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Interview

Top-Ökonom Schularick
„Die neue Regierung startet geschwächt“

Lesezeit 6 Minuten
Der Koalitionsvertrag sei „ein Sammelsurium an Kompromissen“, sagt Moritz Schularick.

Der Koalitionsvertrag sei „ein Sammelsurium an Kompromissen“, sagt Moritz Schularick. 

Ökonom Schularick meint im Rundschau-Interview: Im Parlament haben nicht alle verstanden, in welchem Ausnahmezustand wir uns befinden.

Nach der Kanzlerwahl warnt Top-Ökonom Moritz Schularick vor einem Realitätsverlust in der Politik. Statt Aufbruch signalisiere der missglückte Start der neuen Regierung Unsicherheit. Im Interview mit Hannah Petersohn erklärt der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Kiel, was der Koalitionsvertrag für die Wirtschaft bedeutet und ob Deutschland schon bald von chinesischen Billigprodukten überschwemmt wird.

Herr Schularick, Friedrich Merz ist im ersten Wahlgang zur Kanzlerwahl gescheitert – ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Wie bewerten Sie das für die deutsche Wirtschaft?

Es ist ein Auftakt für die Koalition, der viel schlechter nicht hätte sein können. Das Aufbruchssignal der Stärke und Geschlossenheit blieb aus. Die neue Regierung beginnt diese neue Phase geschwächt – und das in einer Zeit, in der sie international Führung übernehmen muss. Ich erwarte aber keine langfristigen Effekte, denn letztlich ist Merz doch zum Kanzler gewählt worden. Immerhin haben die Koalitionäre im zweiten Durchgang Disziplin gezeigt.

An der es offenbar stark gemangelt hat.

Die größte Ernüchterung heute ist: Im Herzen des Parlaments haben offenbar nicht gleich alle verstanden, in welchem Ausnahmezustand wir uns befinden. Die Herausforderungen sind historisch – gesellschaftlich, wirtschaftlich, geopolitisch. Wer jetzt noch Spielchen spielt, hat den Ernst der Lage nicht verstanden. Deutschland muss außen- und sicherheitspolitisch handlungsfähig sein, da ist Parteitaktik brandgefährlich – und sagt wenig Gutes aus über das, was uns bevorsteht.

Wäre es zu Neuwahlen gekommen – ein Szenario, das die AfD geradezu herbeigeredet hat –, hätte die gesichert rechtsextremistische AfD an Macht gewonnen. Mit welchen wirtschaftlichen Folgen?

Das Wirtschaftsprogramm der AfD ist ein Rezept für wirtschaftlichen Abstieg. Es fehlt an Substanz und Zukunftsfähigkeit. Protektionismus, Renationalisierung – das widerspricht all dem, was Deutschland als Export- und Innovationsstandort braucht.

Das Vertrauen vieler Unternehmen hat in den vergangenen Monaten stark gelitten. Gerade der Mittelstand soll Investitionen extra bis zur Kanzlerwahl aufgeschoben haben.

Der Mittelstand wartet auf Stabilität. Aber ich würde aus dieser verpatzten Kanzlerwahl noch keine dramatischen wirtschaftlichen Konsequenzen ableiten. Wir stehen am Anfang einer Legislatur. Wenn die Regierung nun rasch handlungsfähig wird, kann sich das Vertrauen wieder stabilisieren.

Merz hat angekündigt, sich während seiner Kanzlerschaft stark auf die Außenpolitik zu konzentrieren. Bleiben dann innenpolitische Strukturreformen auf der Strecke?

Außen- und Wirtschaftspolitik lassen sich nicht trennen. Europas Verteidigungsfähigkeit, technologischer Rückstand, geopolitische Stabilität – das sind alles wirtschaftlich hochrelevante Themen. Gleichzeitig wird es innenpolitisch nicht einfacher, etwa dringend nötige Strukturreformen oder die Entbürokratisierung durchzusetzen. Der Koalitionsvertrag ist ein Sammelsurium an Kompromissen. Je nachdem, welcher Teil am Ende politisch dominant wird, kann das Land am Ende dieser vier Jahre wirtschaftlich gestärkt oder eben enttäuscht dastehen. Die Formelkompromisse des Koalitionsvertrags mit Leben zu füllen, ist nach dem verpatzten Wahlgang natürlich nicht leichter geworden.

Ein zentrales Thema bleibt die Rolle des neuen Finanzministers. Was trauen Sie Lars Klingbeil in dieser Funktion zu?

