Rundschau-Debatte des TagesGibt es Homöopathie bald nur noch auf eigene Rechnung?

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 07.11.2017, Bayern, Kaufbeuren: Aus einem Röhrchen geschüttete homöopathische Globuli.

Aus einem Röhrchen geschüttete homöopathische Globuli (Symbolbild)

Dem Gesundheitsminister geht es ums Prinzip: Die seit Jahrzehnten umstrittenen Naturheilverfahren sieht er als wirkungslos an. Karl Lauterbach will Globuli und Co. deshalb als Kassenleistung streichen – und erntet dafür kontroverse Reaktionen.

Bereits seit Jahren wird diskutiert, ob Homöopathie weiter von Krankenkassen bezahlt werden soll. Basis für homöopathische Arzneimittel können pflanzliche, mineralische und tierische Substanzen sein. Die extrem verdünnten Stoffe werden zum Beispiel in Form von Kügelchen (Globuli) verabreicht. Wissenschaftlicher Konsens ist, dass für homöopathische Behandlungen keine Wirkung nachgewiesen ist, die über den Placebo-Effekt hinausgeht.

Homöopathie als Satzungsleistung

Heute können Krankenkassen solche Mittel dennoch als sogenannte Satzungsleistungen anbieten. Das sind Angebote, die eine Kasse zusätzlich zu den vorgeschriebenen Leistungen gewähren kann. Die untereinander in Konkurrenz stehenden Versicherungen können damit für sich werben. Darüber hinaus können Kassen mittels bestimmter Verträge Diagnosen und Behandlungen von Ärzten mit Homöopathie-Angeboten finanzieren.

Gesundheitsminister Lauterbach stellte am Donnerstag in Berlin fest, dass Kassen Leistungen bezahlten, die medizinisch nichts brächten, „können wir uns nicht leisten“. Ihm gehe es dabei aber auch ums Prinzip, räumte der Politiker und Mediziner ein: „Es gibt auch das falsche Bild.“ Die Wissenschaft sei die Basis des Regierungshandelns in der Klima-, in der Gesundheitspolitik und in vielen anderen Bereichen. „Es kann keine vernünftige Politik geben, die die Wissenschaft ignoriert – im Bereich der Homöopathie haben wir das bisher gemacht.“

Alles zum Thema Karl Lauterbach

CDU wirft Lauterbach Ablenkung vor

Die geschätzten Einsparungen durch den geplanten Schritt bezifferte Lauterbach auf 20 bis 50 Millionen Euro pro Jahr. Lauterbachs Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU) hatte sich 2019 noch gegen ein Aus von Homöopathie als Kassenleistung gewandt – vielen würde dadurch vor den Kopf gestoßen. Nun kritisierte Spahns Parteifreund Tino Sorge das Vorhaben von Lauterbach. „Anstelle von grundsätzlichen Überlegungen zur Sanierung der Kassenfinanzen verliert sich der Minister nun im Klein-Klein“, sagte Sorge der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. „Die geplante Streichung der homöopathischen Leistungen ist eine Nebelkerze.“ Sie solle von Untätigkeit ablenken.

Zurückhaltung und Kritik bei den Kassen

Die gesetzlichen Kassen gaben 2001 für homöopathische Mittel allein rund 7 Millionen Euro aus, für anthroposophische Arzneimittel knapp 15 Millionen Euro. Ihr Verbandssprecher Florian Lanz äußerte sich zurückhaltend zu Lauterbachs Plänen: „Was die Finanzwirkung angeht, handelt es sich mehr um eine symbolische Geste als um eine Maßnahme mit einem tatsächlichen Effekt.“ Es sei eine politische Entscheidung gewesen, Sondervorschriften mit geringeren Anforderungen an den Nachweis der Wirksamkeit bei den besonderen Therapierichtungen einzuführen. „Und es wäre jetzt erneut eine politische Entscheidung, diese wieder zu streichen.“

Die Securvita Krankenkasse, nach eigenen Angaben „Vorreiter bei der Naturheilkunde“, warf Lauterbach Aktionismus vor. „Es gab und gibt genügend gesetzliche Grundlagen, die Homöopathie als Kassenleistung abzuschaffen“, sagte Vorstand Vladimir Werner etwa mit Blick auf vorgesehene Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsnachweise bei Verträgen von Kassen mit bestimmten Ärzten. „Diese anzuwenden scheut sich der Minister offensichtlich, denn sie erfordern mehr als die populistische Infragestellung der für unsere Gesundheitsversorgung wichtigen Homöopathie.“

Oberster Kassenarzt lobt Lauterbach

Lob bekam Lauterbach dagegen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). „Es ist richtig, Homöopathie als Kassenleistung abzuschaffen“, sagte KBV-Chef Andreas Gassen der „Rheinischen Post“. „Während jede neue Leistung, die in den Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden soll, zu Recht einen umfangreichen Nutzennachweis durchlaufen muss, hat manche Krankenkasse gerne homöopathische Verfahren und Mittel, für die es keine ausreichenden Studienlagen gibt, im Sinne des Versichertenmarketings angeboten.“

FDP gegen „teure Pseudomedizin“

Auch vom liberalen Koalitionspartner bekam Lauterbach Unterstützung. „Teure Pseudomedizin können wir uns angesichts der prekären Kassenlage nicht mehr leisten“, sagte die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus. Natürlich könne man weiter homöopathische Mittel auf eigene Kosten einnehmen. Der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann sprach von einem „richtigen Schritt“ Lauterbachs, mahnte aber weitere Anreize für mehr Eigenverantwortung an. Von den Grünen, in deren Reihen Homöopathie als Kassenleistung in der Vergangenheit verteidigt wurde, gab es vorerst keine Reaktion.

Weitere Schritte für stabile Finanzen

Im achtseitigen Papier aus Lauterbachs Ministeriums mit Empfehlungen für stabile Kassenfinanzen ist der geplante Einschnitt für die Homöopathie bereits knapp genannt – unter anderem neben geplanten Reformen etwa der Klinikfinanzierung oder für verstärkten Kampf gegen Herz-Kreislauf-Krankheiten. „Leistungen, die keinen medizinisch belegbaren Nutzen haben, dürfen nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden“, heißt es dort. Die Möglichkeit der Kassen werde gestrichen, per Satzung homöopathische und anthroposophische Leistungen vorzusehen. „Den Krankenkassen wird es jedoch möglich sein, private Zusatzversicherungen zu diesen Leistungen zu vermitteln.“ Das Papier verschickte Lauterbachs Haus laut „Spiegel“ an andere Ministerien.

Homöopathische Mittel bei vielen Leiden

Homöopathische Mittel werden von Patientinnen und Patienten bei vielen Leiden eingesetzt. So gibt es ein Mittel gegen grippale Effekte, Globuli für ein Einpendeln des Blutdrucks bei Herz-Kreislauf-Beschwerden, Tabletten mit Spuren des Eichenblättrigen Giftsumach gegen rheumatische Schmerzen oder Tabletten mit Pflanzenbestandteilen und Magnesium phosphoricum gegen Menstruationsbeschwerden in bestimmten Verdünnungsstufen – nur als wenige Beispiele unter vielen. (dpa)

Rundschau abonnieren