Vakzine im ÜberblickWie sicher sind die Corona-Impfstoffe wirklich?

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Impfung Spritze in der Schale

Symbolbild 

Thrombose-Fälle treten offenbar nicht nur nach Corona-Impfungen mit dem Astrazeneca-Präparat auf, sondern auch bei Patienten, die eine Spritze mit dem Mittel von Johnson & Johnson erhalten haben. Sind diese beiden Vektorimpfstoffe also gefährlicher als die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna? Ein Überblick über den aktuellen Wissensstand:

Kann der Impfstoff-Typ die Ursache sein?

Das vermuten Experten, ist aber noch nicht eindeutig bewiesen. Die seltenen schweren Nebenwirkungen hängen deutschen Fachleuten zufolge möglicherweise mit dem speziellen Typ dieser Impfstoffe zusammen. „Die Tatsache, dass beide Impfstoffe auf dem gleichen Prinzip beruhen und die gleichen Probleme verursachen, spricht meines Erachtens eher dafür, dass der Vektor selbst die Ursache ist“, sagte Johannes Oldenburg vom Universitätsklinikum Bonn. Allerdings sei das zum gegenwärtigen Zeitpunkt spekulativ.

In beiden Präparaten wird ein an sich harmloses Adenovirus als sogenannter Vektor genutzt, um Erbinformationen des Coronavirus in den Körper zu schleusen. Es sei theoretisch auch denkbar, dass das Spike-Protein des Virus, das in allen verfügbaren Impfstoffen dem Immunsystem zur Bildung von Abwehrstoffen präsentiert wird, die Nebenwirkungen verursacht, erklärte Oldenburg.

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Wie wurde Johnson & Johnson überprüft?

Die Sicherheit des Johnson & Johnson-Impfstoffs wurde nach Angaben der Zulassungsbehörde EMA bei einer Studie an knapp 22 000 Erwachsenen zwischen 18 und 100 Jahren überprüft. Die eine Hälfte der Probanden war älter als 52 Jahre, die andere Hälfte jünger. „Die meisten Nebenwirkungen traten innerhalb von 1 bis 2 Tagen nach der Impfung auf und waren leicht bis mittelschwer ausgeprägt und von kurzer Dauer (1 bis 2 Tage)“, berichtet die EMA im Produktdatenblatt. Demnach hatte jeder zweite Geimpfte Schmerzen am Impfarm, knapp 40 Prozent klagten über Kopfschmerzen und Ermüdung, jeder Dritte über Muskelschmerzen. 14 Prozent war übel, 9 Prozent hatten Fieber. Senioren erlebten seltener Nebenwirkungen, Vorerkrankte dagegen teils eher, stellten die Studienleiter fest. Wer eine Erkrankung des Nervensystems hat, erlebt demnach nach der Johnson & Johnson-Spritze „sehr häufig“ Kopfschmerzen und „gelegentlich“ einen Tremor, also Muskelzittern. Wer Probleme mit den Bronchien hat, wird „häufig“ nach der Impfung husten und „gelegentlich“ niesen und Rachenschmerzen haben.

Wie wurde Astrazeneca überprüft?

Vaxzevria, so der offizielle Name des Astrazeneca-Impfstoffs, wurde in vier klinischen Studien in Großbritannien, Brasilien und Südafrika getestet. Mehr als 23 000 Probanden über 18 Jahren bekamen zur Hälfte entweder das Präparat oder ein Placebo gespritzt.

„Die Mehrzahl der Nebenwirkungen war von leichtem bis moderatem Schweregrad und ging üblicherweise binnen weniger Tage nach der Impfung wieder vollständig zurück“, schreibt die EMA. Am häufigsten kamen demnach Schmerzen am Impfarm vor, mehr als jeder Zweite erlebte das, ebenso wie Kopfschmerzen und Ermüdung. 44 Prozent der Geimpften hatten Muskelschmerzen oder fühlten sich generell unwohl. Jeder Dritte fühlte sich fiebrig und hatte Schüttelfrost, richtiges Fieber hatten knapp 8 Prozent. Ein Viertel der geimpften Probanden hatte Gelenkschmerzen, jedem Fünften war übel. Nach der zweiten Spritze fielen die Nebenwirkungen seltener aus. Auch hier vertrugen Senioren die Impfung generell besser.

Allerdings weist die Zulassungsbehörde im Produktdatenblatt darauf hin, dass für Vorerkrankte das Risiko bestimmter Nebenwirkungen erhöht sein kann. Demnach erlebten Menschen mit Blut- und Lymph-Erkrankungen „häufig“ eine Thrombozytopenie, also ein Mangel an Blutplättchen, sodass sie länger und häufiger bluten. Patienten mit geschädigtem Nervensystem bekommen den Angaben nach „sehr häufig“ Kopfschmerzen von der Astrazeneca-Impfung. Wer Probleme mit dem Verdauungssystem hat, dem werde „sehr häufig“ übel, Menschen mit Knochen- oder Gewebeschwäche erlebten „sehr häufig“ Muskel- und Gelenkschmerzen. Die Thrombosegefahr für Diabetiker wird dagegen als „sehr selten“ eingestuft.

Wie wurde Biontech/Pfizer überprüft?