Klingbeil hat in den vergangenen Wochen gezeigt, dass er das politische Spiel sehr gut beherrscht. Er wird eine Schlüsselrolle einnehmen. Denn im Gegensatz zur Vorgängerregierung kann diese Koalition Geld ausgeben – und das in großem Stil. Entscheidend wird sein, ob das Geld zukunftsorientiert ausgegeben wird. Subventionen für alte Schwerindustrien mit hohem Energieverbrauch wären rückwärtsgewandt. Ich bin mir nicht so sicher, ob der Shift gelingen wird.

In welche Branchen sollte eine neue Bundesregierung investieren?

In Bildung, Forschung, neue Technologien und Verteidigung. Europa ist so sicher, wie seine Technologie gut ist. Der Krieg von morgen ist Technologie. Und wenn wir da weiter hinterherhinken, sind wir in Europa auch nicht sicher.

Mit Katherina Reiche und Martin Wittberger kommen zwei Minister aus der Wirtschaft – bringt das neue Impulse oder schadet das der politischen Unabhängigkeit?

Ich sehe das eher positiv. Beide bringen Wissen mit, das im Berliner Politikbetrieb häufig fehlt – etwa wie Unternehmen funktionieren und wie man in dynamischen Märkten schnell Entscheidungen trifft. Wenn sie ihre neue Rolle verantwortungsvoll ausfüllen, ist das ein Vorteil. Wir sollten nicht reflexartig von Verfilzung sprechen, nur weil jemand aus der Wirtschaft kommt.

Gab es auch Personalentscheidungen, die Sie kritisch sehen?

Es geht mir weniger um einzelne Personen, sondern um das Gesamtbild. Einige Ministerien wurden ohne klare strategische Neuzuschnitte besetzt, wie etwa das Bauministerium. Gerade dort hätte ich mir angesichts der Wohnungskrise eine stärkere Signalwirkung gewünscht. Der ganz große Reformwille, der Bruch mit dem Alten, ist im neuen Kabinett nicht zu erkennen.

Ist Deutschland wirtschaftlich noch Exportnation oder bereits im Abstieg begriffen?

Unsere Rolle als Exportweltmeister ist nicht mehr selbstverständlich. Die Wohlstandsverluste der letzten Jahre sind real. Gleichzeitig sehen wir nun aber, dass sich manche Rahmenbedingungen bessern sollen: Dadurch werden die Zinsen fallen, das Konjunkturpaket wird wirken, der Rückenwind wird wieder etwas zunehmen. Aber das Zeitfenster für Merz ist kurz – in den nächsten zwölf Monaten muss viel passieren.

Sie warnen vor einer Wirtschaftskrise wie in den 1930er-Jahren. Ist das Szenario wirklich so nah?

Trumps Zündeln am Welthandel birgt ohne Zweifel Risiken für die Finanzmärkte – das zeigen auch die Börsenreaktionen. Derzeit hoffen die Märkte, dass er zur Vernunft kommt und bei moderaten Zöllen bleibt. Das wäre zwar belastend, aber kein ökonomischer Weltuntergang – weder für Europa noch für Deutschland.

Also sehen Sie kein baldiges Ende der Globalisierung?

Nein, aber wir treten in eine neue Phase ein: weniger naives Zusammenrücken, mehr strategische Abgrenzung – vor allem gegenüber Abhängigkeiten wie von China. Die Globalisierung vertieft sich nicht mehr automatisch.

China muss sich durch die US-Zölle neue Absatzmärkte suchen. Droht Europa bald von chinesischen Billigprodukten überschwemmt zu werden?

Kurzfristig wird es für Verbraucher positiv sein: Weihnachtsbaumschmuck, Spielzeug, Turnschuhe – all das wird günstiger. Langfristig besteht die Herausforderung hierzulande vor allem für bestimmte Industrien wie Spezialchemie oder Metallverarbeitung. Doch wir reden hier über zusätzliche Importe in Höhe von vielleicht 30 Milliarden Euro – das sind rund 0,1 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung. Ein Schock sieht anders aus.

Welche Folgen erwarten Sie noch für die Verbraucher?

Vor allem sinkende Zinsen – das hilft beim Hauskauf oder bei Krediten. Die Börsen werden weiterhin volatil bleiben, aber da hierzulande kaum einer investiert, betrifft es in Deutschland nur wenige direkt. Entscheidend ist, dass die Politik das Momentum nutzt, um wirtschaftlich zukunftsgerichtet zu investieren. Der politische Wille dafür scheint aber noch nicht überall angekommen zu sein.