Hier gibt es HilfeMein Nachbar ist dement – was kann ich tun?

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Wie lange kann ein Mensch mit Demenz in seiner Wohnung bleiben? Strenge Regeln gibt es nicht: Nachbarn und Vermieter sollten tolerant sein und helfen.

Wie lange kann ein Mensch mit Demenz in seiner Wohnung bleiben? Strenge Regeln gibt es nicht: Nachbarn und Vermieter sollten tolerant sein und helfen.

Die alte Nachbarin scheint körperlich topfit zu sein. Sie kauft alleine ein und trägt die Tüten ohne Mühe bis in den zweiten Stock. Nur ihre geistigen Fähigkeiten scheinen nachzulassen: Schon einige Male hat sie geklingelt, weil sie sich ausgesperrt hat, oder sie stand vor der Tür, weil sie ihre Bluse nicht zubekam – sie trug noch ihr Nachthemd darunter.

Das sind typische Anzeichen einer Demenzerkrankung. Meistens erkennen Nachbarn an diesen Anzeichen überhaupt erst, dass ein Mitbewohner geistig stark abbaut.

Was müssen Nachbarn in solchen Fällen ertragen?

Klar ist: Es gibt keine festen Regeln. Im Zusammenleben mit Demenzkranken „ist ein gesteigertes Maß an Rücksichtnahme und Toleranz gefordert“, sagt Beate Heilmann von der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Für Heilmann folgt daraus, dass Nachbarn „Defizite ihres Mitbewohners in gewissen Grenzen ertragen müssen.“ Der Verlauf dieser Grenzen kommt jeweils auf die Situation an.

Überschritten werden sie nach Einschätzung der Anwältin, wenn Nachbarn jede Nacht um ihren Schlaf gebracht werden. Etwa, weil in der Wohnung über ihnen jemand ständig auf- und abläuft, die Möbel rutscht oder singend durchs Haus geistert. Das Maß des Ertragbaren ist auch bei Bedrohungen und Beschimpfungen erreicht.

Wen sollte man am besten informieren?

Ansprechpartner betroffener Mieter sollte zunächst der auffällige Nachbar selbst sein. „Hilfe und Unterstützung anbieten, keine Vorwürfe machen“, empfiehlt Saskia Weiß von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Außerdem sollte bei allein lebenden Menschen die Familie auf das merkwürdige Verhalten des Angehörigen angesprochen werden. Zudem gilt es, die Vermieter zu informieren.

Auf sie können in solchen Fällen gleich mehrere Probleme bekommen. Sie müssen zum einen ihre Mieter beruhigen und zum anderen versuchen, Abhilfe zu schaffen, indem sie mit dem dementen Hausbewohner reden. Ein drittes Problem sieht Gerold Happ vom Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland auf Vermieter zukommen: Demente Mieter zahlen irgendwann möglicherweise keine Miete mehr, weil sie ihre Geld- und Bankdinge nicht mehr Griff haben.

Wie kann man den Nachbarn unterstützen?

Gerold Happ rät Vermietern, „den Mieter möglichst in der Lebensführung zu unterstützen, wenn man ihn gut kennt, weil man im gleichen Haus wohnt“. Klappt das nicht, rät Happ dazu, entweder die Angehörigen oder die Behörden einzuschalten. Zuständig ist der Sozialpsychiatrische Dienst der jeweiligen Kommune. „Nur dieser Dienst darf von sich aus Kontakt zum Erkrankten aufzunehmen, und er kann rechtliche Betreuung anregen“, sagt Saskia Weiß.

Mieter wie Vermieter sind zur Hilfe verpflichtet, wenn ihnen auffällt, dass ein Hausbewohner abgemagert, verwahrlost und offensichtlich verwirrt herumläuft. Wer einfach wegsieht, riskiert wegen unterlassener Hilfeleistung belangt zu werden. Im Notfall dürfen Vermieter von sich aus nicht in die Wohnung des Demenzkranken; es sei denn, dieser hat ihnen oder einem Nachbarn Schlüssel gegeben. Polizei und Feuerwehr haben das Recht, die Tür aufzubrechen.

Was tun bei Ruhestörungen durch den Nachbarn?

Nachbarn haben die Möglichkeit, „von ihrem Vermieter zu verlangen, dass er dafür sorgt, dass Beeinträchtigungen unterbleiben“, sagt Ulrich Ropertz, vom Deutschen Mieterbunds (DMB). Zu den Beeinträchtigungen gehört zum Beispiel Ruhestörung.

Rein rechtlich betrachtet sind dies Mängel, die es dem Mieter erlauben, die Miete zu mindern und die der Vermieter zu beseitigen hat – auch wenn er den Mangel nicht verschuldet hat. Vom menschlichen Schicksal abgesehen gehe es „um einen Instandsetzungsanspruch, vergleichbar dem tropfenden Wasserhahn“, sagt Beate Heilmann. Die Höhe der Mietminderung hänge vom Einzelfall ab.

Vermieter dürfen dem Demenzkranken im schlimmsten Fall die Wohnung kündigen. Voraussetzung ist aber, dass sein Verhalten für die anderen Hausbewohner unzumutbar ist und es Beschwerden gibt. Für den Rauswurf spielt es keine Rolle, dass der demente Mensch für sein Verhalten gar nichts kann, wie Heilmann erläutert. Allerdings ist grundsätzlich vor der Kündigung mindestens eine Abmahnung fällig.

Bei Bedrohungen ist die fristlose Kündigung möglich. Das hat das Amtsgericht Karlsruhe in einem Fall entschieden, in dem ein Demenzkranker einen Hausmeister mit dem Küchenmesser bedroht hatte (Az.: 6 C 387/12). Haus & Grund-Mann Happ bezweifelt, dass ein dementer Mieter begreift, was die Post vom Eigentümer bedeutet: „Abmahnung und Kündigung gehen ins Leere, weil die Person nicht reagieren wird.“ Die Schreiben sollten deshalb an den gesetzlichen Betreuer geschickt werden, sofern es einen gibt. (dpa)

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