Der Impfstoff mit dem offiziellen Namen Comirnaty durchlief laut EMA zwei klinische Studien mit knapp 22 000 Teilnehmern ab 16 Jahren. Teilweise bekamen die Probanden ein Placebo gespritzt. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Schmerzen am Impfarm bei mehr als 80 Prozent der Probanden, Müdigkeit bei mehr als 60 Prozent, Kopfschmerzen (50 Prozent), Muskelschmerz und Schüttelfrost (30 Prozent), Gelenkschmerz (20 Prozent) und Fieber (10 Prozent). Meist fielen diese Beschwerden leicht oder mäßig aus und klangen nach ein paar Tagen ab, heißt es. Je älter die Geimpften, desto weniger Beschwerdefälle.

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Insgesamt wurde beobachtet, dass Probanden nach der zweiten Impfung häufiger Fieber bekommen. Auch hier wurde bei Vorerkrankten teils ein höheres Risiko für Nebenwirkungen festgestellt. Menschen mit erkranktem Nervensystem können in „sehr seltenen“ Fällen Lähmungen im Gesicht erleiden. Die Wahrscheinlichkeit für Vorerkrankte liegt demnach höher als als 1:10 000, aber niedriger als 1:1000.

Wie wurde Moderna überprüft?

Die Beurteilung des Vakzins von Moderna beruht auf einer klinischen Studie in den USA mit Teilnehmern von 18 bis 95 Jahren. Ein Viertel war über 65 Jahre alt. Die Hälfte der Probanden bekam ein Placebo zur Kontrolle gespritzt. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Schmerzen am Impfarm bei 92 Prozent der Impflingen, 70 Prozent klagten über Müdigkeit, jeder Zweite über Kopfweh und Muskelschmerz. Etwas weniger als die Hälfte erlitt Gelenkschmerzen und Schüttelfrost, jeder Vierte Übelkeit und Erbrechen.

Jeder Fünfte klagte über geschwollene Lymphknoten, jeder Sechste über Fieber oder eine Schwellung an der Einstichstelle, jeder Zehnte über Rötungen. Bei Älteren traten diese Nebenwirkungen seltener auf. Nach der zweiten Dosis wurden sie insgesamt häufiger berichtet. Vorerkrankte erleben diese Nebenwirkungen teils häufiger, hält die EMA fest. Eine krankhafte Lymphknoten-Schwellung sei „sehr häufig“ bei Menschen, die schon eine Erkrankung des Lymphsystems haben. Wer Probleme mit dem Nervensystem hat, erleide in „seltenen“ Fällen eine Gesichtslähmung. Dies sei bei drei Teilnehmern passiert und bei einem aus der Placebo-Gruppe.

EU-Kommission plant ohne Astrazeneca

Die EU-Kommission plant bei künftigen Impfstoff-Bestellungen offenbar ohne die Vakzine von Astrazeneca und Johnson&Johnson. Beide Vektorimpfstoffe waren zuvor wegen des Verdachts, Hirnvenenthrombosen auslösen zu können, ins Gerede gekommen. Erst am Dienstag hatte der US-Hersteller Johnson&Johnson den Europa-Start seines Impfstoffs verschoben. Zwar widersprach gestern ein hoher EU-Beamter Berichten, denen zufolge die Verträge mit den beiden Konzernen nicht verlängert und die Hersteller bei künftigen Bestellungen nicht mehr berücksichtigt werden sollten. Gleichzeitig betonte die EU-Behörde aber, dass man künftig vor allem auf jene Stoffe setzen wolle, die auf der neuartigen mRNA-Technologie basieren.

Damit kommen nur die bisher zugelassenen Präparate von Biontech/Pfizer sowie Moderna infrage. Sollte das Vakzin des deutschen Herstellers Curevac wie erhofft ebenfalls im zweiten oder dritten Quartal von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zertifiziert werden, könnte auch dieser Impfstoff langfristig genutzt werden. Biontech kündigte am gestrigen Mittwoch an, bis Ende Juni zusätzlich 50 Millionen Dosen an Deutschland und die anderen EU-Staaten zu liefern. „Die Zukunft gehört den mRNA-Impfstoffen“, sagte der CDU-Europapolitiker und Mediziner Peter Liese. „Sie sind offensichtlich wirksamer als die Vektorimpfstoffe und scheinen auch nebenwirkungsärmer zu sein. Der wichtigste Vorteil aber ist, dass man sie schneller und gezielter an Mutationen anpassen kann.“

Die EU-Kommission will demnächst bis zu 1,8 Milliarden Dosen der neuartigen Vakzine für Auffrischungen sowie für Kinder und Jugendliche ordern. Es geht um Verträge für 2021 bis 2023. Nach Darstellung der Kommission gilt als ein Kriterium für die Auftragsvergabe, dass es sich um mRNA-Impfstoffe handeln soll. Damit wären Astrazeneca und Johnson&Johnson, deren Verträge mit der EU nur für dieses Jahr gelten, ebenso aus dem Rennen wie das russische Vakzin Sputnik V, das sich derzeit in der Prüfung der EMA befindet. Tatsächlich gelten die Vakzine von Astrazeneca und Johnson&Johnson als Übergangs-Impfstoffe, die jedoch für die Corona-Erstversorgung bis zum Sommer als wichtiger Betrag zentral sind. (dd) 

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