sich gezogen?

Ich habe viele Erfahrungen für die Zukunft gemacht. Ich bin aber auch froh, dass die Saison vorbei ist. Meine Arbeit besteht ja nur zu einem Bruchteil darin, neue Spieler zu verpflichten.

Was war gut in der abgelaufenen Saison?

Wir haben die Infrastruktur verbessert, und damit das Training und das Umfeld für die Spieler. Wir sind ein Verein, der finanziell mit den großen nicht mithalten kann, daher müssen wir andere Wege gehen, um für große Talente wie Ivan Martinovic attraktiv zu sein. Er kommt nach Gummersbach, weil er sich hier entwickeln kann, und so soll es auch mit den Talenten aus der Akademie gehen.

Was wäre passiert, wenn der VfL abgestiegen wäre?

Das ist schwierig zu sagen bei einem Verein mit einer solch ruhmreichen Vergangenheit. Zumal ein Großteil der Spieler keinen Vertrag für die Zweite Liga hatte. Wir wollten nicht daran denken, haben aber natürlich in den vergangenen Wochen zweigleisig geplant.

Kann in so einem Fall Tradition zu Bürde werden?

Tradition verpflichtet, wirft aber keine Tore. Dafür ist aber die Erwartungshaltung sehr groß. Wir müssen immer wieder den Spiegel vorhalten und sagen, wir sind kein Verein, der in den nächsten Jahren um die Europapokalplätze mitspielen kann. Das müssen wir durch Leidenschaft wettmachen, mit einer Mannschaft, die sich mit dem VfL identifiziert. Dann, so denke ich, wird auch die Halle wieder öfter ausverkauft sein.

Was erhoffen Sie sich vom morgigen Spiel gegen Hannover?

Es ist das letzte Heimspiel der Saison, und ich hoffe, dass wir den Fans, die wir zuletzt so oft enttäuscht haben, etwas zurückgeben können.